Dem
Durchlauchtigſten Fuͤrſten und Herrn,
H E R R N
Friedrich Chriſtian,
Koͤniglichen Prinzen in Pohlen
und Litthauen ꝛc. ꝛc.
Herzoge zu Sachſen, Juͤlich, Cleve, Berg, Engern und
Weſtphalen, des Heil. Roͤm. Reichs Erzmarſchallen und Churfuͤrſten,
Landgrafen in Thuͤringen, Marggrafen zu Meißen, auch Ober- und Nieder-Lauſitz,
Burggrafen zu Magdeburg, Gefuͤrſteten Grafen zu Henneberg, Grafen
zu der Mark, Ravensberg, Barby und Hanau,
Herrn zu Ravenſtein ꝛc. ꝛc.
Meinem gnaͤdigſten Herrn.
Nach den Erſtlingen meiner Roͤmiſchen Arbeiten in
deutſcher Sprache, welche Ew. Koͤnigl. Hoheit
gnaͤdigſt anzunehmen geruhet haben, erſcheine ich
mit reiferen Fruͤchten der Kunſt, welche, als die Erſten in ih-
rer Art, in dem Schooße der Alterthuͤmer und der Kuͤnſte
erwachſen, und unter dieſem mir gluͤcklichen Himmel ge-
naͤhret und vollendet ſind.
Dieſe Arbeit verſpricht ſich daher das Gluͤck, einiger
Aufmerkſamkeit gewuͤrdiget zu werden, da dieſelbe einen
gruͤndlichen Kenner und Beurtheiler ihres Inhalts an Ew.
Koͤnigl. Hoheit findet, vermoͤge der Kenntniß, welche
Dieſelben durch Betrachtung der Werke der alten und
neuen Kunſt ein ganzes Jahr zu Rom erlanget haben, und
in Abſicht Dero mir bezeigten hohen Huld und Gnade,
welcher ich mich und dieſe Schrift in tiefſter Verehrung em-
pfehle, als
Ew. Koͤnigl. Hoheit
Die Geſchichte der Kunſt des Alterthums, welche ich zu
ſchreiben unternommen habe, iſt keine bloße Erzaͤhlung
der Zeitfolge und der Veraͤnderungen in derſelben, ſon-
dern ich nehme das Wort Geſchichte in der weiteren Bedeu-
tung, welche daſſelbe in der Griechiſchen Sprache hat, und meine
Abſicht iſt, einen Verſuch eines Lehrgebaͤudes zu liefern. Dieſes
habe ich in dem Erſten Theile, in der Abhandlung von der Kunſt
der alten Voͤlker, von jedem insbeſondere, vornehmlich aber in
Abſicht der Griechiſchen Kunſt, auszufuͤhren geſuchet. Der Zwey-
te Theil enthaͤlt die Geſchichte der Kunſt im engeren Verſtande,
Die Geſchichte der Kunſt ſoll den Urſprung, das Wachs-
thum, die Veraͤnderung und den Fall derſelben, nebſt dem ver-
ſchiedenen Stile der Voͤlker, Zeiten und Kuͤnſtler, lehren, und die-
ſes aus den uͤbrig gebliebenen Werken des Alterthums, ſo viel
moͤglich iſt, beweiſen.
Es ſind einige Schriften unter dem Namen einer Geſchichte
der Kunſt an das Licht getreten; aber die Kunſt hat einen ge-
ringen Antheil an denſelben: denn ihre Verfaſſer haben ſich mit
derſelben nicht genug bekannt gemachet, und konnten alſo nichts
geben, als was ſie aus Buͤchern, oder von ſagen hoͤren, hatten.
In das Weſen und zu dem Innern der Kunſt fuͤhret faſt kein
Scribent, und diejenigen, welche von Alterthuͤmern handeln, be-
ruͤhren entweder nur dasjenige, wo Gelehrſamkeit anzubringen
war, oder wenn ſie von der Kunſt reden, geſchieht es theils mit
allgemeinen Lobſpruͤchen, oder ihr Urtheil iſt auf fremde und fal-
ſche Gruͤnde gebauet. Von dieſer Art iſt des Monier Geſchichte
der Kunſt, und des Duͤrand Ueberſetzung und Erklaͤrung der
letzten Buͤcher des Plinius, unter dem Titel: Geſchichte der
alten Malerey: auch Turnbull in ſeiner Abhandlung von
der alten Malerey, gehoͤret in dieſe Claſſe. Aratus, welcher die
Aſtronomie nicht verſtand, wie Cicero ſagt, konnte ein beruͤhmtes
Gedicht uͤber dieſelbe ſchreiben; ich weis aber nicht, ob auch ein
Unterſuchungen und Kenntniſſe der Kunſt wird man verge-
bens ſuchen in den großen und koſtbaren Werken von Beſchreibung
alter Statuen, die bis itzo bekannt gemachet worden ſind. Die
Beſchreibung einer Statue ſoll die Urſache der Schoͤnheit derſelben
beweiſen, und das beſondere in dem Stile der Kunſt angeben: es
muͤſſen alſo die Theile der Kunſt beruͤhret werden, ehe man zu einem
Urtheile von Werken derſelben gelangen kann. Wo aber wird geleh-
ret, worinnen die Schoͤnheit einer Statue beſteht? welcher Seribent
hat dieſelbe mit Augen eines weiſen Kuͤnſtlers angeſehen? Was zu
unſern Zeiten in dieſer Art geſchrieben worden, iſt nicht beſſer, als
die Statuen des Calliſtratus; dieſer magere Sophiſt haͤtte
noch zehenmal ſo viel Statuen beſchreiben koͤnnen, ohne jemals ei-
ne einzige geſehen zu haben: unſere Begriffe ſchrunden bey den
mehreſten ſolcher Beſchreibungen zuſammen, und was groß gewe-
ſen, wird wie in einen Zoll gebracht.
Eine Griechiſche und eine ſogenannte Roͤmiſche Arbeit wird
insgemein nach der Kleidung, oder nach deren Guͤte, angegeben:
ein auf der linken Schulter einer Figur zuſammengehefteter Man-
tel ſoll beweiſen, daß ſie von Griechen, ja in Griechenland gear-
beitet worden 1). Man iſt ſogar darauf gefallen, das Vaterland
des Kuͤnſtlers der Statue des Marcus Aurelius, in dem Schopfe
Haare auf dem Kopfe des Pferdes zu ſuchen; man hat einige
Aehnlichkeit mit einer Eule an demſelben gefunden, und dadurch
ſoll der Kuͤnſtler Athen haben anzeigen wollen 2). So bald eine
gute Figur nur nicht als ein Senator gekleidet iſt, heißt ſie Grie-
In Abſicht der Vorzuͤglichkeit einer Statue iſt es nicht ge-
nug, ſo wie Bernini vielleicht aus unbedachtſamer Frechheit ge-
than 5), den Paſquin fuͤr die ſchoͤnſte aller alten Statuen zu hal-
ten; man ſoll auch ſeine Gruͤnde bringen: auf eben dieſe Art haͤt-
Einige haben aus einem einzigen Buchſtaben den Meiſter
kuͤhnlich angegeben 1), und derjenige, welcher die Namen einiger
Kuͤnſtler an Statuen, wie bey dem gedachten Papirius, oder viel-
mehr Hippolytus, und bey dem Germanicus geſchehen, mit Still-
ſchweigen uͤbergangen, giebt uns den Mars von Johann Bologna
in der Villa Medicis fuͤr eine Statue aus dem Alterthume an 2);
dieſes hat zugleich andere verfuͤhret 3). Ein anderer, um eine
ſchlechte alte Statue, den vermeynten Narciſſus in dem Pallaſte
Barberini 4), anſtatt einer guten Figur, zu beſchreiben, erzaͤhlet
uns die Fabel deſſelben, und der Verfaſſer einer Abhandlung von
drey Statuen im Campidoglio, der Roma, und zween Barbari-
ſcher gefangener Koͤnige, giebt uns wider Vermuthen eine Ge-
ſchichte von Numidien 5): das heißt, wie die Griechen ſagen, Leu-
con traͤgt ein Ding, und ſein Eſel ein ganz anderes.
Aus Beſchreibungen der uͤbrigen Alterthuͤmer, der Gallerien
und Villen zu Rom, iſt eben ſo wenig Unterricht fuͤr die Kunſt zu
ziehen; ſie verfuͤhren mehr, als ſie unterrichten. Zwo Statuen
der Herſilia, der Frau des Romulus, und eine Venus vom Phi-
dias beym Pinaroli 6), gehoͤren zu den Koͤpfen der Lucretia
und des Caͤſars nach dem Leben gemachet, in dem Verzeichniſſe
der Statuen des Grafen Pembroke, und des Cabinets des Car-
dinals Polignac. Unter den Statuen Graf Pembrokes zu Wil-
Richardſon hat die Pallaͤſte und Villen in Rom, und die
Statuen in denſelben, beſchrieben, wie einer, dem ſie nur im
Traume erſchienen ſind: viele Pallaͤſte hat er wegen ſeines kurzen
Aufenthalts in Rom gar nicht geſehen, und einige, nach ſeinem
eigenen Geſtaͤndniſſe, nur ein einzigesmal; und dennoch iſt ſein
Buch bey vielen Maͤngeln und Fehlern das beſte, was wir haben.
Man muß es ſo genau nicht nehmen, wenn er eine neue Malerey,
in Freſco und von Guido gemacht, fuͤr alt angeſehen 2). Keyß-
lers Reiſen ſind in dem, was er von Werken der Kunſt in Rom
und an andern Orten anfuͤhret, nicht einmal in Betrachtung zu
ziehen: denn er hat dazu die elendeſten Buͤcher abgeſchrieben.
Manilli hat mit großem Fleiße ein beſonderes Buch von der
Villa Borgheſe gemacht, und dennoch hat er drey ſehr merkwuͤr-
dige Stuͤcke in derſelben nicht angefuͤhret: das eine iſt die Ankunft
der Koͤniginn der Amazonen Pentheſilea beym Priamus in Troja,
dem ſie ſich erbiethet beyzuſtehen; das andere iſt Hebe, welche ih-
res Amts, die Ambroſia den Goͤttern zu reichen, war beraubet
Montfaucon hat ſein Werk entfernet von den Schaͤtzen
der alten Kunſt zuſammengetragen, und hat mit fremden Augen,
und nach Kupfern und Zeichnungen geurtheilet, die ihn zu großen
Vergehungen verleitet haben. Hercules und Antaͤus im Pallaſte
Pitti zu Florenz, eine Statue von niedrigem Range, und uͤber
die Haͤlfte neu ergaͤnzet, iſt beym Maffei 2) und bey ihm 3) nichts
weniger, als eine Arbeit des Polycletus. Den Schlaf von ſchwar-
zem Marmor in der Villa Borgheſe, vom Algardi, giebt er fuͤr
alt aus 4): eine von den großen neuen Vaſen aus eben dem Mar-
mor, von Silvio von Veletri gearbeitet, die neben dem Schlafe
geſetzet ſind, und die er auf einem Kupfer dazu geſetzt gefunden 5),
ſoll ein Gefaͤß mit ſchlafmachendem Safte bedeuten. Wie viel
merkwuͤrdige Dinge hat er uͤbergangen! Er bekennet 6), er habe
niemals einen Hercules in Marmor mit einem Horne des Ueber-
fluſſes geſehen: in der Villa Ludoviſi aber, iſt er alſo in Lebens-
groͤße vorgeſtellet, in Geſtalt einer Herma, und das Horn iſt wahr-
haftig alt. Mit eben dieſem Attribute ſteht Hercules auf einer
zerbrochenen Begraͤbnißurne 7), unter den Truͤmmern der Alter-
Es faͤllt mir ein, daß ein anderer Franzos, Martin, ein
Menſch, welcher ſich erkuͤhnen koͤnnen zu ſagen, Grotius habe
die Siebenzig Dolmetſcher nicht verſtanden, entſcheidend und kuͤhn
vorgiebt 1), die beyden Genii an den alten Urnen koͤnnen nicht
den Schlaf und den Tod bedeuten; und der Altar, an welchem ſie
in dieſer Bedeutung mit der alten Ueberſchrift des Schlafs und des
Todes ſtehen, iſt oͤffentlich in dem Hofe des Pallaſtes Albani auf-
geſtellet 2). Ein anderer von ſeinen Landesleuten ſtraft den Juͤn-
geren Plinius Luͤgen, uͤber die Beſchreibung ſeiner Villa 3), von
deren Wahrheit uns die Truͤmmer derſelben uͤberzeugen.
Gewiſſe Vergehungen der Scribenten uͤber die Alterthuͤmer,
haben ſich durch den Beyfall und durch die Laͤnge der Zeit gleich-
ſam ſicher vor der Widerlegung gemacht. Ein rundes Werk von
Marmor in der Villa Giuſtiniani, dem man durch Zuſaͤtze die
Form einer Vaſe gegeben, mit einem Bacchanale in erhobener
Arbeit, iſt, nachdem es Spon zuerſt bekannt gemachet hat 4),
in vielen Buͤchern in Kupfer erſchienen, und zu Erlaͤuterungen
gebraucht worden. Ja man hat aus einer Eydexe, die an einem
Baume hinauf kriechet, muthmaßen wollen, daß dieſes Werk von
der Hand des Sauros ſeyn koͤnne 5), welcher mit einem Ba-
trachus den Portico des Metellus gebauet hat: gleichwohl iſt es
eine neue Arbeit. Man ſehe, was ich in den Anmerkungen
uͤber die Baukunſt von dieſen beyden Baumeiſtern geſagt
Die mehreſten Vergehungen der Gelehrten in Sachen der
Alterthuͤmer ruͤhren aus Unachtſamkeit der Ergaͤnzungen her:
denn man hat die Zuſaͤtze anſtatt der verſtuͤmmelten und verlohrnen
Stuͤcke von dem wahren Alten nicht zu unterſcheiden verſtanden.
Ueber dergleichen Vergehungen waͤre ein großes Buch zu ſchrei-
ben: denn die gelehrteſten Antiquarii haben in dieſem Stuͤcke ge-
fehlet. Fabretti wollte aus einer erhobenen Arbeit im Palla-
ſte Mattei, welche eine Jagd des Kaiſers Gallienus vorſtellet 2),
beweiſen, daß damals ſchon Hufeiſen, nach heutiger Art angena-
gelt, in Gebrauch gekommen 3); und er hat nicht gekannt, daß
das Bein des Pferdes von einem unerfahrnen Bildhauer ergaͤn-
zet worden. Die Ergaͤnzungen haben zu laͤcherlichen Auslegun-
gen Anlaß gegeben. Montfaucon, zum Exempel, deutet 4) ei-
ne Rolle, oder einen Stab, welcher neu iſt, in der Hand des
Caſtors oder Pollux, in der Villa Borgheſe, auf die Geſetze der
Spiele in Wettlaͤufen zu Pferde, und in einer aͤhnlichen neu an-
geſetzten Rolle, welche der Mercurius in der Villa Ludoviſi haͤlt,
findet derſelbe eine ſchwer zu erklaͤrende Allegorie; ſo wie Tri-
ſtan auf dem beruͤhmten Agath zu St. Denis, einen Riem an
einem Schilde, welchen der vermeynte Germanicus haͤlt, fuͤr
Friedensartikel angeſehen 5). Das heißt, St. Michael eine
Die Ergaͤnzungen ſollten in den Kupfern, oder in ihren
Erklaͤrungen, angezeiget werden: denn der Kopf des Ganyme-
des in der Gallerie zu Florenz muß nach dem Kupfer einen
ſchlechten Begriff machen 2), und er iſt noch ſchlechter im Ori-
ginale. Wie viel andere Koͤpfe alter Statuen daſelbſt ſind neu,
die man nicht dafuͤr angeſehen hat! wie der Kopf eines Apollo,
deſſen Lorbeerkranz vom Gori als etwas beſonders angefuͤhret
wird 3). Neue Koͤpfe haben der Narciſſus, der ſogenannte
Phrygiſche Prieſter, eine ſitzende Matrone, die Venus Gene-
trix 4): der Kopf der Diana, eines Bacchus mit dem Sa-
tyr zu deſſen Fuͤßen, und eines andern Bacchus, der eine
Weintraube in die Hoͤhe haͤlt, ſind abſcheulich ſchlecht 5). Die
mehreſten Statuen der Koͤniginn Chriſtina von Schweden, wel-
che zu St. Ildefonſe in Spanien ſtehen, haben ebenfalls neue
Koͤpfe, und die acht Muſen daſelbſt auch die Arme.
Viele Vergehungen der Scribenten ruͤhren auch aus un-
richtigen Zeichnungen her, welches zum Exempel die Urſache
davon in Cupers Erklaͤrung des Homerus iſt. Der Zeichner
hat die Tragoͤdie fuͤr eine Maͤnnliche Figur angeſehen, und es
iſt der Cothurnus, welcher auf dem Marmor ſehr deutlich iſt,
Es iſt daher ſchwer, ja faſt unmoͤglich, etwas gruͤndliches
von der alten Kunſt, und von nicht bekannten Alterthuͤmern, auſ-
ſer Rom zu ſchreiben: es ſind auch ein paar Jahre hieſiges Auf-
enthalts dazu nicht hinlaͤnglich, wie ich an mir ſelbſt nach einer
muͤhſamen Vorbereitung erfahren. Man muß ſich nicht wun-
dern, wenn jemand ſagt 1), daß er in Italien keine unbekannte
Inſchriften entdecken koͤnnen: dieſes iſt wahr, und alle, welche
uͤber der Erde, ſonderlich an oͤffentlichen Orten, ſtehen, ſind der
Aufmerkſamkeit der Gelehrten nicht entgangen. Wer aber Zeit
und Gelegenheit hat, findet noch allezeit unbekannte Inſchriften,
welche lange Zeit entdecket geweſen, und diejenigen, welche ich
in dieſem Werke ſowohl, als in der Beſchreibung der geſchnit-
tenen Steine des Stoßiſchen Muſei, angefuͤhret habe, ſind von
dieſer Art: aber man muß dieſelben zu ſuchen verſtehen, und ein
Reiſender wird dieſelben ſchwerlich finden.
Noch viel ſchwerer aber iſt die Kenntniß der Kunſt in den
Werken der Alten, in welchen man nach hundertmal wiederſe-
hen noch Entdeckungen machet. Aber die mehreſten gedenken
zu derſelben zu gelangen, wie diejenigen, welche aus Monaths-
ſchriften ihre Wiſſenſchaften ſammeln, und unterſtehen ſich vom
Laocoon, wie dieſe vom Homerus, zu urtheilen, auch im An-
geſichte desjenigen, der dieſen und jenen viele Jahre ſtudiret hat:
In dieſer Geſchichte der Kunſt habe ich mich bemuͤhet, die
Wahrheit zu entdecken, und da ich die Werke der alten Kunſt
mit Muße zu unterſuchen alle erwuͤnſchte Gelegenheit gehabt, und
nichts erſparet habe, um zu den noͤthigen Kenntniſſen zu gelan-
gen, ſo glaubte ich, mich an dieſe Abhandlung machen zu koͤn-
nen. Die Liebe zur Kunſt iſt von Jugend auf meine groͤßte
Neigung geweſen, und ohnerachtet mich Erziehung und Um-
ſtaͤnde in ein ganz entferntes Gleis gefuͤhret hatten, ſo meldere
ſich dennoch allezeit mein innerer Beruf. Ich habe alles, was
ich zum Beweis angefuͤhret habe, ſelbſt und vielmal geſehen,
und betrachten koͤnnen, ſo wohl Gemaͤlde und Statuen, als
geſchnittene Steine und Muͤnzen; um aber der Vorſtellung
des Leſers zu Huͤlfe zu kommen, habe ich ſowohl Steine, als
Muͤnzen, welche ertraͤglich in Kupfer geſtochen ſind, aus Buͤ-
chern zugleich mit angefuͤhret.
Man wundere ſich aber nicht, wenn man einige Werke der
alten Kunſt mit dem Namen des Kuͤnſtlers, oder andere, welche
ſich ſonſt merkwuͤrdig gemacht haben, nicht beruͤhret findet. Die-
jenigen, welche ich mit Stillſchweigen uͤbergangen habe, werden
Sachen ſeyn, die entweder nicht dienen zur Beſtimmung des
Stils, oder einer Zeit in der Kunſt, oder ſie werden nicht mehr
in Rom vorhanden, oder gar vernichtet ſeyn: denn dieſes Un-
gluͤck hat ſehr viel herrliche Stuͤcke in neueren Zeiten betroffen,
wie ich an verſchiedenen Orten angemerket habe. Ich wuͤrde den
Trunk einer Statue, mit dem Namen Apollonius des Ne-
Da die vornehmſte Abſicht dieſer Geſchichte auf die Kunſt
der Griechen geht, ſo habe ich auch in dem Capitel von derſelben
umſtaͤndlicher ſeyn muͤſſen, und ich haͤtte mehr ſagen koͤnnen,
wenn ich fuͤr Griechen, und nicht in einer neuern Sprache ge-
ſchrieben, welche mir gewiſſe Behutſamkeiten aufgeleget; in die-
ſer Abſicht habe ich ein Geſpraͤch uͤber die Schoͤnheit, nach Art
des Phaͤdrus des Plato, welches zur Erlaͤuterung der Theoreti-
ſchen Abhandlung derſelben haͤtte dienen koͤnnen, wiewohl unger-
ne, weggelaſſen.
Alle Denkmale der Kunſt, ſowohl von alten Gemaͤlden und
Figuren in Stein, als in geſchnittenen Steinen, Muͤnzen und
Vaſen, welche ich zu Anfang und zu Ende der Capitel, oder ih-
rer Abtheilungen, zugleich zur Zierde und zum Beweiſe, angebracht
Ich habe mich mit einigen Gedanken gewaget, welche nicht
genug erwieſen ſcheinen koͤnnen: vielleicht aber koͤnnen ſie andern,
die in der Kunſt der Alten forſchen wollen, dienen, weiter zu ge-
hen; und wie oft iſt durch eine ſpaͤtere Entdeckung eine Muthmaſ-
ſung zur Wahrheit geworden. Muthmaßungen, aber ſolche, die
ſich wenigſtens durch einen Faden an etwas Feſten halten, ſind
aus einer Schrift dieſer Art eben ſo wenig, als die Hypotheſes
aus der Naturlehre zu verbannen; ſie ſind wie das Geruͤſte zu ei-
nem Gebaͤude, ja ſie werden unentbehrlich, wenn man, bey dem
Mangel der Kenntniße von der Kunſt der Alten, nicht große
Spruͤnge uͤber viel leere Plaͤtze machen will. Unter einigen
Gruͤnden, welche ich von Dingen, die nicht klar wie die Sonne
ſind, angebracht habe, geben ſie einzeln genommen, nur Wahr-
ſcheinlichkeit, aber geſammelt und einer mit dem andern verbun-
den, einen Beweis.
Das Verzeichniß der Buͤcher, welches vorangeſetzet iſt, be-
greift nicht alle und jede, welche ich angefuͤhret habe; wie denn
unter denſelben von alten Dichtern nur der einzige Nonnus iſt,
weil in der erſten und ſeltenen Ausgabe, deren ich mich bedienet,
nur die Verſe einer jeden Seite, und nicht der Buͤcher in demſel-
ben, wie in den uͤbrigen Dichtern, gezaͤhlet ſind. Von den al-
ten Griechiſchen Geſchichtſchreibern ſind mehrentheils die Ausga-
ben von Robert und von Heinrich Stephanus angefuͤhret, welche
nicht in Capitel eingetheilet ſind, und dieſerwegen habe ich die Zeile
einer jeden Seite angemerket.
An Vollendung dieſer Arbeit hat mein wuͤrdiger und gelehr-
ter Freund, Herr Frank, ſehr verdienter Aufſeher der beruͤhmten
Ich kann auch nicht unterlaſſen, da die Dankbarkeit an je-
dem Orte loͤblich iſt, und nicht oft genug wiederholet werden kann,
dieſelbe meinen ſchaͤtzbaren Freunden, Herrn Fueßli, zu Zuͤrich, und
Herrn Will, zu Paris, von neuem hier zu bezeugen. Ihnen
haͤtte mit mehrerem Rechte, was ich von den Herculaniſchen Ent-
deckungen bekannt gemachet habe, zugeſchrieben werden ſollen:
denn unerſucht, ohne mich zu kennen, und aus freyem gemein-
ſchaftlichen Triebe, aus wahrer Liebe zur Kunſt, und zur Erweite-
rung unſerer Kenntniſſe, unterſtuͤtzten ſie mich auf meiner erſten
Reiſe an jene Orte durch einen großmuͤthigen Beytrag. Men-
ſchen von dieſer Art ſind, vermoͤge einer ſolchen That allein, ei-
nes ewigen Gedaͤchtniſſes wuͤrdig, welches Sie ihre eigenen Ver-
dienſte verſichern.
Ich kuͤndige zugleich dem Publico ein Werk an, welches in
Welſcher Sprache, auf meine eigene Koſten gedruckt, auf Regal-
Folio, im kuͤnftigen Fruͤhlinge zu Rom erſcheinen wird. Es iſt
daſſelbe eine Erlaͤuterung niemals bekannt gemachter Denkmale
des Alterthums von aller Art, ſonderlich erhobener Arbeiten in
Marmor, unter welchen ſehr viele ſchwer zu erklaͤren waren, an-
dere ſind von erfahrnen Alterthumsverſtaͤndigen, theils fuͤr unauf-
loͤsliche Raͤtzel angegeben, theils voͤllig irrig erklaͤret worden.
Durch dieſe Denkmale wird das Reich der Kunſt mehr, als vor-
her geſchehen, erweitert; es erſcheinen in denſelben ganz unbe-
kannte Begriffe und Bilder, die ſich zum Theil auch in den Nach-
richten der Alten verlohren haben, und ihre Schriften werden
Dieſe Geſchichte der Kunſt weihe ich der Kunſt, und der
Zeit, und beſonders meinem Freunde, Herrn Anton Raphael
Mengs. Rom, im Julius, 1763.
— — — — puerosque Ledae,
Hunc equis, illum ſuperare pugnis
Nobilem. Hor. L. I. Od. 12.
Die Kuͤnſte, welche von der Zeichnung abhaͤngen, haben, wie alle Er-Erſtes Stuͤck
I.
Allgemeiner
Begriff dieſer
Geſchichte.
findungen, mit dem Nothwendigen angefangen; nachdem ſuchte
man die Schoͤnheit, und zuletzt folgete das Ueberfluͤßige: dieſes ſind die
drey vornehmſten Stuffen der Kunſt.
Die aͤlteſten Nachrichten lehren uns, daß die erſten Figuren vorgeſtellet,
was ein Menſch iſt, nicht wie er uns erſcheint, deſſen Umkreis, nicht deſſen
Anſicht. Von der Einfalt der Geſtalt gieng man zur Unterſuchung der
Verhaͤltniſſe, welche Richtigkeit lehrete, und dieſe machete ſicher, ſich in
das Große zu wagen, wodurch die Kunſt zur Großheit, und endlich unter
den Griechen ſtuffenweiſe zur hoͤchſten Schoͤnheit gelangete. Nachdem alle
Theile derſelben vereinigt waren, und ihre Ausſchmuͤckung geſuchet wurde,
gerieth man in das Ueberfluͤßige, wodurch ſich die Großheit der Kunſt ver-
lor, und endlich erfolgete der voͤllige Untergang derſelben.
Dieſes iſt in wenig Worten die Abſicht der Abhandlung dieſer Ge-
ſchichte der Kunſt. In dieſem Capitel wird zum erſten von der anfaͤng-
lichen Geſtalt der Kunſt allgemein geredet, ferner von der verſchiede-
nen Materie, in welcher die Bildhauerey arbeitete, und drittens von dem
Einfluſſe des Himmels in die Kunſt.
Die Kunſt hat mit der einfaͤltigſten Geſtaltung, und vermuthlich mit
einer Art von Bildhauerey angefangen: denn auch ein Kind kann einer
weichen Maſſe eine gewiſſe Form geben, aber es kann nichts auf einer
Flaͤche zeichnen; weil zu jenem der bloße Begriff einer Sache hinlaͤnglich
iſt, zum Zeichnen aber viele andere Kenntniſſe erfordert werden: aber die
Malerey iſt nachher die Ziererinn der Bildhauerey geworden.
Die Kunſt ſcheint unter allen Voͤlkern, welche dieſelbe geuͤbet haben,
auf gleiche Art entſprungen zu ſeyn, und man hat nicht Grund genug, ein
beſonderes Vaterland derſelben anzugeben: denn den erſten Saamen zum
Nothwendigen hat ein jedes Volk bey ſich gefunden. Aber die Erfindung
der Kunſt iſt verſchieden nach dem Alter der Voͤlker, und in Abſicht der
fruͤheren oder ſpaͤteren Einfuͤhrung des Goͤtterdienſtes, ſo daß ſich die Chal-
daͤer oder die Aegypter ihre eingebildeten hoͤheren Kraͤfte, zur Verehrung, zei-
tiger als die Griechen, werden ſinnlich vorgeſtellet haben. Denn hier ver-
haͤlt es ſich, wie mit andern Kuͤnſten und Erfindungen, dergleichen das
In Aegypten bluͤhete die Kunſt bereits in den aͤlteſten Zeiten, undIV.
Alterthum
derſelben in
Aegypten.
wenn 5) Seſoſtris an vierhundert Jahre vor dem Trojaniſchen Kriege gelebet
hat, ſo waren in dieſem Reiche die groͤßten Obelisken, die ſich in Rom
befinden, und Werke gemeldeten Koͤnigs ſind, nebſt den groͤßten Gebaͤu-
den zu Theben, bereits aufgefuͤhret, da uͤber die Kunſt bey den Griechen
annoch Dunkelheit und Finſterniß ſchwebeten.
Bey den Griechen hat die Kunſt, ob gleich viel ſpaͤter, alsV.
Spaͤtere aber
urſpruͤngliche
Kunſt bey den
Griechen.
Steine und
Saͤulen die
erſten Bilder.
in den Morgenlaͤndern, mit einer Einfalt ihren Anfang genommen,
daß ſie, aus dem was ſie ſelbſt berichten, von keinem andern Volke
den erſten Saamen zu ihrer Kunſt geholet, ſondern die erſten Erfinder ſchei-
nen koͤnnen. Denn es waren ſchon dreyßig Gottheiten ſichtbar verehret,
da man ſie noch nicht in menſchlicher Geſtalt gebildet hatte, und ſich be-
Auf beſagte Steine wurden mit der Zeit Koͤpfe geſetzet; unter vielen
andern war ein ſolcher 12) Neptunus zu Tricoloni, und 13) ein Jupiter zu
Tegea, beyde in Arcadien: denn in dieſem Lande war man unter den Grie-
chen mehr als anderswo 14) bey der aͤlteſten Geſtalt in der Kunſt geblieben.
Es offenbaret ſich alſo in den erſten Bildniſſen der Griechen eine urſpruͤngli-
che Erfindung und Zeugung einer Figur. Auf Goͤtzen der Heiden, die
Von dieſem erſten Entwurfe und Anlage einer Figur koͤnnen wir derVII.
Durch Anzei-
ge des Ge-
ſchlechtes.
anwachſenden Bildung derſelben, aus Anzeigen der Scribenten und aus al-
ten Denkmaalen, nachforſchen. An dieſe Steine mit einem Kopfe merkete
man nur auf dem Mittel derſelben den Unterſchied des Geſchlechts an, wel-
ches ein ungeformtes Geſicht im Zweifel ließ. Wenn geſaget wird, daß
Eumarus von Athen 4) den Unterſchied des Geſchlechts in der Malerey zu
erſt gezeiget habe, ſo iſt dieſes vermuthlich von der Bildung des Geſichts im
jugendlichen Alter zu verſtehen: dieſer Kuͤnſtler hat vor dem Romulus,
und nicht lange nach Wiederherſtellung der olympiſchen Spiele durch den
Iphitus, gelebet.
Endlich fieng Daͤdalus an, wie die gemeineſte Meynung iſt, die un-VIII.
Durch Ge-
ſtaltung der
Beine durch
den Daͤdalus.
terſte Haͤlfte dieſer Bildſaͤulen in Geſtalt der Beine von einander zu ſondern;
und weil man nicht verſtand, aus Stein eine ganze menſchliche Figur hervor-
zubringen, ſo arbeitete dieſer Kuͤnſtler in Holz, und von ihm ſollen die erſten
Statuen den Namen Daͤdali bekommen haben. Von den Werken dieſes
Kuͤnſtlers giebt die Meynung der Bildhauer von Socrates Zeit, welche er
anfuͤhret, einigen Begriff; wenn Daͤdalus, ſaget er, wieder aufſtehen ſoll-
te, und arbeiten wuͤrde, wie die Werke ſind, die unter deſſen Namen gehen,
wuͤrde er, wie die Bildhauer ſagen, laͤcherlich werden.
Die erſten Zuͤge dieſer Geſtalten bey den Griechen waren einfaͤltig und
mehrentheils gerade Linien, und unter Aegyptern, Hetruriern und Griechen
wird beym Urſprunge der Kunſt unter jedem Volke kein Unterſchied geweſen
ſeyn; wie dieſes auch 1) die alten Scribenten bezeugen: und dieſes ſieht man 2)
an der aͤlteſten griechiſchen Figur von Erzt in dem Muſeo Nani zu Vene-
dig, mit der Schrift auf deſſen Baſe: [fremdsprachliches Material].
Auch in dieſer platten Art zu zeichnen lieget der Grund von der Aehnlichkeit
der Augen an Koͤpfen, auf den aͤltern griechiſchen Muͤnzen, und an aͤgypti-
ſchen Figuren; jene ſind wie dieſe platt und laͤnglich gezogen 3). Die erſten Ge-
maͤlde hat man ſich als Monogrammen, wie Epicurus die Goͤtter nennete,
das iſt, wie einlinichte Umſchreibungen des Schattens eines Menſchen vor-
zuſtellen.
Es fuͤhreten alſo die erſten Linien und Formen in der Kunſt ſelbſt, zur
Bildung einer Art Figuren, welche man insgemein Aegyptiſche nennet.
Es haͤtten auch die Griechen nicht viel Gelegenheit gehabt, in der Kunſt
etwas von den Aegyptern zu erlernen: denn vor dem Koͤnige Pſammeti-
chus war allen Fremden der Zutritt in Aegypten verſaget, und die Griechen
uͤbeten die Kunſt ſchon vor dieſer Zeit. Die Abſicht der Reiſen, welche die
Griechiſchen Weiſen nach Aegypten thaten, gieng vornehmlich 4) auf die Re-
gierungsform dieſes Landes. Es waͤre fuͤr diejenigen, welche alles aus den
Morgenlaͤndern herfuͤhren, mehr Wahrſcheinlichkeit auf Seiten der Phoͤ-
Es war unter den Kuͤnſtlern dieſer Voͤlker ein gemeiner Gebrauch, ihreXI.
Aehnlicher
Gebrauch bey
gedachten drey
Voͤlkern die
Figuren mit
Schrift zu
bezeichnen.
Werke mit Schrift zu bezeichnen: die Aegypter ſetzten dieſelbe auf die Baſe
und an die Saͤule an welcher die Figuren ſtehen, die aͤlteſten Griechen aber,
wie die Hetrurier, auf die Figur ſelbſt. Auf 3) dem Schenkel der Statue
eines Olympiſchen Siegers zu Elis ſtanden zween Griechiſche Verſe, und
4) an der Seite eines Pferdes, an eben dieſem Orte, von einem Dionyſius
aus Argos verfertiget, war eine Inſchrift geſetzet; ſo gar Myron ſetzte
noch ſeinen Namen 5) auf dem Schenkel eines Apollo, mit eingelegten ſil-
bernen Buchſtaben; und im fuͤnften Capitel werde ich von einer noch vor-
handenen Statue in Erzt reden, welche ebenfalls auf dem Schenkel eine Roͤ-
miſche Inſchrift hat.
Die alleraͤlteſte Geſtalt der Figuren war bey den Griechen auch inXII.
Erklaͤrung der
Aehnlichkeit
der Aegypti-
ſchen und
Griechiſchen
aͤlteſten Figu-
ren.
Stand und Handlung den Aegyptiſchen aͤhnlich, und Strabo bezeichnet das
Gegentheil durch ein Wort, welches eigentlich 6) verdrehet heißt, und bey
ihm Figuren bedeutet, welche nicht mehr, wie in den aͤlteſten Zeiten, voͤl-
lig gerade, und ohne alle Bewegung waren, ſondern in mancherley Stel-
Aus den geraden Linien der erſten Bildungen, bey welchen die Aegypter
blieben, lehrete die Wiſſenſchaft die Hetruriſchen und Griechiſchen Kuͤnſtler
herausgehen. Da aber die Wiſſenſchaft in der Kunſt vor der Schoͤnheit
vorausgehet, und als auf richtige ſtrenge Regeln gebauet, mit einer ge-
nauen und nachdruͤcklichen Beſtimmung zu lehren anfangen muß, ſo wurde
die Zeichnung regelmaͤßig, aber eckigt, bedeutend, aber hart, und vielmahls
uͤbertrieben; auf eben die Art, wie ſich die Bildhauerey in neuern Zeiten
durch Michael Angelo verbeſſert hat. Arbeiten in dieſem Stil haben ſich
auf erhabenen Werken in Marmor, und auf geſchnittenen Steinen erhal-
ten, welche an ihrem Orte angezeiget werden; und dieſes war der Stil,
welchen 3) die angefuͤhrten Scribenten mit dem Hetruriſchen vergleichen,
und welcher, wie es ſcheinet, der Aeginetiſchen Schule eigen blieb: denn
die Kuͤnſtler dieſer Inſel, welche 4) von Doriern bewohnet war, ſcheinen
bey dem aͤlteſten Stil am laͤngſten geblieben zu ſeyn.
Das zweyte Stuͤck dieſes Capitels, die Materie, in welcher die Bild-Zweytes Stuͤck
hauerey gearbeitet, zeiget die verſchiedenen Stuffen derſelben, ſo wie die
Bildung und Zeichnung ſelbſt. Die Kunſt und die Bildhauerey fiengen
an mit Thon, hierauf ſchnitzete man in Holz, hernach in Elfenbein, und
endlich machte man ſich an Steine und Metall.
Die erſte Materie der Kunſt, den Thon, deuten ſelbſt die alten Spra-I.
Erſte Materie
der Kuͤnſtler,
der Thon.
chen an: denn die Arbeit des Toͤpfers und des Bilders wird 1) durch eben
daſſelbe Wort bezeichnet. Es waren noch zu Pauſanias Zeiten in ver-
ſchiedenen Tempeln Figuren der Gottheiten von Thon: als zu 2) Tritia
in Achaja, in dem Tempel der Ceres und Proſerpina; in einem Tempel
des Bacchus zu Athen war 3) Amphictyon, wie er nebſt andern Goͤttern den
Bacchus bewirthete, ebenfalls von Thon; und eben daſelbſt auf der Halle,
Ceramicus, von irrdenen Gefaͤßen oder Figuren alſo genannt, ſtand The-
ſeus, wie er den Sciron ins Meer ſtuͤrzete, und die Morgenroͤthe, welche
den Cephalus entfuͤhrete, beyde Werke 4) von Thon. Die Bilder aus
Thon wurden mit 5) rother Farbe bemalet, und zuweilen, wie ſich an ei-
nem alten 6) Kopfe von gebrannter Erde zeiget, ganz roth uͤberſtrichen:
von den Figuren 7) des Jupiters wird es ins beſondere geſaget, und in
Arcadien war ein ſolcher zu 8) Phigalia auch 9) Pan wurde roth bemalet.
Eben dieſes geſchiehet noch itzo 10) von den Indianern. Es ſcheinet, daß da-
her der Beyname der Ceres 11) φοινιϰόπεζα, die Rothfuͤßige, gekommen ſey.
Der Thon blieb auch nachher ſo wohl unter, als nach dem FlorII.
Gemalte Ge-
faͤße von Thon.
der Kunſt ein Vorwurf derſelben, theils in erhobenen Sachen, theils
Von der andern Art Denkmale der Arbeit in Thon, nemlich von der
Alten ihren bemalten Gefaͤßen, ſind uns ſo wohl Hetruriſche, als Griechi-
ſche uͤbrig, wie unten mit mehren wird gedacht werden. Der Gebrauch
irrdener Gefaͤße blieb von den aͤlteſten Zeiten her 3) in heiligen und Got-
tesdienſtlichen Verrichtungen, nachdem ſie durch die Pracht im buͤrgerlichen
Leben abgekommen waren. Jene gemalten Gefaͤße waren bey den Alten
an ſtatt des Porcellans, und dieneten zum Zierrath, nicht zum Gebrauch:
III.
Die zweyte
Art Figuren
in Holz.denn es finden ſich einige, welche keinen Boden haben.
Aus Holz wurden, ſo wie die Gebaͤude, alſo auch 4) die Statuen, eher
als aus Stein und Marmor, gemachet. In Aegypten werden noch itzo von
ihren alten Figuren von Holz, welches Sycomorus iſt, gefunden; es fin-
In Elfenbein wurde ſchon in den aͤlteſten Zeiten der Griechen ge-
ſchnitzet, und Homerus redet von 1) Degengriffen, von Degenſcheiden,
ja von Betten, und von vielen andern Sachen, welche daraus gemacht
waren. Die 2) Stuͤhle der erſten Koͤnige und Conſuls in Rom waren
gleichfalls von Elfenbein, und ein jeder Roͤmer, welcher zu derjenigen Wuͤr-
de gelanget war, die dieſe Ehre genoß, hatte 3) ſeinen eigenen Stuhl
von Elfenbein; und auf ſolchen Stuͤhlen 4) ſaß der ganze Rath, wenn
von den Roſtris auf dem Markte zu Rom eine Leichenrede gehalten wurde.
Es waren ſo gar 5) die Leyern der Alten aus Elfenbein gemachet. In Grie-
chenland waren an hundert Statuen von Elfenbein und Golde, die meh-
reſten aus der aͤlteren Zeit, und uͤber Lebensgroͤße: ſo gar in einem gerin-
gen Flecken in Arcadien war 6) ein ſchoͤner Aeſculapius, und 7) auf der
Landſtraße ſelbſt, nach Pellene, in Achaja, war in einem Tempel der Pal-
las, ihr Bild, beyde von Elfenbein und Golde. In einem Tempel zu
Cyzicum, an welchem die Fugen der Steine mit goldenen Leiſtgen gezieret
waren, ſtand 8) ein Jupiter von Elfenbein, den ein Apollo von Marmor
kroͤnete; auch zu 9) Tivoli war ein ſolcher Hercules. Herodes Atticus,
der beruͤhmte und reiche Redner zur Zeit der Antoniner, ließ zu Corinth in
dem Tempel des Neptunus einen Wagen mit vier vergoldeten Pferden ſe-
tzen, an welchen der Huf von 10) Elfenbein war. Von Elfenbein von
Der erſte Stein, aus welchem man Statuen machete, ſcheinet ebenV.
Hierauf in
Stein, und
erſtlich in dem
jedem Lande
eigenen.
derjenige geweſen zu ſeyn, wovon man die aͤlteſten Gebaͤude in Griechen-
land, wie 3) der Tempel des Jupiters zu Elis war, auffuͤhrete, nemlich
eine Art Toff-Stein, welcher weißlicht war. Plutarchus gedenket 4) eines
Silenus in dieſem Steine. Zu Rom gebrauchete man auch den Travertin
hierzu, und es findet ſich eine Conſulariſche Statue in der Villa des Hrn.
Cardiuals Alex. Albani, eine andere in dem Pallaſte Altieri, in Campi-
telli, welche ſitzet, und auf dem Knie eine Tafel haͤlt, und eine weibliche
Figur, ſo wie jene in Lebensgroͤße, mit einem Ringe am Zeigefinger, in der
Villa des Marcheſe Belloni. Dieſes ſind die drey Figuren aus dieſem
Steine in Rom. Figuren von ſolchen geringen Steinen pflegten um die
Graͤber zu ſtehen.
Aus Marmor machete man anfaͤnglich zu erſt Kopf, Haͤnde und FuͤßeVI.
In Marmor,
und anfaͤng-
lich die aͤußern
Theile der Fi-
gur. Von
uͤbermalten
Statuen.
an Figuren von Holz, wie 5) eine Juno, und 6) Venus von Damophon,
einem der aͤlteſten beruͤhmten Kuͤnſtler, waren; und dieſe Art war noch zu
des Phidias Zeiten in Gebrauch: denn 7) ſeine Pallas zu Plateaͤa war
alſo gearbeitet. Solche Statuen, an welchen nur die aͤuſſerſten Theile von
Stein waren, wurden 8) Acrolithi genennet: dieſes iſt die Bedeutung
dieſes Worts, welche 9) Salmaſius und 10) andere nicht gefunden haben.
In Erzt muͤßte man in Italien weit eher, als in Griechenland, Sta-
tuen gearbeitet haben, wenn man dem Pauſanias folgen wllote. Dieſer
6) machet die erſten Kuͤnſtler in dieſer Art Bildhauerey, einen Rhoecus und
Theodorus aus Samos, namhaft. Dieſer letzte hatte den beruͤhmten
Stein des Polycrates geſchnitten, welcher zur Zeit des Croeſus, alſo etwa
Die Kunſt in Stein zu ſchneiden muß ſehr alt ſeyn, und war
auch unter ſehr entlegenen Voͤlkern bekannt. Die Griechen, ſagt man,
ſollen anfaͤnglich mit 5) Holz vom Wurm durchloͤchert geſiegelt haben,
und es iſt 6) in dem Stoßiſchen Muſeo ein Stein, welcher nach Art der
Gaͤnge eines ſolchen Holzes geſchnitten iſt, und zum ſiegeln ſcheinet gedie-
net zu haben; wir wiſſen aber nicht, wie lange dieſer Gebrauch gedauret
hat. Die Aegypter ſind in dieſem Theile der Kunſt zu einer großen Voll-
kommenheit gelanget, wie die Iſis im beſagten Muſeo, von welcher im
folgenden Capitel Meldung geſchiehet, beweiſen kann; auch 7) die Aethio-
pier hatten Siegel in Stein gearbeitet, welche ſie mit einem andern harten
Stein ſchnitten. Von dieſer Art der Kunſt aber wird unter jedem der fol-
genden Capitel insbeſondere gehandelt. Wie haͤufig bey den Alten die
Nach angezeigtem Urſprunge der Kunſt und der Materie, worinn ſie ge-Drittes Stuͤck.
Von den
Urſachen der
Verſchieden-
heit der Kunſt
unter den
Voͤlkern.
I.
Einfluß des
Himmels in
die Bildung.
wirket, fuͤhret die Abhandlung von dem Einfluſſe des Himmels in die Kunſt,
als das dritte Stuͤck dieſes Capitels, naͤher zu der Verſchiedenheit der
Kunſt unter den Voͤlkern, welche dieſelbe geuͤbet haben. Durch den Ein-
fluß des Himmels bedeuten wir die Wirkung der verſchiedenen Lage der
Laͤnder, der beſonderen Witterung und Nahrung in denſelben, in die Bil-
dung der Einwohner, wie nicht weniger in ihre Denkungs-Art. Das
Clima, ſagt Polybius 2), bildet die Sitten der Voͤlker, ihre Geſtalt und
Farbe.
In Abſicht des Erſtern, nemlich der Bildung der Menſchen uͤberzeu-A.
Ueber-haupt.
get uns unſer Auge, daß in dem Geſichte allezeit, ſo wie die Seele, alſo
auch vielmals der Character der Nation gebildet ſey: und wie die Natur
große Reiche und Laͤnder durch Berge und Fluͤſſe von einander geſondert,
ſo hat auch die Mannigfaltigkeit derſelben die Einwohner ſolcher Laͤnder
durch ihre eigene Zuͤge unterſchieden; und in weit entlegenen Laͤndern iſt
die Verſchiedenheit auch in anderen Theilen des Koͤrpers, und in der Statur.
Die Thiere ſind in ihren Arten, nach Beſchaffenheit der Laͤnder, nicht ver-
ſchiedener, als es die Menſchen ſind, und es haben einige bemerken wollen,B.
Und in die
Werkzeuge
der Sprache.
daß die Thiere die Eigenſchaft der Einwohner ihrer Laͤnder haben. Die
Bildung des Geſichts iſt ſo verſchieden, wie die Sprachen, ja wie die
Mundarten derſelben; und dieſe ſind es vermoͤge der Werkzeuge der Rede
ſelbſt, ſo daß in kalten Laͤndern die Nerven der Zunge ſtarrer und weniger
ſchnell ſeyn muͤſſen, als in waͤrmern Laͤndern; und wenn 3) den Groͤnlaͤn-
Die Bildung der heutigen Aegypter wuͤrde ſich noch itzo in Figuren
ihrer ehemaligen Kunſt zeigen: dieſe Aehnlichkeit aber zwiſchen der Natur
und ihrem Bilde iſt nicht mehr eben dieſelbe, welche ſie war. Denn wenn
die mehreſten Aegypter ſo dick und fett waͤren, als die 2) Einwohner von
Eben dieſe Betrachtung laͤßet ſich uͤber die heutigen Griechen machen.D.
Der Grie-
chen und Ita-
liener.
Denn nicht zu gedenken, daß ihr Gebluͤt einige Jahrhunderte hindurch mit
dem Saamen ſo vieler Voͤlker, die ſich unter ihnen niedergelaſſen haben,
vermiſchet worden, ſo iſt leicht einzuſehen, daß ihre itzige Verfaſſung, Er-
ziehung, Unterricht und Art zu denken, auch in ihre Bildung einen Einfluß
haben koͤnne. In allen dieſen nachtheiligen Umſtaͤnden iſt noch itzo das
heutige Griechiſche Gebluͤt wegen deſſen Schoͤnheit beruͤhmt, und je mehr
ſich die Natur dem Griechiſchen Himmel naͤhert, deſto ſchoͤner, erhabner
und maͤchtiger iſt dieſelbe in Bildung der Menſchenkinder. Es finden ſich
daher in den ſchoͤnſten Laͤndern von Italien wenig halb entworfene, unbe-
Wer auch niemals dieſe Nation geſehen, kann aus der zunehmenden
Feinheit derſelben, je waͤrmer das Clima iſt, von ſelbſt und gruͤndlich auf
die geiſtreiche Bildung derſelben ſchließen: die Neapolitaner ſind feiner und
ſchlauer noch, als die Roͤmer, und die Sicilianer mehr, als jene; die Grie-
chen aber uͤbertreffen ſelbſt die Sicilianer. Je reiner und duͤnner die Luft
iſt, ſagt Cicero 1), deſto feiner ſind die Koͤpfe.
Es findet ſich alſo die hohe Schoͤnheit, die nicht bloß in einer ſanften
Haut, in einer bluͤhenden Farbe, in leichtfertigen oder ſchmachtenden Au-
gen, ſondern in der Bildung und in der Form beſtehet, haͤufiger in Laͤn-
dern, die einen gleichguͤtigen Himmel genießen. Wenn alſo nur die Italie-
ner die Schoͤnheit malen und bilden koͤnnen, wie ein Engliſcher Scribent von
Stande ſaget, ſo lieget in den ſchoͤnen Bildungen des Landes ſelbſt zum Theil der
Grund zu dieſer Faͤhigkeit, welche durch eine anſchauliche taͤgliche Erkennt-
niß leichter erlanget werden kann. Unterdeſſen war die vollkommene
Das ſchoͤnſte Gebluͤt der Griechen aber, ſonderlich in Abſicht der Far-F.
Vorzuͤgliche
Schoͤnheiten
der Griechen.
be, muß unter dem Joniſchen Himmel in Klein-Aſien, unter dem Himmel,
welcher den Homerus erzeuget und begeiſtert hat, geweſen ſeyn. Dieſes
bezeuget 2) Hippocrates und 3) Lucianus; und ein aufmerkſamer 4) Rei-
ſender des ſechszehenden Jahrhunderts kann die Schoͤnheit des weiblichen
Geſchlechts daſelbſt, die ſanfte und milchweiße Haut, und die friſche und
geſunde Roͤthe deſſelben, nicht genugſam erheben. Denn der Himmel iſt
in dieſem Lande und in den Inſeln des Archipelagi, wegen deſſen Lage,
viel heiterer, und die Witterung, welche zwiſchen Waͤrme und Kaͤlte abge-
wogen iſt, beſtaͤndiger und gleicher, als ſelbſt in Griechenland, ſonderlich
in den Gegenden am Meere, welche dem ſchwuͤlen Winde aus Africa, ſo
wie die ganze mittaͤgige Kuͤſte von Italien, und andere Laͤnder, welche dem
heißen Striche von Africa gegen uͤber liegen, ſehr ausgeſetzet ſind. Dieſer
Wind, welcher bey den Griechen λίψ, bey den Roͤmern Africus, und
itzo Scirocco heißt, verdunkelt und verfinſtert die Luft durch brennende
ſchwere Duͤnſte, machet dieſelbe ungeſund, und entkraͤftet die ganze Natur
in Menſchen, Thieren und Pflanzen. Die Verdauung wird gehemmet,
wenn derſelbe regieret, und der Geiſt ſowol, als der Koͤrper, wird verdroſſen
und unkraͤftig zu wirken; daher es ſehr begreiflich iſt, wie viel Einfluß die-
ſer Wind in die Schoͤnheit der Haut und der Farbe habe. An den naͤch-
ſten Einwohnern der See-Kuͤſte verurſachet derſelbe eine truͤbe und gelbliche
Farbe, welche den Neapolitanern, ſonderlich in der Hauptſtadt, wegen
Der begreiflichſte Beweis von der vorzuͤglichen Form der Griechen
und aller heutigen Levantiner iſt, daß ſich gar keine gepletſchte Naſen unter
ihnen finden, welches die groͤßte Verunſtaltung des Geſichts iſt. Sca-
liger 2) hat dieſes von den Juden bemerket; ja die Juden in Portugall
muͤſſen mehrentheils Habichts-Naſen haben; daher dergleichen Naſe da-
ſelbſt eine Juͤdiſche Naſe genennet wird. Veſalius 3) merket an, daß die
Koͤpfe der Griechen und der Tuͤrken ein ſchoͤneres Oval haben, als der
Deutſchen und Niederlaͤnder. Es iſt auch hier in Erwegung zu ziehen,
daß die Blattern in allen warmen Laͤndern weniger gefaͤhrlich ſind, als in
kalten Laͤndern, wo es epidemiſche Seuchen ſind, und wie die Peſt wuͤten.
Daher wird man in Italien unter tauſend kaum zehen Perſonen, mit un-
vermerklichen wenigen Spuren von Blattern bezeichnet finden; den alten
Griechen aber war dieſes Uebel unbekannt.
Eben ſo ſinnlich und begreiflich, als der Einfluß des Himmels in dieII.
Einfluß des
Himmels in
die Denkungs-
art
Bildung, iſt zum zweyten der Einfluß derſelben in die Art zu denken, in
welche die aͤußern Umſtaͤnde, ſonderlich die Erziehung, Verfaſſung und
Regierung eines Volks mit wirken. Die Art zu denken ſo wohl der Mor-A. Der Mor-
genlaͤndiſchen
und Mittaͤgi-
gen Voͤlker.
genlaͤnder und Mittaͤgigen Voͤlker, als der Griechen, offenbaret ſich in
den Werken der Kunſt. Bey jenen ſind die figuͤrlichen Ausdruͤcke ſo warm
und feurig, als das Clima, welches ſie bewohnen, und der Flug ihrer
Gedanken uͤberſteiget vielmals die Graͤnzen der Moͤglichkeit. In ſolchen
Gehirnen bildeten ſich die abentheuerlichen Figuren der Aegypter und der
Perſer, welche ganz verſchiedene Naturen und Geſchlechter der Geſchoͤpfe
in eine Geſtalt vereinigten, und die Abſicht ihrer Kuͤnſtler gieng mehr auf
das außerordentliche, als auf das Schoͤne.
Die Griechen hingegen, welche unter einem gemaͤßigtern HimmelB. Der Gie-
chen.
und Regierung lebeten, und ein Land bewohneten, welches die Pallas, 1)
ſagt man, wegen der gemaͤßigten Jahreszeiten, vor allen Laͤndern, den
Griechen zur Wohnung angewieſen, hatten, ſo wie ihre Sprache maleriſch
iſt, auch maleriſche Begriffe und Bilder. Ihre Dichter vom Homerus
an reden nicht allein durch Bilder, ſondern ſie geben und malen auch
Bilder, die vielmals in einem einzigen Worte liegen, und durch den Klang
deſſelben gezeichnet, und wie mit lebendigen Farben entworfen werden.
Ihre Einbildung war nicht uͤbertrieben, wie bey jenen Voͤlkern, und ihre
Sinne, welche durch ſchnelle und empfindliche Nerven in ein feingewebtes
Gehirn wirketen, entdecketen mit einmal die verſchiedenen Eigenſchaften
eines Vorwurfs, und beſchaͤftigten ſich vornehmlich mit Betrachtung des
Schoͤnen in demſelben.
Unter den Griechen in Klein-Aſien, deren Sprache, nach ihrer Wan-
derung aus Griechenland hierher, reicher an Selbſtlauten, (Vocalen,) ſanf-
ter und mehr Muſicaliſch wurde, weil ſie daſelbſt einen gluͤcklichern Him-
mel noch, als die uͤbrigen Griechen, genoſſen, erweckete und begeiſterte eben
dieſer Himmel die erſten Dichter; die Griechiſche Weltweisheit bildete ſich
auf dieſem Boden; ihre erſten Geſchichtſchreiber waren aus dieſem Lande;
ja Apelles, der Maler der Gratie, war unter dieſem wolluͤſtigen Himmel er-
zeuget. Dieſe Griechen aber, welche ihre Freyheit vor der angraͤnzenden
Macht der Perſer nicht vertheidigen konnten, waren nicht im Stande, ſich
in maͤchtige freye Staaten, wie die Athenienſer, zu erheben, und die
Kuͤnſte und Wiſſenſchaften konnten daher in dem Joniſchen Aſien ihren
vornehmſten Sitz nicht nehmen. In Athen aber, wo nach Verjagung der
Tyrannen ein Democratiſches Regiment eingefuͤhret wurde, an welchem
das ganze Volk Antheil hatte, erhob ſich der Geiſt eines jeden Buͤrgers,
und die Stadt ſelbſt uͤber alle Griechen. Da nun der gute Geſchmack
allgemein wurde, und bemittelte Buͤrger durch praͤchtige oͤffentliche Gebaͤu-
de und Werke der Kunſt ſich Anſehen und Liebe unter ihren Buͤrgern er-
wecketen, und den Weg zur Ehre bahneten, floß in dieſer Stadt, bey
ihrer Macht und Groͤße, wie ins Meer die Fluͤſſe, alles zuſammen.
Mit den Wiſſenſchaften ließen ſich hier die Kuͤnſte nieder; hier nahmen ſie
ihren vornehmſten Sitz, und von hier giengen ſie in andere Laͤnder aus.
Daß in angefuͤhrten Urſachen der Grund von dem Wachsthume der Kuͤn-
ſte in Athen liege, bezeugen aͤhnliche Umſtaͤnde in Florenz, da die Wiſ-
ſenſchaften und Kuͤnſte daſelbſt in neueren Zeiten nach einer langen Finſter-
ſterniß anfiengen beleuchtet zu werden.
Man muß alſo in Beurtheilung der natuͤrlichen Faͤhigkeit der Voͤlker,C.
Verſchieden-
heit der Erzie-
hung, Verfaſ-
ſung und Re-
gierung der
Boͤlker.
und hier insbeſondere der Griechen, nicht bloß allein den Einfluß des
Himmels, ſondern auch die Erziehung und Regierung in Betrachtung
ziehen. Denn die aͤußeren Umſtaͤnde wirken nicht weniger in uns, als die
Luft, die uns umgiebt, und die Gewohnheit hat ſo viel Macht uͤber uns,
daß ſie ſo gar den Koͤrper und die Sinne ſelbſt, von der Natur in uns ge-
ſchaffen, auf eine beſondere Art bildet; wie unter andern ein an Franzoͤſi-
ſche Muſic gewoͤhntes Ohr beweiſet, welches durch die zaͤrtlichſte Italieni-
ſche Muſic nicht geruͤhret wird.
Eben daher ruͤhret die Verſchiedenheit auch unter den GriechiſchenD.
Der Gꝛiechen.
Voͤlkern in Griechenland ſelbſt, welche 1) Polybius in Abſicht der Fuͤhrung
des Krieges und der Tapferkeit anzeiget. Die Theſſalier waren gute Krieger,
wo ſie mit kleinen Haufen angreifen konnten, aber in einer foͤrmlichen
Schlacht-Ordnung hielten ſie nicht lange Stand: bey den Aetoliern war
das Gegentheil. Die Cretenſer waren unvergleichlich im Hinterhalt, oder
in Ausfuͤhrungen, wo es auf die Liſt ankam, oder ſonſt dem Feinde Ab-
bruch zu thun; ſie waren aber nicht zu gebrauchen, wo die Tapferkeit al-
lein entſcheiden mußte: bey den Achajern hingegen und Macedoniern war
es umgekehrt. Die Arcadier waren durch ihre aͤlteſten Geſetze verbunden,
alle die Muſic zu lernen, und dieſelbe bis in das dreyßigſte Jahr ihres
Alters beſtaͤndig zu treiben, um die Gemuͤther und Sitten, welche wegen
des rauhen Himmels in ihrem gebuͤrgigten Lande, ſtoͤrriſch und wild ge-
weſen ſeyn wuͤrden, ſanft und liebreich zu machen; und ſie waren daher
die redlichſten und wohlgeſittetſten Menſchen unter allen Griechen. Die
Cynaͤther allein unter ihnen, welche von dieſer Verfaſſung abgiengen, und
In Laͤndern, wo nebſt dem Einfluſſe des Himmels einiger Schatten
der ehemaligen Freyheit mit wirket, iſt die gegenwaͤrtige Denkungsart
der ehemaligen ſehr aͤhnlich; dieſes zeiget ſich noch itzo in Rom, wo der
Poͤbel unter der Prieſterlichen Regierung eine ausgelaſſene Freyheit ge-
nießet. Es wuͤrde noch itzo aus dem Mittel deſſelben ein Haufen der
ſtreitbarſten und unerſchrockenſten Krieger zu ſammlen ſeyn, die, wie ihre
Vorfahren, dem Tode trotzeten, und Weiber unter dem Poͤbel, deren Sit-
ten weniger verderbt ſind, zeigen noch itzo Herz und Muth, wie die alten
Roͤmerinnen; welches mit ausnehmenden Zuͤgen zu beweiſen waͤre, wenn
es unſer Vorhaben erlaubete.
Das vorzuͤgliche Talent der Griechen zur Kunſt zeiget ſich noch
itzo in dem großen faſt allgemeinen Talente der Menſchen in den waͤrmſten
Laͤndern von Italien; und in dieſer Faͤhigkeit herrſchet die Einbildung,
ſo wie bey den denkenden Britten die Vernunft uͤber die Einbildung.
Es hat jemand nicht ohne Grund geſagt, daß die Dichter jenſeits der Ge-
buͤrge durch Bilder reden, aber wenig Bilder geben; man muß auch ge-
ſtehen, daß die erſtaunenden theils ſchrecklichen Bilder, in welchen Mil-
tons Groͤße mit beſtehet, kein Vorwurf eines edlen Pinſels, ſondern ganz
und gar ungeſchickt zur Malerey ſind. Die Miltoniſchen Beſchreibungen
ſind, die einzige Liebe im Paradieſe ausgenommen, wie ſchoͤn gemalte
Gorgonen, die ſich aͤhnlich und gleich fuͤrchterlich ſind. Bilder vieler an-
dern Dichter ſind dem Gehoͤre groß, und klein dem Verſtande. Im
Wenn ich von der natuͤrlichen Faͤhigkeit dieſer Nation zur KunſtG. Naͤhere
Beſtimmung
dieſer Gedan-
ken.
rede, ſo ſchließe ich dadurch dieſe Faͤhigkeit in einzelnen oder vielen unter
andern Voͤlkern nicht aus, als welches wider die offenbare Erfahrung
ſeyn wuͤrde. Denn Holbein und Albrecht Duͤrrer, die Vaͤter der Kunſt
in Deutſchland, haben ein erſtaunendes Talent in derſelben gezeiget, und
wenn ſie, wie Raphael, Correggio und Titian, aus den Werken der Alten
haͤtten lernen koͤnnen, wuͤrden ſie eben ſo groß, wie dieſe, geworden ſeyn, ja
dieſe vielleicht uͤbertroffen haben. Denn auch Correggio iſt nicht, wie es
insgemein heißt, ohne Kenntniß des Alterthums zu ſeiner Groͤße gelan-
get: deſſen Meiſter Andreas Mantegna kannte daſſelbe, und es finden
ſich von deſſen Zeichnungen nach alten Statuen, in der großen Samm-
lung des Herrn Cardinal Alexander Albani; daher ihm 1) Felicianus
eine Sammlung alter Inſchriften zueignete. Mantegna war in dieſer
Nachricht 2) dem aͤlteren Burmann ganz und gar unbekannt. Ob der
Mangel der Maler unter den Engellaͤndern, welche keinen einzigen beruͤhm-
Ich glaube, den Leſer durch allgemeine Kenntniſſe der Kunſt, und die
Gruͤnde von der Verſchiedenheit derſelben in ihren Laͤndern, zur Abhandlung
der Kunſt unter beſondern Voͤlkern, zubereitet zu haben.
Die Aegypter haben ſich nicht weit von ihrem aͤlteſten Stil in derI.
Urſachen der
Kunſt der
Aegypter.
Kunſt entfernet, und dieſelbe konnte unter ihnen nicht leicht zu
der Hoͤhe ſteigen, zu welcher ſie unter den Griechen gelanget iſt; wovon
die Urſache theils in der Bildung ihrer Koͤrper, theils in ihrer Art zu den-
ken, und nicht weniger in ihren, ſonderlich Gottesdienſtlichen, Gebraͤuchen
und Geſetzen, auch in der Achtung und in der Wiſſenſchaft der Kuͤnſtler,
kann geſuchet werden. Dieſes begreift das erſte Stuͤck dieſes Abſchnitts
in ſich; das zweyte Stuͤck handelt von dem Stil ihrer Kunſt, das iſt,
Die erſte von den Urſachen der Eigenſchaft der Kunſt unter den
Aegyptern lieget in ihrer Bildung ſelbſt, welche nicht diejenige Vorzuͤge
hatte, die den Kuͤnſtler durch Ideen hoher Schoͤnheit reizen konnten.
Denn die Natur war ihnen weniger, als den Hetruriern und Griechen, guͤn-
ſtig geweſen; welches eine Art 1) Sineſiſcher Geſtaltung, als die ihnen
eigenthuͤmliche Bildung, ſo wohl an Statuen, als auf Obelisken, und
geſchnittenen Steinen, beweiſet 2): es konnten alſo ihre Kuͤnſtler das Man-
nigfaltige nicht ſuchen. Eben dieſe Bildung findet ſich an Koͤpfen der auf
Mumien gemalten Perſonen, welche, ſo wie bey 3) den Aethiopiern, genau
nach der Aehnlichkeit des verſtorbenen werden gemachet ſeyn worden, da
die Aegypter in Zurichtung der todten Koͤrper alles, was dieſelben kenntlich
machen konnte, ſo gar 4) die Haare der Augenlieder, zu erhalten ſucheten.
Vielleicht kam auch unter den Aethiopiern der Gebrauch, die Geſtalt der
Verſtorbenen auf ihre Koͤrper zu malen, von den Aegyptern her: denn
unter dem Koͤnige Pſammetichus giengen 240,000. Einwohner aus
Aegypten nach Aethiopien, welche hier 5) ihre Sitten und Gebraͤuche ein-
fuͤhreten. Es dienet auch hier zu bemerken, daß Aegypten 6) von acht-
zehen Aethiopiſchen Koͤnigen beherrſchet worden, deren Regierung in die
aͤlteſten Zeiten von Aegypten faͤllt. Die Aegypter waren außerdem 7)
Man will auch aus einer Anmerkung 2) des Ariſtoteles behaupten,
daß die Aegypter 3) auswerts gebogene Schienbeine gehabt haben: die
mit den Aethiopiern graͤnzeten, hatten vielleicht, wie dieſe 4), eingebogene Na-
ſen. Ihre weiblichen Figuren haben, bey aller ihrer Duͤnnheit, die Bruͤſte mit
einem gar zu großen Ueberfluſſe behaͤnget; und da die Aegyptiſchen Kuͤnſt-
ler, nach dem Zeugniſſe eines 5) Kirchen-Vaters, die Natur nachgeahmet
haben, wie ſie dieſelbe fanden, ſo konnte man auch aus ihren Figuren auf
das Geſchoͤpfe des weiblichen Geſchlechts daſelbſt ſchließen. Mit der Bil-
dung der Aegypter kann eine große Geſundheit, welche ſonderlich die Ein-
wohner in Ober-Aegypten, nach dem 6) Herodotus, vor allen Voͤlkern
genoſſen, ſehr wohl beſtehen, und dieſes kann auch daraus geſchloſſen wer-
den, daß an unzaͤhligen Koͤpfen Aegyptiſcher Mumien, welche Prinz Rad-
zivil geſehen, kein Zahn gemangelt, ja nicht einmal angefreſſen geweſen 7).
Die angefuͤhrte Mumie in Bologna kann auch darthun, daß es außeror-
dentliche große Gewaͤchſe unter ihnen gegeben: denn dieſer Koͤrper hat eilf
Roͤmiſche Palmen in der Laͤnge.
Was zum zweyten die Gemuͤths- und Denkungsart der Aegypter be-B.
In ihrer Ge-
muͤths- und
Denkungsaꝛt;
in ihren Ge-
ſetzen, Ge-
braͤuchen und
Religion.
trifft, ſo waren ſie ein Volk, welches zur Luſt und Freude 8) nicht er-
Dieſe Gemuͤthsart verurſachete, daß ſie ſich 6) durch heftige Mittel
die Einbildung zu erhitzen, und den Geiſt zu ermuntern ſucheten. Die Me-
lancholie dieſer Nation brachte daher die erſten Eremiten hervor, und 7)
ein neuerer Scribent will irgendwo gefunden haben, daß zu Ende des
dierten Jahrhunderts in Unter-Aegypten allein uͤber ſiebenzig tauſend
Moͤnche geweſen.
Die Aegypter wollten unter ſtrengen Geſetzen gehalten ſeyn, und 8)
konnten gar nicht ohne Koͤnig leben, welches vielleicht Urſach iſt, warum
Aegypten vom Homerus 9) das bittere Aegypten genennet wird. Ihr
Denken gieng das Natuͤrliche vorbey, und beſchaͤfftigte ſich mit dem Ge-
heimnißvollen.
In ihren Gebraͤuchen und Gottesdienſte beſtanden die Aegypter auf
eine ſtrenge Befolgung der uralten Anordnung derſelben, 1) noch unter den
Roͤmiſchen Kaiſern, und die Feindſchaft einer Stadt gegen die andere uͤber
ihre Goͤtter 2) daurete noch damals. Was einige Neuere auf ein dem
Herodotus und Diodorus angedichtetes Zeugniß vorgeben, daß Camby-
ſes den Goͤtterdienſt der Aepypter, und ihre Art die Todten zu balſamiren,
gaͤnzlich aufgehoben, iſt ſo falſch, daß ſo gar die Griechen nach dieſer Zeit
ihre Todten auf Aegyptiſche Art zurichten laſſen, wie 3) anderwerts ange-
zeiget habe, aus derjenigen Mumie mit dem Worte εΥ+ΥΧΙ 4) auf der
Bruſt, die ehemals in dem Hauſe Della Valle zu Rom war, und itzo
unter den Koͤniglichen Alterthuͤmern in Dreßden iſt. Da ſich die Aegypter
unter dem Darius, des Cambyſes Nachfolger 5), empoͤreten, ſo wuͤrden ſie
auch ſchon damals, wenn auch obiges Vorgeben Grund haͤtte, zu dieſem
Gebrauche zuruͤck gekehret ſeyn.
Daß die Aegypter noch unter den Kaiſern uͤber ihren alten Gottes-
dienſt gehalten haben, kann auch 6) die Statue des Antinous im Campi-
doglio bezeugen, welche nach Art Aegyptiſcher Statuen gebildet iſt, und
ſo, wie derſelbe, in dieſem Lande, ſonderlich in der Stadt, die von demſelben
den Namen 7) Antinoea fuͤhrete, verehret worden. Eine aͤhnliche Figur
von Marmor, ſo wie jene, etwas uͤber Lebensgroͤße, befindet ſich in dem
Garten des Pallaſtes Barbarini, und eine dritte, etwa von drey Palmen
Hierzu kam der Abſcheu dieſes Volks gegen alle fremde, ſonderlich
1) Griechiſche Gebraͤuche, vornehmlich ehe ſie von den Griechen beherrſchet
wurden, und dieſer Abſcheu mußte ihre Kuͤnſtler ſehr gleichguͤltig gegen die
Kunſt unter andern Voͤlkern machen; dieſes hemmete den Lauf der Wiſ-
ſenſchaft ſo wohl, als der Kunſt. So wie ihre Aerzte keine andere Mittel,
als die in den heiligen Buͤchern verzeichnet waren, vorſchreiben durften,
eben ſo war auch ihren Kuͤnſtlern nicht erlaubt, von dem alten Stil abzu-
gehen: denn ihre Geſetze ſchraͤnketen den Geiſt auf die bloße Nachfolge ih-
rer Vorfahren ein, und unterſagten ihnen alle Neuerungen. Daher be-
richtet 2) Plato, daß Statuen, die zu ſeiner Zeit in Aegypten gemalet wor-
den, weder in der Geſtalt, noch ſonſt, von denen, welche tauſend und mehr
Jahre aͤlter waren, verſchieden geweſen 3). Dieſes iſt zu verſtehen von
Werken, welche vor der Zeit der Griechiſchen Regierung in Aegypten von
ihren eingebohrnen Kuͤnſtlern gearbeitet worden.
Endlich lieget eine von den Urſachen der angezeigten Beſchaffenheit
der Kunſt in Aegypten in der Achtung und in der Wiſſenſchaft ihrer Kuͤnſt-
ler. Denn dieſe waren den Handwerkern gleich, und zu dem niedrigſten
Was die Wiſſenſchaft der Aegyptiſcheu Kuͤnſtler betrifft, ſo muß esD.
In der Wiſ-
ſenſchaft der
Kuͤnſtler.
ihnen an einem der vornehmſten Stuͤcke der Kunſt, nehmlich an Kenntniß
in der Anatomie, gefehlet haben; einer Wiſſenſchaft, welche in Aegypten,
ſo wie in China, gar nicht geuͤbet wurde, auch nicht bekannt war: denn die
Ehrfurcht gegen die Verſtorbenen wuͤrde auf keine Weiſe erlaubet haben,
eine Zergliederung todter Koͤrper anzuſtellen; ja es wurde, wie Diodorus
berichtet, als ein Mord angeſehen, nur einen Schnitt in dieſelbe zu thun.
Daher auch der Paraſchiſtes, wie ihn die Griechen nennen, oder derjenige,
welcher die Koͤrper zum Balſamiren durch einige Schnitte oͤffnete, unmit-
Das zweyte Stuͤck dieſes Abſchnitts von dem Stil der Kunſt unter
den Aegyptern, welcher die Zeichnung des Nackenden, und die Bekleidung
ihrer Figuren in ſich begreift, iſt in drey Abſaͤtze zu faſſen. In den
zween erſten derſelben wird gehandelt von dem aͤlteren, und nachher von
dem folgenden und ſpaͤtern Stil der Aegyptiſchen Bildhauer, und in dem
dritten Abſatze von den Nachahmungen Aegyptiſcher Werke, durch Griechi-
ſche Kuͤnſtler gemacht. Ich werde unten darzuthun ſuchen, daß die wahren
alten Aegyptiſchen Werke von zweyfacher Art ſind, und daß man in ihrer
eigenen Kunſt zwo verſchiedene Zeiten ſetzen muͤſſe: die erſte hat vermuth-
In dem aͤltern Stil hat die Zeichnung des Nackenden deutliche undA.
Der aͤltere
Stil.
begreifliche Eigenſchaften, welche dieſelbe nicht allein von der Zeichnung
anderer Voͤlker, ſondern auch von dem ſpaͤtern Stil der Aegypter unter-
ſcheiden; und dieſe finden ſich und ſind zu beſtimmen ſo wohl in dem Um-
kreiſe, oder in der Umſchreibung und dem Conturn des Ganzen der Figur,
als in der Zeichnung und Bildung eines jeden Theils insbeſondere. Diea. in der
Zeichnung des
Nackenden.
allgemeine und vornehmſte Eigenſchaft der Zeichnung in dieſem Stil des
Nackenden, iſt das Gerade, oder die Umſchreibung der Figur in wenigaa. deſſen
Eigenſchaften
allgemein.
ausſchweifenden und maͤßig gewoͤlbten Linien. Eben dieſer Stil findet ſich
in ihrer Baukunſt, und in ihren Verzierungen; daher fehlet ihren Figuren
die Gratie (Gottheiten, die den Aegyptern 1) unbekannt waren) und das
Maleriſche, welches Strabo 2) von ihren Gebaͤuden ſaget. Der Stand
der Figuren iſt ſteif und gezwungen; aber parallel dichtzuſammen ſtehende
Fuͤße, wie ſie einige alte Scribenten anzuzeigen ſcheinen, und wie die-
ſelben an einigen Hetruriſchen Figuren ſind, hat keine einzige uͤbrig gebliebe-
ne Aegyptiſche Figur, auch die zwo Coloſſaliſchen Statuen ohnweit den
Ruinen von Theben nicht, wie die neueſten und beglaubten Berichte dar-
thun. Die Fuͤße, welche wahrhaftig alt ſind, ſtehen parallel, und nicht
auswerts, aber wie ein geſchobenes Parallel-Lineal; einer ſtehet voraus
vor dem andern. An einer Maͤnnlichen Aegyptiſchen Figur von vierzehen
In der großen Einheit der Zeichnung ihrer Fuguren ſind die Knochen
und Muskeln wenig, Nerven und Adern aber gar nicht angedeutet: die
Knie, die Knoͤchel des Fußes, und eine Anzeige vom Ellenbogen zeigen
ſich erhaben, wie in der Natur. Der Ruͤcken iſt wegen der Saͤule, an
welche ihre Statuen aus einem Stuͤcke mit derſelben geſtellet ſind, nicht
ſichtbar. Der angefuͤhrte Antinous hat den Ruͤcken frey. Die wenig
ausſchweifende Umriſſe ihrer Figuren ſind zugleich eine Urſache der engen
und zuſammengezogenen Form derſelben, durch welche Petronius 3) den
Aegyptiſchen Stil in der Kunſt bedeutet. Es unterſcheiden ſich auch
Aegyptiſche, ſonderlich maͤnnliche Figuren, durch den ungewoͤhnlich ſchma-
len Leib uͤber der Huͤfte.
Dieſe angegebene Eigenſchaften und Kennzeichen des Aegyptiſchen
Stils, ſo wohl die Umſchreibung und die Formen in faſt geraden Linien,
als die wenige Andeutung der Knochen und Muskeln, leiden eine Aus-
Zum zweyten ſind in der Zeichnung des Nackenden vornehmlich diebb. Beſon-
ders an ver-
ſchiedenen
Theilen des
Koͤrpers an-
gezeiget.
α. der Kopf.
aͤußern Theile Aegyptiſcher Figuren zu betrachten, das iſt, der Kopf, die
Haͤnde, und die Fuͤße. An dem Kopf ſind die Augen platt und ſchraͤg ge-
Die Haͤnde haben eine Form, wie ſie an Menſchen ſind, welche nicht
uͤbelgebildete Haͤnde verdorben oder vernachlaͤßiget haben. Die Fuͤße un-
terſcheiden ſich von Fuͤßen Griechiſcher Figuren dadurch, daß jene platter
und ausgebreiteter ſind, und daß die Zehen, welche voͤllig platt liegen,
einen geringen Abfall in ihrer Laͤnge haben, und, wie die Finger, ohne An-
deutung der Glieder ſind. Es iſt auch die kleine Zehe nicht gekruͤmmet,
An den Aegyptiſchen Statuen im Campidoglio, an welchen ſich dieγ die Fuͤße.
Fuͤße erhalten haben, ſind dieſelben, wie ſelbſt am Apollo im Belvedere,
von ungleicher Laͤnge; der tragende und rechte Fuß iſt an einer von jenen
um drey Zolle eines Roͤmiſchen Palms laͤnger, als der andere. Dieſe
Ungleichheit der Fuͤße aber iſt nicht ohne Grund: denn man hat dem tra-
genden und hinterwerts ſtehenden Fuße, ſo viel mehr geben wolten, als er
in der Anſicht durch das Zuruͤckweichen verliehren koͤnnte. Der Nabel iſt
an Maͤnnern ſo wohl, als Weibern, ungewoͤhnlich tief und hohl gearbeitet.
Ich wiederhole hier, was in der Vorrede allgemein erinnert worden, daß
man nicht aus Kupfern urtheilen koͤnne: denn an den Aegyptiſchen Fi-
guren beym Boißard, Kircher, Montfaucon und anderen, findet ſich kein
einziges von den angegebenen Kennzeichen des Aegyptiſchen Stils. Ferner
iſt genau zu beobachten, was an Aegyptiſchen Statuen wahrhaftig alt, und
was ergaͤnzet iſt. Das Untertheil des Geſichts an der vermeynten Iſis 3)
im Campidoglio (welche die einzige unter den vier groͤßten Statuen da-
ſelbſt von ſchwarzem Granite iſt) iſt nicht alt, ſondern ein neuer Anſatz;
welches ich anzeige, weil es wenige wiſſen und finden koͤnnen: es ſind auch
an dieſer, und an den zwo andern Statuen von rothem Granite, Arme und
An dieſes Stuͤck von der Zeichnung des Nackenden wuͤrde am be-
quemſten dasjenige anzuhaͤngen ſeyn, was zum Unterricht derer, welche
die Kunſt ſtudiren, von der beſondern Geſtaltung Goͤttlicher Figuren bey
den Aegyptern, und von den ſinnlich gemachten Eigenſchaften und Ver-
richtungen derſelben zu ſagen waͤre. Weil hiervon aber zum Ueberfluß
von andern gehandelt worden, ſo will ich mich auf einige Anmerkungen
einſchraͤnken.
Von Gottheiten, welchen man einen Kopf der Thiere gegeben, in
welchen die Aegypter jene verehreten, haben ſich wenige in Statuen er-
halten. Es ſind dieſelbe eine oben angefuͤhrte Statue in Lebensgroͤße 3)
mit einem Sperber-Kopfe, welche den Oſiris vorſtellet, im Pallaſte Bar-
berini; eine andere Statue von gleicher Groͤße mit einem Kopfe, welcher
etwas von einem Loͤwen, von einer Katze, und vom Hunde hat, in der
Villa Albani; und eine kleine ſitzende Figur mit einem Hunds-Kopfe, in
eben dieſer Villa: alle dreye ſind von ſchwaͤrzlichem Granite. Der Kopf
der zweyten von dieſen Figuren iſt auf deſſen Hintertheile mit der gewoͤhn-
lichen Aegyptiſchen Haube bedecket, welche in viele Falten geleget, rundlich
vorne, und hinten uͤber die Achſeln an zween Palme lang herunter haͤngt.
Auf dem Kopfe erhebet ſich ein ſogenannter Limbus ſenkrecht uͤber einen
Palm in die Hoͤhe: mit einem Limbo wurden nachher die Bildniſſe 4) der
Strabo 2), nicht Diodorus, nach dem Pococke, berichtet von einem
Tempel zu Theben, daß innerhalb demſelben keine Menſchlichen Figuren,
ſondern bloß Thiere geſetzet geweſen, und dieſe Bemerkung will Pococke 3)
auch bey andern daſelbſt erhaltenen Tempeln gemachet haben. Unterdeſſen
finden ſich itzo mehr Aegyptiſche Figuren, welche aus ihren beygelegten Zei-
chen, Gottheiten ſcheinen, in voͤlliger Menſchlichen Geſtalt, als mit dem
Kopfe eines Thieres vorgeſtellet, wie dieſes unter andern die bekannte
Iſiſche Tafel, die in dem Muſeo des Koͤnigs von Sardinien, zu Turin, iſt,
beweiſen kann. Iſis 4) mit Hoͤrnern auf dem Kopfe findet ſich auf keinem
alten Denkmale dieſes Volkes 5). Die Weiblichen Figuren im Campidoglio
aber koͤnnen am fuͤglichſten auf dieſe Goͤttinn gedeutet werden. Prieſterin-
nen derſelben koͤnnen es nicht ſeyn, weil kein Weib 6) dieſes Amt in Aegy-
pten fuͤhrete. Die Maͤnnlichen Figuren an eben dem Orte koͤnnen auch
Statuen der Hohenprieſter zu Theben ſeyn, welche alle daſelbſt ſtanden.
Von den Fluͤgeln der Aegyptiſchen Gottheiten wird in dem dritten Abſatze
dieſes zweyten Stuͤckes geredet. Es kann auch hier bemerket werden, daß
das Siſtrum keiner Figur, auf irgend einem alten Aegyptiſchen Werke in
Die Sphinxe der Aegypter haben beyderley Geſchlecht, das iſt, ſie
ſind vorne Weiblich, und haben einen Weiblichen Kopf, und hinten Maͤnn-
lich, wo ſich die Hoden zeigen. Dieſes iſt noch von niemand angemerket.
Ich gab dieſes 7) aus einem Steine des Stoßiſchen Muſei an, und ich
zeigete dadurch die Erklaͤrung der bisher nicht verſtandenen Stelle 8) des
Poeten Philemon, welcher von Maͤnnlichen Sphinxen redet, ſonderlich
da auch die Griechiſchen Kuͤnſtler 9) Sphinxe mit einem Barte bildeten.
In dem zweyten Abſatze des aͤltern Aegyptiſchen Stils von der Be-b. Von der
Bekleidung
der Figuren
des aͤltern
Stils.
kleidung ihrer Figuren, merke ich zuerſt an, daß dieſelbe vornehmlich 2)
von Leinen war, welches in dieſem Lande 3) haͤufig gebauet wurde, und
ihr Rock, Calaſiris genannt, an welchem unten 4) ein gekraͤuſelter Streifaa. Der
Rock.
oder Rand mit vielen Falten genaͤhet war, gieng ihnen 5) bis auf die
Fuͤße, uͤber welchen die Maͤnner einen weißen Mantel von Tuch ſchlugen.
Die Maͤnnlichen Figuren aber ſind alle nackend, ſo wohl in Statuen, als
an Obelisken, und auf andern Werken, bis auf einen Schurz, welcher
uͤber die Huͤften angeleget iſt, und den Unterleib bedecket. Dieſer Schurz
iſt in ganz kleine Falten gebrochen. Da dieſes aber vermuthlich Goͤttliche
Figuren ſind, ſo kann, wie bey den Griechen, dieſelben nackend vorzuſtel-
In dieſem aͤltern Stil iſt die Bekleidung ſonderlich an Weiblichen
Figuren nur durch einen hervorſpringenden oder erhobenen Rand, an den
Beinen und am Halſe, angedeutet, wie an einer vermeynten Iſis im
Campidoglio, und an zwo andern Statuen daſelbſt zu ſehen iſt. Um den
Mittelpunct der Bruͤſte von der einen, wo die Warzen ſtehen wuͤrden, iſt
ein kleiner Zirkel eingegraben angedeutet, und von demſelben gehen viel
dicht neben einander liegende Einſchnitte, wie Radii eines Zirkels, an
zween Finger breit auf den Bruͤſten herum. Und dieſes koͤnnte fuͤr einen
ungereimten Zierrath angeſehen werden. Ich bin aber der Meynung,
daß hierdurch die Falten eines duͤnnen Schleyers, welcher die Bruͤſte be-
decket, angedeutet werden ſollten. Denn an einer Aegyptiſchen Iſis, aber
vom ſpaͤteren und ſchoͤneren Stil, in der Villa Albani, ſind auf den Bruͤ-
ſten derſelben, welche dem erſten Anblicke entbloͤßet zu ſeyn ſcheinen, faſt
unmerkliche erhobene Falten gezogen, welche in eben der Richtung ſich von
dem Mittelpuncte der Bruͤſte ausbreiten. An dem Leibe jener Figuren
muß die Kleidung bloß gedacht werden. In eben dieſer Form iſt eine
bekleidete Iſis 2) auf einer Mumie gemalet, und die zwanzig Coloſſaliſche
Statuen der Beyſchlaͤferinnen Koͤnigs Mycerinus, von Holz, welche He-
rodotus 3) fuͤr nackend angeſehen, werden vielleicht eine aͤhnliche Anzei-
gung der Kleidung gehabt haben; wenigſtens findet ſich itzo keine einzige
voͤllig nackte Aegyptiſche Figur. Eben dieſes bemerket Pococke 4) an
einer ſitzenden Iſis, welche, ohne einen hervorſpringenden Rand uͤber die
In einer beſondern Art iſt die vorher angefuͤhrte ſitzende Figur in der
Gallerie Barberini gekleidet: es erweitert ſich der Rock von oben bis un-
ten, wie eine Glocke, ohne Falten. Man kann ſich davon aus einer Fi-
gur, welche Pococke 1) beybringet, einen Begriff machen. Eben auf dieſe
Art iſt der Rock einer ſehr alten Weiblichen Figur, von ſchwaͤrzlichem
Granite, drey Palme hoch, in dem Muſeo Hrn. Urbano Rolandi zu Rom
gemachet; und weil ſich derſelbe unten nicht erweitert, ſieht das Unter-
theil dieſer Figur einer Saͤule aͤhnlich. Es haͤlt dieſelbe einen ſitzenden
Cynocephalus, auf einem Kaͤſtgen, mit vier ſaͤulenweis geſetzten Reihen
von Hieroglyphen, vor der Bruſt. Die Fuͤße an derſelben ſind nicht
ſichtbar.
Die erhabenen uͤbermalten Figuren, welche ſich zu Theben erhalten
haben, ſollen 2), wie des Oſiris Kleidung gemalet war, 3) ohne Abwei-
chung, und ohne Licht und Schatten ſeyn. Dieſes aber muß uns nicht ſo ſehr,
als dem, der es berichtet, befremden: denn alle erhobene Werke bekommen
Licht und Schatten durch ſich ſelbſt, ſie moͤgen in weißem Marmor, oder
von einer andern einzigen Farbe ſeyn, und es wuͤrde alles an ihnen ver-
worren werden, wenn man im Uebermalen derſelben, mit dem Erhobenen
und Vertieften es, wie in der Malerey, halten wollte. Es finden ſich
uͤbrigens in Aegypten auch 4) andere Stuͤcke von uͤbermalten erhobenen
Arbeiten.
Es iſt auch von den uͤbrigen Stuͤcken der Aegyptiſchen Kleidungbb. Andere
Stuͤcke der
Kleidung
und des
Schmucks.
etwas zu reden. Die Maͤnner giengen insgemein mit unbedecktem Haupte,
Weibliche Figuren haben allezeit den Kopf mit einer Haube bedecket,
und dieſelbe iſt zuweilen in faſt unzaͤhliche kleine Falten geleget, wie ſie
der angefuͤhrte Kopf von gruͤnem Baſalt in der Villa Albani hat. An
dieſer Haube iſt auf der Stirn ein laͤnglich eingefaſſeter Stein vorgeſtellet,
und an dieſem Kopfe allein iſt der Anfang von Haaren uͤber der Stirn
angedeutet.
Von beſonderem Haupt-Putze will ich hier nur dasjenige beruͤhren,
was von andern nicht bemerket iſt. Es finden ſich Aufſaͤtze von fremden
Haaren, wie ich an einem der aͤlteſten Weiblichen Aegyptiſchen Koͤpfe in
der Villa Altieri zu ſehen glaube. Dieſe Haare ſind in unzaͤhlige ganz
kleine geringelte Locken geleget, und haͤngen vorwerts von der Achſel her-
unter: es ſind, glaube ich, an tauſend kleine Loͤckgen, welche jedesmal
an eignen Haaren zu machen, zu muͤhſam geweſen waͤre. Umher gehet
da, wo der Haarwachs auf der Stirne anfaͤngt, ein Band, oder Diadema,
welches vorne auf dem Kopfe gebunden iſt. Mit dieſem Haar-Putze kann
ein Weiblicher Kopf im Profil von erhobener Arbeit verglichen werden,
welcher auf dem Campidoglio, außen an der Wohnung des Senators von
Rom, unter andern Koͤpfen und erhobenen Arbeiten, eingemauert iſt.
Die Haare deſſelben ſind in viel hundert Locken geleget, vorgeſtellet. Die-
ſer Kopf wird auch unten im dritten Stuͤcke beruͤhret. Ein aͤhnlicher Auf-
ſatz 1) beym Pococke, deſſen innere Seite glatt iſt, beſtaͤtiget meine Mey-
nung; hier zeiget ſich, was wir itzo nennen, das Netz, worauf die Haare
genaͤhet ſind. Ich weis alſo nicht, ob ein ſolcher Aufſatz an einer Aegy-
ptiſchen Statue im Campidoglio aus Federn gemachet iſt, wie 2) in der
Beſchreibung derſelben angegeben wird. Da es gewiß iſt, daß den Car-
thaginenſen Aufſaͤtze von fremden Haaren bekannt waren, welche Hannibal 3)
auf ſeinem Zuge durch das Land der Ligurier trug, ſo wird der Gebrauch
derſelben bey Aegyptern auch dadurch wahrſcheinlich. Eine andere beſon-
dere Tracht war die einzige Locke, welche man an dem beſchornen Kopfe
einer Statue von ſchwarzem Marmor 4) im Campidoglio, auf der rechten
Seite, an dem Ohr, haͤngen ſiehet: es iſt eine Aegyptiſche Nachahmung,
und wird unten angefuͤhret. Dieſe Locke iſt weder in dem Kupfer, noch in
der Beſchreibung derſelben, angezeiget. Von einer ſolchen einzigen Locke
Schuhe und Sohlen hat keine einzige Aegyptiſche Figur, außer daß
man an der vorher beruͤhrten Statue beym Pococke unter dem Knoͤchel des
Fußes einen eckigten Ring angeleget ſieht, von welchem wie ein Riem
zwiſchen der großen und der folgenden Zehe herunter gehet, wie zu Be-
feſtigung der Sohlen, welche aber nicht ſichtbar iſt. Dieſes iſt, was ich
uͤber den aͤltern Stil der Aegypter zu betrachten gefunden habe.
Der zweyte Abſatz des zweyten Stuͤcks dieſes Abſchnitts, welcher von
dem folgenden und ſpaͤteren Stil der Kuͤnſtler dieſes Volks handelt, hat,
wie in dem vorigen Abſatze, zuerſt die Zeichnung des Nackenden, und zum
zweyten die Bekleidung der Figuren zum Vorwurfe. Beydes laͤßt ſich
a. in der
Zeichnung des
Nackenden.an zwo Figuren von Baſalt, und, was den Stand und die Bekleidung be-
trifft, an einer Figur in der Villa Albani, aus eben dem Steine, zeigen.
aa deren
Eigenſchaft.(Dieſe hat nicht ihren alten Kopf, Arme und Beine.)
Das Geſicht 5) der einen von den erſteren hat eine der Griechiſchen
aͤhnliche Form, bis auf den Mund, welcher aufwerts gezogen iſt, und das
Dieſe Figuren koͤnnen von Aegyptiſchen Meiſtern, aber unter der Re-bb. Beſondere
algemeine An-
merkungen.
gierung der Griechen, gemacht ſeyn, die ihre Goͤtter, und alſo auch ihre
Kunſt in Aegypten einfuͤhreten, ſo wie ſie wiederum Aegyptiſche Gebraͤuche
annahmen. Denn da die Aegypter zur Zeit des Plato, das iſt, da ſie
von den Perſern beherrſchet wurden, Statuen machen laſſen, wie die oben
angefuͤhrte Nachricht deſſelben bezeuget, ſo wird auch unter den Ptolemaͤern
die Kunſt von ihren eigenen Meiſtern geuͤbet worden ſeyn, welches die fort-
daurende Beobachtung ihres Goͤtterdienſtes um ſo viel wahrſcheinlicher
machet. Die Figuren dieſes letztern Stils unterſcheiden ſich auch dadurch,
daß ſie keine Hieroglyphen haben, welche ſich an den mehreſten aͤlteſten
Aegyptiſchen Figuren, theils an deren Baſe, theils an der Saͤule, an wel-
cher ſie ſtehen, finden. Der Stil aber iſt hier allein das Kennzeichen, nicht
die Hieroglyphen: denn ob ſich gleich dieſelben auf keiner Nachahmung
Aegyptiſcher Figuren, von welchen in dem naͤchſten dritten Abſatze zu reden
Was die Bekleidung anbetrifft, ſo bemerket man an allen drey oben
angefuͤhrten Weiblichen Statuen zwey Unterkleider, einen Rock, und einen
Mantel. Dieſes aber widerſpricht dem Herodotus nicht, welcher ſaget 2),
daß die Weiber nur ein einziges Kleid haben: denn dieſes iſt vermuthlich
von dem Rocke, oder dem Oberkleide derſelben, zu verſtehen. Das eine
Unterkleid iſt an den zwo Statuen im Campidoglio in kleine Falten gele-
get, und haͤnget vorwerts bis auf die Zehen, und ſeitwerts auf die Baſe
derſelben herunter; an der dritten Statue in der Villa Albani iſt es, weil
die alten Beine fehlen, nicht zu ſehen. Dieſes Unterkleid, welches, allem
Anſehen nach, von Leinewand ſcheinet geweſen zu ſeyn, war etwa uͤber die
Huͤfte angeleget. Das andere Unterkleid, welches offenbar eine ſehr feine
Leinewand vorſtellet, war wie ein Oberhemde; es bedeckete die Weibliche
Bruſt bis an den Hals, und war mit kurzen Ermeln, welche nur bis an
das Mittel des Obertheils des Armes reichen. An dieſen Ermeln, welche
durch einen erhabenen Rand und Vorſprung angezeiget ſind, iſt dieſes Un-
terkleid an den zwo erſteren Statuen nur allein ſichtbar; die Bruͤſte ſchei-
nen voͤllig bloß zu ſeyn, ſo durchſichtig und fein muß man ſich dieſes Zeug
vorſtellen. Auf der dritten Statue aber erſcheinet es deutlicher auf den
Der Rock iſt an der erſten und an der dritten Statue ſehr aͤhnlich,
und lieget dicht am Fleiſche, außer einigen ſehr flachen Falten, welche ſich
ziehen. Der Rock gehet allen dreyen bis unter die Bruͤſte, und bis dahin
wird derſelbe durch den Mantel hinaufgezogen und gehalten.
Der Mantel iſt an zween ſeiner Zipfel uͤber beyde Achſeln gezogen, und
durch dieſe Zipfel iſt der Rock unter die Bruͤſte gebunden; das uͤbrige von
den Enden haͤngt unter den gebundenen Knoten von der Bruſt herunter;
auf eben die Art, wie der Rock mit den Enden des Mantels geknuͤpfet iſt
an der ſchoͤnen Iſis in Lebensgroͤße im Campidoglio, und an einer groͤßeren
Iſis im Pallaſte Barberini, welche beyde von Marmor, und Griechiſche
Arbeiten ſind. Hierdurch wird der Rock in die Hoͤhe gezogen, und die
ſanften Falten, welche ſich auf den Schenkeln der Beine werfen, gehen alle
zugleich mit aufwerts, und von der Bruſt haͤnget zwiſchen den Beinen bis
auf die Fuͤße herunter, eine einzige gerade Falte. An der dritten Statue
in der Villa Albani iſt ein kleiner Unterſchied: es gehet nur einer von den
Zipfeln des Mantels uͤber die Achſel heruͤber, der andere iſt unter der lin-
ken Bruſt herumgenommen, und beyde Zipfel ſind zwiſchen den Bruͤſten
mit dem Rocke geknuͤpfet. Weiter iſt der Mantel nicht ſichtbar, und da
derſelbe hinten haͤngen ſollte, iſt er gleichſam durch die Saͤule bedecket,
an welche die erſte und die dritte ſtehen: die zweyte hat den Ruͤcken frey,
und ohne Saͤule, und hat dem Mantel vor dem Unterleib herumgenommen.
Der dritte Abſatz dieſes zweyten Stuͤcks handelt von Figuren, welcheC.
Von der
Nachahmung
Aegyptiſcher
Werke unter
dem Kaiſer
Hadriano.
a. allgemein.
den alten Aegyptiſchen Figuren aͤhnlicher, als jene, kommen, und weder in
Aegypten, noch von Kuͤnſtlern dieſes Landes, gearbeitet worden, ſondern
Nachahmungen Aegyptiſcher Werke ſind, welche Kaiſer Hadrian machen
In beyden Arten finden ſich einige, welche in Stand und Richtung
den aͤlteſten Aegyptiſchen Figuren voͤllig aͤhnlich ſind, das iſt, ſie ſtehen
voͤllig gerade, und ohne Handlung, mit ſenkrecht haͤngenden, und an der
Seite und den Huͤften feſt anliegenden Armen; ihre Fuͤße gehen parallel,
und ſie ſtehen, wie die Aegyptiſchen, an einer eckigten Saͤule. Andere haben
zwar eben denſelben Stand, aber nicht die Arme unbeweglich, ſondern ſie
tragen oder zeigen mit derſelben. Dieſe Figuren haben nicht alle ihre alten
Koͤpfe, ſo wie auch die im vorigen Capitel angefuͤhrte Iſis einen neuen
Kopf hat. Dieſes iſt wohl zu merken, weil es denen, die uͤber dieſe Sta-
tuen geſchrieben haben, nicht allezeit bekannt geweſen, und Bottari 1)
haͤlt ſich bey dem Kopfe gedachter Iſis viel auf. Die Haarflechten, welche
auf der Achſel liegen, hatten ſich erhalten, und nach Anweiſung derſelben
ſind die Locken an dem neuen Kopfe gearbeitet. Nach der Ergaͤnzung die-
ſer Statue fand ſich der alte wahre Kopf derſelben, welchen der Cardinal
Polignac kaufte, deſſen Muſeum der Koͤnig in Preußen erſtanden 2). Ich
will hier die verſchiedenen Gattungen der Werke in dieſer Art, und unter
denſelben die betraͤchtlichſten Stuͤcke, mit einer Beurtheilung ihrer Zeich-
nung und Form anzeigen, und hernach die Bekleidung in dieſem Abſatze
beruͤhren.
Von Statuen ſind insbeſondere 3) zwo von roͤthlichem Granite, welche
an der Wohnung des Biſchoffs zu Tivoli ſtehen, und der angefuͤhrte Aegy-
Von erhobenen Arbeiten, welche zu dieſen Nachahmungen gehoͤren, iſt
vornehmlich diejenige von gruͤnem Baſalt anzufuͤhren, welche in dem Hofe
des Pallaſtes Maltei ſtehet 2), und eine Proceſſion eines Aegyptiſchen
Opfers vorſtellet. Ein anderes Werk von dieſer Art iſt zu Ende dieſes
Capitels in Kupfer vorgeſtellet, und iſt bereits anderwerts von mir
beruͤhret. Die Iſis auf demſelben iſt gefluͤgelt, und die Fluͤgel ſind von
hinten vorwerts herunter geſchlagen, und bedecken den ganzen Unterleib.
Die Iſis auf der Iſiſchen Tafel hat ebenfalls große Fluͤgel, welche aber
uͤber den Huͤften ſtehen, und vorwerts ausgeſtrecket ſind, um gleichſam die
Figur zu beſchatten, nach Art der Cherubinen. Eben ſo ſieht man 3) auf
einer Muͤnze der Inſel Maltha zwo Figuren, wie Cherubine, und welches
zu merken iſt, mit Ochſen-Fuͤßen, wie jene geſtaltet, welche gegen einan-
der ſtehen, und die Fluͤgel von den Huͤften herunter eine gegen die andere
ausdehnen. Auch auf einer Mumie 4) findet ſich eine Figur mit Fluͤgeln
an den Huͤften, welche ſich erheben, um eine andere ſitzende Gottheit zu
beſchatten.
Ich kann nicht unberuͤhret laſſen, daß die Iſiſche oder Bembiſche
Tafel von Erzt mit eingelegten Figuren von Silber, von Warburthon 5)
Nebſt den angefuͤhrten Statuen und erhobenen Werken gehoͤren hier-
her die Canopi in Stein, welche ſich erhalten haben, und geſchnittene
Steine mit Aegyptiſchen Figuren und Zeichen. Von den Canopen ſpaͤte-
rer Zeiten, beſitzet der Herr Card. Alex. Albani die zween ſchoͤnſten, in gruͤ-
nem Baſalt, von welchen der beſte 1) bereits bekannt gemacht iſt; ein an-
derer aͤhnlicher Canopus aus eben dem Steine, ſtehet im Campidoglio, und
iſt, wie jene, in der Villa Hadriani zu Tivoli gefunden. Die Zeichnung
und Form der Figuren auf denſelben, und ſonderlich des Kopfs, laſſen kei-
nen Zweifel uͤber die Zeit, in welcher ſie gemachet worden. Unter den
geſchnittenen Steinen ſind alle diejenigen Scarabei, deren erhobene runde
Seite einen Kaͤfer, die flache aber eine Aegyptiſche Gottheit vorſtellet, von
ſpaͤteren Zeiten. Die Scribenten, welche dergleichen Steine 2) fuͤr ſehr
alt halten, haben kein anderes Kennzeichen vom hohen Alterthume, als
die Ungeſchicklichkeit, und von Aegyptiſcher Arbeit gar keins. Ferner ſind
alle geſchnittene Steine mit Figuren oder Koͤpfen des Serapis und Anu-
bis von der Roͤmer Zeit. Serapis hat nichs Aegyptiſches, und man ſagt
auch, daß der Dienſt dieſer Gottheit aus Thracien gekommen, und aller-
erſt 3) durch den erſten Ptolemaͤus in Aegypten eingefuͤhret worden. Von
Steinen mit dem Anubis ſind funfzehen in dem Stoßiſchen Muſeo, und
alle von ſpaͤterer Zeit. Die geſchnittenen Steine, welche man Abraxas
In der Bekleidung der Figuren, welche Nachahmungen der aͤlteſten
Aegyptiſchen ſind, verhaͤlt es ſich allgemein, wie mit der Zeichnung und
der Form derſelben. Einige Maͤnnliche Figuren ſind, wie die wahren Aegy-
ptiſchen, nur mit einem Schurze angethan, und diejenige, welche, wie
ich gedacht habe, an dem befchornen Kopfe eine Locke auf der rechten Seite
haͤngen hat, iſt ganz nackend, wie ſich keine alte Maͤnnliche Figur der
Aegypter findet. Die Weiblichen ſind, wie jene, ganz bekleidet, auch ei-
nige nach der im erſten Abſatze dieſes Stuͤcks angezeigten aͤlteſten Art, ſo
daß die Bekleidung durch einen kleinen Vorſprung an den Beinen, und
durch einen Rand am Halſe, und oben auf den Armen angedeutet worden.
Von dem Unterleibe haͤnget an einigen dieſer Figuren eine einzige Falte
zwiſchen den Beinen herunter; an dem Leibe muß die Bekleidung nur ge-
dacht worden. Ueber eine ſolche Bekleidung haben die Weiblichen Figu-
ren einen Mantel, welcher von den Schultern herunter vorne auf der Bruſt
zuſammen gebunden iſt, ſo wie ihn auch die Griechiſche Iſis insgemein
hat; weiter aber iſt nichts von dem Mantel zu ſehen. Als etwas beſon-
ders iſt eine Maͤnnliche Figur von ſchwarzem Marmor, in der Villa Albani,
von welcher der Kopf verlohren gegangen iſt, anzumerken, welche eben auf
die Art, wie die Weiber, gekleidet iſt; das Geſchlecht aber iſt durch die
unter dem Gewande erhobene Anzeige deſſelben kenntlich. Eine Iſis in
Marmor 1), in der Gallerie Barberini, um welche ſich eine Schlange ge-
wickelt hat, traͤgt eine Haube, wie Aegyptiſche Figuren, und ein Gehaͤng
von einigen Schnuͤren 2) uͤber der Bruſt 3), nach Art der Canopen.
Dieſes ſind die drey Abſaͤtze dieſes zweyten Stuͤcks von dem Stil der
Aegyptiſchen Kunſt: der erſte von dem aͤlteſten Stil, der andere von dem
folgenden und ſpaͤtern Stil, und der dritte von den Nachahmungen
Aegyptiſcher Werke.
Das dritte Stuͤck des zweyten Abſchnittes dieſes Capitels, betrifftIII.
Das Mecha-
niſche Theil
der Aegypti-
ſchen Kunſt.
das Mechaniſche Theil derſelben, und zwar erſtlich die Ausarbeitung ihrer
Werke, und zweytens die Materie, in welcher ſie gearbeitet ſind.
In Abſicht der Ausarbeitung berichtet Diodorus 1), daß die Aegy-A.
Von Ausar-
beitung ihrer
Werke.
ptiſchen Bildhauer den noch unbearbeiteten Stein, nach dem ſie ihre feſt-
geſetzte Maaß auf denſelben getragen, auf deſſen Mittel von einander ge-
ſaͤget, und daß ſich zween Meiſter in die Arbeit einer Figur getheilet.
Nach eben der Art ſollen Telecles und Theodorus aus Samos, eine Sta-
tue des Apollo von Holz, zu Samos in Griechenland, gemachet haben;
Telecles die eine Haͤlfte zu Epheſus, Theodorus die andere Haͤlfte zu Samos.
Dieſe Statue war unter der Huͤfte bis an die Schaam herunter, auf ihr
Mittel getheilet, und hernach wiederum an dieſem Orte zuſammengeſetzet,
ſo daß beyde Stuͤcke vollkommen aufeinander paſſeten 2). So und nicht
anders kann der Geſchichtſchreiber verſtanden werden. Denn iſt es glaub-
lich, wie es alle Ueberſetzer nehmen, daß die Statue von dem Wirbel bis
auf die Schaam getheilet geweſen, ſo wie Jupiter 3), nach der Fabel, das
erſte Geſchlecht doppelter Menſchen von oben mitten durch geſchnitten?
Alle uͤbrig gebliebene Aegyptiſche Figuren ſind mit unendlichem Fleiße
geendiget, geglaͤttet und geſchliffen, und es iſt keine einzige mit dem bloßen
Eiſen voͤllig geendiget, wie einige der beſten Griechiſchen Statuen in Mar-
mor; weil auf dieſem Wege dem Granite und dem Baſalte keine glatte
Flaͤche zu geben war. Die Figuren an der Spitze der hohen Obelisken
Die Augen hoͤhleten die Aegyptiſchen Kuͤnſtler zuweilen aus, um
einen Augapfel von beſonderer Materie hineinzuſetzen, wie man an einem
angefuͤhrten Kopfe von gruͤnlichem Baſalte in der Villa Albani, und an
einem anderen abgebrochenen Kopfe in der Villa Altieri ſieht. An einem
anderen Kopfe nebſt der Bruſt in dieſer letzten Villa ſind die Augen aus
einem Steine ſo genau eingepaſſet, daß ſie hineingegoſſen ſcheinen.
Was zum zweyten die Materie betrifft, in welcher die AegyptiſchenB.
Von der Ma-
terie, in welche
die Aegypti-
ſchen Kuͤnſtler
gearbeitet.
Werke gearbeitet ſind, ſo finden ſich Figuren in Holz, in Erzt, und in
Stein. Holzerne Figuren, nach Art der Mumien geſtaltet, von Cedern,
ſind drey in dem Muſeo des Collegii St. Ignatii zu Rom, von welchen die
eine uͤbermalet iſt. Der Granit, welches 2) der Aethiopiſche Marmor
Von Baſalt ſind ebenfalls zwo Arten, der ſchwarze und der gruͤnli-
che: aus jenen ſind ſonderlich Thiere gearbeitet, als die Loͤwen am Auf-
gange zum Campidoglio, und die Sphinxe in der Villa Borgheſe. Die
zween groͤßten Sphinxe aber, einer im Vaticano, der andere in der Villa
Giulia, beyde von zehen Palme lang, ſind von roͤthlichem Granite. Der
Kopf derſelben iſt zween Palme lang. Aus ſchwarzem Baſalte ſind unter
andern die zwo angefuͤhrten Statuen des folgenden und ſpaͤtern Aegyptiſchen
Stils im Campidoglio, und einige kleinere Figuren. Von Figuren aus
gruͤnlichem Baſalte, finden ſich Schenkel und die untergeſchlagene Beine
in der Villa Altieri, nebſt einer ſchoͤnen Baſe mit Hieroglyphen, und den
Fuͤßen einer Weiblichen Figur auf derſelben, in dem Muſeo des Collegii
St. Ignatii zu Rom. Aus eben dieſem Steine ſind Nachahmungen
Aegyptiſcher Werke in ſpaͤtern Zeiten gemachet, wie die Canopi ſind, und
ein kleiner ſitzender Anubis im Campidoglio.
Außer dieſen gewoͤhnlichen Steinen finden ſich auch Figuren in Ala-
baſter, Porphir, Marmor, und Plaſma von Smaragd. Der Alabaſter
wurde 3) bey Theben in großen Stuͤcken gebrochen, und es findet ſich eine
Von Porphir finden ſich zwo Arten, der rothe und der gruͤnliche,
welches der ſeltenſte, und zuweilen wie mit Gold beſpritzet iſt, welches
Plinius 2) von dem Thebaniſchen Steine ſaget. Von dieſer Art ſind keine
Figuren, aber Saͤulen uͤbrig, welches die allerkoſtbarſten ſind; viere wa-
ren in dem Pallaſte Farneſe, welche nach Neapel gefuͤhret worden, und
in der Gallerie zu Portici dienen ſollen. Zwo ſtehen vor der Porta St.
In Marmor finden ſich, außer einem einzigen Kopfe, auf dem Cam-
pidoglio eingemauert, welcher oben angefuͤhret iſt, keine alten Aegyptiſchen
Werke in Rom; von weißem Marmor aber waren in Aegypten große Ge-
baͤude aufgefuͤhret, wie die langen Gaͤnge und Saͤle 1) in der großen Py-
ramide ſind 2). Man ſieht noch itzo daſelbſt von einem gelblichen Marmor
Stuͤcke von Obelisken 3), von Statuen 4), und Sphinxe, von welchen der
eine zwey und zwanzig Fuß in der Laͤnge hat, ja Coloſſaliſche Statuen,
von weißem Marmor 5). Man hat auch ein Stuͤck von einem Obelisko in
ſchwarzem Marmor 6) gefunden. Aus Roſſo antico iſt in der Villa Albani
der Obertheil einer großen Statue; dieſelbe aber iſt, wie der Stil giebt,
vermuthlich unter dem Kaiſer Hadrian gemacht, in deſſen Villa zu Tivoli
dieſes Stuͤck entdecket worden. Aus Plaſma von Smaragd befindet ſich
eine einzige kleine ſitzende Figur, in Geſtalt der Statue von Alabaſter, in
eben dieſer Villa.
Ich ſchließe dieſe Abhandlung uͤber die Kunſt der Aegypter mit der
Anmerkung, daß niemals Muͤnzen dieſes Volks entdecket worden, aus
welchen die Kentniß ihrer Kunſt haͤtte koͤnnen erweitert werden, und man
koͤnnte daher zweifeln, ob die alten Aegypter gepraͤgte Muͤnzen gehabt
haͤtten, wenn ſich nicht einige Anzeige bey den Scribenten faͤnde, wie der
ſogenannte Obolus iſt, welcher den Todten in den Mund geleget wurde;
und dieſerwegen iſt an Mumien, ſonderlich den uͤbermalten, wie die zu Bo-
Die Geſchichte der Kunſt der Aegypter iſt, nach Art des Landes derſelben,
wie eine große veroͤdete Ebene, welche man aber von zween oder drey hohen
Thuͤrmen uͤberſehen kann. Der ganze Umfang der alten Aegyptiſchen Kunſt
hat zween Perioden, und aus beyden ſind uns ſchoͤne Stuͤcke uͤbrig, von wel-
chen wir mit Grunde uͤber die Kunſt ihrer Zeit urtheilen koͤnnen. Mit der
Griechiſchen und Hetruriſchen Kunſt hingegen verhaͤlt es ſich, wie mit ihrem
Lande, welches voller Gebuͤrge iſt, und alſo nicht kann uͤberſehen werden. Und
daher glaube ich, daß in gegenwaͤrtiger Abhandlung von der Aegyptiſchen
Kunſt, derſelben das noͤthige Licht gegeben worden.
Von der Kunſt dieſer beyden Voͤlker iſt, außer hiſtoriſchen Nachrichten,
und einigen allgemeinen Anzeigen, nichts beſtimmtes nach allen ein-
zelnen Theilen ihrer Zeichnung und Figuren zu ſagen; es iſt auch wenig
Hoffnung zu Entdeckungen großer und betraͤchtlicher Werke der Bildhaue-
rey, aus welchen mehr Licht und Kenntniß zu ſchoͤpfen waͤre. Da ſich
aber von den Phoͤniciern Muͤnzen, und von den Perſiſchen Kuͤnſtlern er-
hobene Arbeiten erhalten haben, ſo konnten dieſe Voͤlker in dieſer Geſchich-
te nicht gaͤnzlich mit Stillſchweigen uͤbergangen werden.
Die Phoͤnicier bewohneten die ſchoͤnſten Kuͤſten von Aſien und AfricaI.
Von der
Kunſt der
Phoͤnieier.
am Mittellaͤndiſchen Meere, außer andern eroberten Laͤndern, und Carthago,
ihre Pflanzſtadt, welche, wie 1) einige wollen, ſchon funfzig Jahre vor der
Eroberung von Troja gebauet geweſen, lag unter einem ſo immer gleichenA.
Von der Na-
tur des Lan-
des, Bildung
der Einwoh-
ner, von ihren
Wiſſenſchaf-
ten, Pracht
und Handel.
Himmel, daß, nach dem Berichte 2) der neuern Reiſenden, zu Tunis, wo
ehemals jene beruͤhmte Stadt lag, der Thermometer allezeit auf den neun
und zwanzigſten oder dreyßigſten Grad ſtehet. Daher muß die Bildung
dieſes Volks, welches, wie Herodotus 3) ſaget, die geſuͤndeſten unter allen
Menſchen waren, ſehr regelmaͤßig, und folglich die Zeichnung ihrer Figu-
ren dieſer Bildung gemaͤß geweſen ſeyn. Livius 4) redet von einem auſ-
ſerordentlich ſchoͤnen jungen Numidier, welchen Scipio in der Schlacht
mit dem Asdrubal bey Baͤcula in Spanien gefangen nahm, und die be-
ruͤhmte Puniſche Schoͤnheit, Sophonisba, des Asdrubals Tochter, welche
zu erſt mit dem Syphax, und nachher mit dem Maſiniſſa vermaͤhlet war,
iſt in allen Geſchichten bekannt.
Dieſes Volk war, wie Mela 1) ſaget, arbeitſam, und hatte ſich in
Kriegs- und Friedens-Geſchaͤften ſo wohl, als in Wiſſenſchaften und in
Schriften uͤber dieſelben, hervorgethan. Die Wiſſenſchaften bluͤheten ſchon
bey ihnen, da die Griechen noch ohne Unterricht waren, und Moſchus 2)
aus Sidon ſoll ſchon vor dem Trojaniſchen Kriege die Atomen gelehret ha-
ben. Die Aſtronomie und Rechenkunſt wurde bey ihnen, wo nicht erfun-
den, doch hoͤher, als anderwerts, gebracht. Vornehmlich aber ſind die
Phoͤnicier wegen vieler Erfindungen in den Kuͤnſten 3) beruͤhmt, und Ho-
merus 4) nennet daher die Sidonier große Kuͤnſtler. Wir wiſſen, daß
Salomon Phoͤniciſche Meiſter kommen ließ, den Tempel des Herrn und
das Haus des Koͤnigs zu bauen, und noch bey den Roͤmern wurden die
beſten Geraͤthe von Holz, von Puniſchen Arbeitern gemachet; daher ſich bey
ihren alten Scribenten von 5) Puniſchen Betten, Fenſtern, Preſſen und
Fugen Meldung findet.
Der Ueberfluß naͤhrete die Kuͤnſte: denn es iſt bekannt, was die Pro-
pheten von dem Pracht zu Tyrus reden: es waren daſelbſt, wie Strabo
an angefuͤhrtem Orte berichtet, noch zu ſeiner Zeit hoͤhere Haͤuſer, als ſelbſt
in Rom; und Appianus 6) ſaget, daß in der Byrſa, dem inneren Theile
der Stadt Carthago, die Haͤuſer von ſechs Geſtock geweſen. In ihren
Tempeln waren vergoldete Statuen, wie ein 7) Apollo zu Carthago war;
ja man redet von goldenen Saͤulen, und von Statuen von Smaragd.
Livius 8) meldet von einem ſilbernen Schilde von hundert und dreyßig
Pfund, auf welchem das Bildniß des Asdrubals, eines Bruders des
Hannibals, gearbeitet war. Es war derſelbe im Capitolio aufgehaͤnget.
Ihr Handel gieng durch alle Welt, und es werden die Arbeiten ihrer
Kuͤnſtler allenthalben umher gefuͤhret worden ſeyn. Selbſt in Griechenland
auf den Inſeln, welche die Phoͤnicier in den aͤlteſten Zeiten beſaßen, hatten ſie
Tempel gebauet: auf der Inſel Thaſos 1) den Tempel des Hercules, welcher
noch aͤlter war, als der Griechiſche Hercules. Es waͤre daher wahrſchein-
lich, daß die Phoͤnicier, welche unter die Griechen 2) die Wiſſenſchaften
eingefuͤhret, auch die Kuͤnſte, die bey ihnen zeitiger mußten gebluͤhet haben,
in Griechenland gepflanzet haͤtten, wenn andere oben gegebene Nachrichten
damit beſtehen koͤnnten. Beſonders zu merken iſt, daß Appianus von 3)
Joniſchen Saͤulen am Arſenale im Hafen zu Carthago Meldung thut. Mit
den Hetruriern hatten die Phoͤnicier noch groͤßere 4) Gemeinſchaft, und jene
waren unter andern mit den Carthaginenſern verbunden, da dieſe zur See
vom Koͤnige Hiero zu Syracus geſchlagen wurden.
Bey jenem ſo wohl als dieſem Volke ſind die gefluͤgelten Gottheiten ge-B.
Von Bildung
ihrer Gott-
heiten.
mein, doch ſind die Phoͤniciſchen Gottheiten vielmehr nach Aegyptiſcher Art
gefluͤgelt, das iſt, mit Fluͤgeln unter den Huͤften, welche von da bis auf die
Fuͤße die Figuren uͤberſchatten, wie wir auf Muͤnzen der Inſel Maltha 5)
ſehen, welche die Carthaginenſer 6) beſaßen: ſo daß es ſcheinen koͤnnte, die
Phoͤnicier haͤtten von den Aegyptern gelernet. Die Carthaginenſiſchen
Kuͤnſtler aber koͤnnen auch durch die Griechiſchen Werke der Kunſt, welche
ſie aus Sicilien wegfuͤhreten, erleuchtet ſeyn; dieſe ließ Scipio 7) nach der
Eroberung von Carthago wiederum zuruͤck ſchicken.
Von Werken der Phoͤniciſchen Kunſt aber iſt uns nichts uͤbrig geblie-C.
Von Werken
ihrer Kunſt.
ben, als Carthaginenſiſche Muͤnzen, welche in Spanien, Maltha und Si-
cilien gepraͤget worden. Von den erſten Muͤnzen befinden ſich zehen Stuͤcke
Von der beſondern Kleidung ihrer Figuren geben uns die Muͤnzen
ſo wenig, als die Scribenten von der Kleidung der Nation, Nachricht.
Ich entſinne mich nicht, daß man viel mehr wiſſe, als daß die Phoͤniciſche
Kleidung 6) beſonders lange Ermel hatte; daher die Perſon eines Africa-
ners in den Comoͤdien zu Rom 7) mit ſolchem Rocke vorgeſtellet wurde: und
man glaubet, daß die Carthaginenſer 8) keine Maͤntel getragen. Geſtreiftes
Zeug muß bey ihnen, wie bey den Galliern, ſehr uͤblich geweſen ſeyn, wie
der Phoͤniciſche Kaufmann unter den gemalten Figuren des Vaticaniſchen
Terentius zeiget.
Von der Kunſt unter den Juden, als Nachbarn der Phoͤnicier, wiſ-
ſen wir noch weniger, als von dieſen, und da die Kuͤnſtler dieſes letztern
Die Kunſt unter den Perſern verdienet einige Aufmerkſamkeit, daII.
Von der
Kunſt der
Perſer.
ſich Denkmale in Marmor und auf geſchnittenen Steinen erhalten haben.
Dieſe letzteren ſind walzenfoͤrmige Magnetſteine, auch Chalcedonier, undA.
Von Denk-
malen ihrer
Kunſt.
auf ihrer Axe durchboret. Unter andern, welche ich in verſchiedenen Samm-
lungen geſchnittener Steine geſehen habe, finden ſich zween 3) in dem Mu-
ſeo des Hrn. Grafen Caylus zu Paris, welcher dieſelben bekannt gemachet
hat: auf dem einen ſind fuͤnf Figuren geſchnitten, auf dem andern aber zwo,
Daß die Perſer, wie die aͤlteſten Griechiſchen Scribenten bezeugen,
wohlgebildete Menſchen geweſen, beweiſet auch ein Kopf mit einem Helme,
erhaben geſchnitten, und von ziemlicher Groͤße, mit alter Perſiſcher Schrift
umher, auf einer Paſte im Stoßiſchen Muſo 3). Dieſer Kopf hat eine
regelmaͤßige und den Abendlaͤndern aͤhnliche Bildung, ſo wie die vom
Bruyn 4) gezeichneten Koͤpfe der erhoben gearbeiteten Figuren zu Perſe-
polis 5), welche uͤber Lebensgroͤße ſind; folglich hatte die Kunſt von Sei-
ten der Natur alle Vortheile. Die Parther, welche ein großes Land des
ehemaligen Perſiſchen Reichs bewohneten, ſahen beſonders auf die Schoͤn-
heit in Perſonen, welche uͤber andere geſetzet waren, und Surenas 6), der
Feldherr des Koͤnigs Orodes, wird, außer andern Vorzuͤgen, wegen ſeiner
ſchoͤnen Geſtalt geruͤhmet, und dem ohngeachtet 7) ſchminkte er ſich.
Da aber unbekleidete Figuren zu bilden, wie es ſcheinet, wider die
Begriffe des Wohlſtandes der Perſer war, und die Entbloͤßung bey ihnen
eine 8) uͤble Bedeutung hatte, wie denn uͤberhaupt kein Perſer 9) ohne
Die Perſer ließen 1) ihre Haare wachſen, welche an einigen Maͤnn-
lichen Figuren, wie an den Hetruriſchen, in Strippe oder in Flechten 2) uͤber
die Achſeln vorwerts herunter haͤngen, und ſie banden insgemein ein feines
Tuch 3) um dem Kopf. Im Kriege trugen ſie gewoͤhnlich einen Hut 4), wie
ein Cylinder oder Thurm geſtaltet; auf geſchnittenen Steinen finden ſich auch
Muͤtzen mit einem hinaufgeſchlagenen Rande, wie an Pelz-Muͤtzen.
Eine andere Urſache von dem geringen Wachsthume der Kunſt unter
den Perſern, iſt ihr Gottesdienſt, welcher der Kunſt ganz und gar nicht vor-
theilhaft war: denn die Goͤtter, glaubeten ſie, koͤnnten oder muͤßten 5) nicht
in Menſchlicher Geſtalt gebildet werden; der ſichtbare Himmel nebſt dem
Feuer waren die groͤßten Gegenſtaͤnde ihrer Verehrung; und die aͤlteſten
Griechiſchen Scribenten behaupten ſo gar, daß ſie weder Tempel, noch Altaͤre
gehabt. Man findet zwar den Perſiſchen Gott Mithras an verſchiedenen
Orten in Rom, als in der Villa Borgheſe, Albani, und am Pallaſte Della
Valle, aber es findet ſich keine Nachricht, daß die Perſer denſelben alſo vor-
geſtellet haben. Es iſt vielmehr zu glauben, daß die angezeigten und ihnen
aͤhnlichen Vorſtellungen des Mithras von der Kaiſer Zeiten ſind, wie der Stil
der Arbeit zeiget, und daß die Verehrung dieſer Gottheit etwa von den Par-
thern hergenommen ſey, als welche 6) nicht bey der Reinigkeit ihrer Vorfah-
ren blieben, und ſich etwa Symboliſche Bilder von demjenigen macheten,
was die Perſer nicht ſinnlich verehreten. Man ſieht unterdeſſen aus ihren
Arbeiten, daß das Dichten und Bilder der Einbildung hervorbringen, auch
unter einem Volke, wo die Einbildung nicht viel Nahrung gehabt hat, den-
noch auch daſelbſt der Kunſt eigen geweſen iſt. Denn es finden ſich auf
Perſiſchen geſchnittenen Steinen Thiere mit Fluͤgeln und Menſchlichen Koͤ-
pfen, welche zuweilen zackigte Kronen haben, und andere erdichtete Geſchoͤpfe
In folgenden Zeiten, da in Parthien, einem Theile des ehemaligen Per-D.
Von der
Kunſt bey den
Parthern.
ſiſchen Reichs, ſich Koͤnige aufwarfen, und ein beſonderes maͤchtiges Reich
ſtifteten, hatte auch die Kunſt unter ihnen eine andere Geſtalt bekommen.
Die Griechen, welche ſchon von Alexanders Zeiten ſo gar in Cappadocien 1)
ganze Staͤdte bewohneten, und ſich in den aͤlteſten Zeiten 2) in Colchis nie-
dergelaſſen hatten, wo ſie Scythiſche Achaͤer hießen, breiteten ſich auch in
Parthien aus, und fuͤhreten ihre Sprache ein, ſo daß die Koͤnige daſelbſt,
wie Orosdes, an ihrem Hofe 3) Griechiſche Schauſpiele auffuͤhren ließen.
Artabazes, Koͤnig in Armenien, mit deſſen Tochter Pacorus, des Orodes
Sohn, vermaͤhlt war, hatte ſo gar Griechiſche Trauerſpiele, Geſchichte und
Reden hinterlaſſen. Dieſe Neigung der Parthiſchen Koͤnige gegen die Grie-
chen und gegen ihre Sprache, erſtreckete ſich auch auf Griechiſche Kuͤnſtler,
und die Muͤnzen dieſer Koͤnige mit Griechiſcher Schrift muͤſſen von Kuͤnſt-
lern dieſer Nation gearbeitet ſeyn. Dieſe aber ſind vermuthlich in dieſen
Laͤndern erzogen und gelehret worden: denn das Gepraͤge dieſer Muͤnzen
hat etwas fremdes, und man kann ſagen, barbariſches.
Ueber die Kunſt dieſer Mittaͤgigen und Morgenlaͤndiſchen Voͤlker zu-
ſammen genommen, koͤnnen noch ein paar allgemeine Anmerkungen beyge-
fuͤget werden. Wenn wir die Monarchiſche Verfaſſung in Aegypten ſo
wohl, als bey den Phoͤniciern und Perſern, erwegen, in welcher der unum-
ſchraͤnkte Herr die hoͤchſte Ehre mit niemanden im Volke theilete, ſo kann man
ſich vorſtellen, daß das Verdienſt keiner andern Perſon um ſein Vaterland,
mit Statuen belohnet worden, wie in freyen, ſo wohl alten als neuen, Staa-
ten geſchehen. Es findet ſich auch keine Nachricht von dieſer einem Unter-
than dieſer Reiche wiederfahrnen Dankbarkeit. Carthago war zwar in dem
Lande der Phoͤnicier ein freyer Staat, und regierete ſich nach ſeinen eigenen
Geſetzen, aber die Eiferſucht zwoer maͤchtigen Partheyen gegen einander
wuͤrde die Ehre der Unſterblichkeit einem jeden Buͤrger ſtreitig gemacht haben.
Ein Heerfuͤhrer ſtand in Gefahr, ein jedes Verſehen mit ſeinem Kopfe zu be-
zahlen; von großen Ehren-Bezeugungen bey ihnen meldet die Geſchichte
nichts. Folglich beſtand die Kunſt bey dieſen Voͤlkern mehrentheils bloß
auf die Religion, und konnte aus dem buͤrgerlichen Leben wenig Nutzen und
Wachsthum empfangen. Die Begriffe der Kuͤnſtler waren alſo weit ein-
geſchraͤnkter, als bey den Griechen, und ihr Geiſt war durch den Aberglau-
ben an angenommene Geſtalten gebunden.
Dieſe drey Voͤlker hatten in ihren bluͤhenden Zeiten vermuthlich wenig
Gemeinſchaft unter einander: von den Aegyptern wiſſen wir es, und die
Perſer, welche ſpaͤt einen Fuß an den Kuͤſten des Mittellaͤndiſchen Meers er-
langeten, konnten vorher mit den Phoͤniciern wenig Verkehr haben. Die
Sprachen dieſer beyden Voͤlker waren auch in Buchſtaben gaͤnzlich von einan-
der verſchieden. Die Kunſt muß alſo unter ihnen in jedem Lande eigen-
thuͤmlich geweſen ſeyn. Unter den Perſern ſcheinet die Bildung den gering-
ſten Wachsthum erlanget zu haben; in Aegypten gieng dieſelbe auf die Groß-
heit; und bey den Phoͤniciern wird man mehr die Zierlichkeit und Einheit
Es ſind keine Statuen aus dem Alterthume mehr zertruͤmmert, als die
Aegyptiſchen, und zwar von ſchwarzen Steinen. Von Griechiſchen Sta-
tuen hat die Wuth der Menſchen ſich begnuͤget, den Kopf und die Arme ab-
zuſchlagen, und das uͤbrige von der Baſe herunter zu werfen, welches im umſtuͤr-
zen zerbrochen iſt. Die Aegyptiſchen Statuen aber, welche im umwerfen nichts
wuͤrden gelitten haben, ſind mit großer Gewalt zerſchlagen, und die Koͤpfe,
die durch abwerfen und im wegſchlaͤudern unverſehrt geblieben ſeyn wuͤrden,
werden in viele Stuͤcken zertruͤmmert gefunden. Dieſe Wuth veranlaſſete
vermuthlich die ſchwarze Farbe dieſer Statuen, und der daraus erwachſene
Begriff von Werken des Fuͤrſten der Finſterniß, und von Bildern boͤſer Gei-
ſter, die man ſich in ſchwarzer Geſtalt einbildete. Zuweilen, ſonderlich an
Gebaͤuden, iſt es geſchehen, daß dasjenige zerſtoͤhret worden, was die Zeit
nicht haͤtte verwuͤſten koͤnnen, und dasjenige, was leichter durch allerhand
Zufaͤlle Schaden nehmen koͤnnen, iſt ſtehen blieben, wie Scamozzi 1) bey
dem ſogenannten Tempel des Nerva anmerket.
Zuletzt ſind, als etwas beſonders, einige kleine Figuren in Erzt anzuzei-
gen, welche auf Aegyptiſche Art geformet, aber mit Arabiſcher Schrift be-
zeichnet ſind. Es ſind mir von denſelben zwo bekannt: die eine beſitzet
Hr. Aßemanni, Cuſtos der Vaticaniſchen Bibliothec, und die andere iſt in der
Gallerie des Collegii S. Ignatii zu Rom: beyde ſind etwa einen Palm hoch,
und ſitzend, und die letztere hat Schrift auf beyden Schenkeln, auf dem Ruͤ-
cken, und oben auf der platten Muͤtze. Es ſind dieſelben bey den Druſen,
Die Abhandlung uͤber die Kunſt der Hetrurier iſt in drey Stuͤcke zuInhalt dieſes
Capitels.
faſſen: das erſte und vorlaͤufige begreift diejenige Kenntniſſe, welche
das Verſtaͤndniß des zweyten und weſentlichen Stuͤcks erlaͤutern und er-
leichtern; und dieſes zweyte Stuͤck handelt von der Kunſt ſelbſt, von den
Eigenſchaften, Kennzeichen, und von den verſchiedenen Zeiten derſelben;
das dritte Stuͤck iſt eine Betrachtung uͤber die Kunſt unter den Nachbarn
der Hetrurier.
In dem erſten Stuͤcke ſind drey Saͤtze begriffen: der erſte enthaͤlt
eine Betrachtung uͤber die aͤußern Umſtaͤnde, und Urſachen von den Eigen-
ſchaften der Hetruriſchen Kunſt; der zweyte handelt von der Abbildung
ihrer Goͤtter und Helden; und im dritten Satze iſt eine Anzeige der vor-
nehmſten Werke der Hetruriſchen Kunſt.
Der erſte Satz beruͤhret vorher die der Kunſt vortheilhaften Umſtaͤnde
unter dieſem Volke, und ſuchet hernach eine wahrſcheinliche Urſache von
der Beſchaffenheit ihrer Kunſt zu geben. Was die Umſtaͤnde betrifft, in
A.
Die Freyheit
dieſes Volks,
welche der
Kunſt befoͤr-
derlich war.welchen ſich die Kunſt unter den Hetruriern befunden, ſo iſt gewiß, da die
Verfaſſung und Regierung in allen Laͤndern einen großen Einfluß in die-
ſelbe gehabt hat, daß in der Freyheit, welche dieſes Volk unter ihren Koͤ-
nigen genoß, die Kunſt, ſo wie ihre Kuͤnſtler, das Haupt erheben, und
zu einem großen Wachsthume gelangen koͤnnen. Die Koͤnigliche Wuͤrde
deutete bey ihnen keinen eigenmaͤchtigen Herrn, ſondern ein Haupt und ei-
nen Heerfuͤhrer an, deren zwoͤlfe waren 1), nach der Anzahl der Provinzen
dieſes Volks, und dieſe wurden von den zwoͤlf Staͤnden 2) gemeinſchaft-
lich gewaͤhlet. Dieſe zwoͤlf Regenten erkannten ein beſonderes Oberhaupt
uͤber ſich, welchen, wie jene, nur die Wahl zur hoͤchſten Wuͤrde erhoben
hatte. Die Hetrurier waren ſo eiferſuͤchtig uͤber die Freyheit, und ſo
große Feinde der Koͤniglichen Macht, daß dieſe ihnen auch unter Voͤlkern,
die nur mit ihnen in Buͤndniß ſtanden, verhaßt und unertraͤglich war.
Daher waren ſie hoͤchſt empfindlich uͤber die Vejenter, welche unter ſich eine
Aenderung in der Regierung machten, und an ſtatt der Haͤupter derſelben,
welche bisher bey dieſen 3) alle Jahre gewechſelt waren, ſich einen Koͤnig
waͤhleten. Dieſes geſchah im vierhunderten Jahre der Stadt Rom.
Die Hetrurier hatten noch zur Zeit des Marſiſchen Krieges ihre Freyheit
nicht vergeſſen: denn 4) ſie traten nebſt andern Voͤlkern in Italien wider
Da aber die Kunſt unter dieſem Volke die Hoͤhe der Griechi-B.
Die Gemuͤths-
Art der Hetru-
rier in welcher
die Eigenſchaf-
ten der Werke
ihrer Kunſt
koͤnnen geſu-
chet werden.
ſchen Kunſt nicht erreichet hat, und da in den Werken aus ihrer beſten
Zeit das Uebertriebene herrſchet, ſo muͤßte die Urſache hiervon in der Faͤ-
higkeit dieſes Volks ſelbſt zu ſuchen ſeyn. Einige Wahrſcheinlichkeit giebt
uns die Gemuͤthsart der Hetrurier, welche mehr, als das Griechiſche Ge-
bluͤt, mit Melancholie ſcheinet vermiſcht geweſen zu ſeyn, wie wir aus ihrem
Gottesdienſte, und aus ihren Gebraͤuchen ſchließen koͤnnen. Ein ſolches
Temperament, wovon die groͤßten Leute, wie Ariſtoteles ſagt, ihr Theil
gehabt haben, iſt zu tiefen Unterſuchungen geſchickt, aber es wirket zu hef-
tige Empfindungen, und die Sinne werden nicht mit derjenigen ſanften
Regung geruͤhret, welche den Geiſt gegen das Schoͤne vollkommen em-
pfindlich macht. Dieſe Muthmaßung gruͤndet ſich zum erſten auf die
Wahrſagerey, welche in den Abendlaͤndern unter dieſem Volke zuerſt er-
dacht wurde; daher heißt Hetrurien, die Mutter und Gebaͤhrerinn des
Aberglaubens 1), und die Schriften dieſer Wahrſagung erfuͤlleten diejenigen,
welche ſich in denſelben Raths erholeten, mit Furcht und Schrecken 2); in
ſo fuͤrchterlichen Bildern und Worten waren ſie abgefaſſet. Von ihren
Prieſtern koͤnnen diejenigen ein Bild geben, welche im 399. Jahre der
Stadt Rom, an der Spitze der Tarquinier 3), mit brennenden Fackeln und
Schlangen die Roͤmer anfielen. Auf dieſe Gemuͤthsart koͤnnte man ferner
ΗΡΠΑϹΑΝ ωϹ ΤϵΡΠΝΗΝ ΝΑΙΑΔϵϹ ΟΥ ΘΑΝΑΤΟϹ
Dulcem hanc rapuerunt Nymphae, non mors.
Die Natur aber und ihren Einfluß in die Kunſt zu uͤberwinden, wa-C.
Die ungluͤck-
lichen Kriege
mit den Roͤ-
mern, und der
Verfall ihrer
Verfaſſung,
wodurch der
Lauf der Kunſt
bey ihnen ge-
hemmet wur-
de.
ren die Hetrurier nicht lange genug gluͤcklich: denn es erhoben ſich bald
nach Einrichtung der Republic zu Rom blutige, und fuͤr die Hetrurier un-
gluͤckliche Kriege mit den Roͤmern, und einige Jahre nach Alexanders
des Großen Tode wurde das ganze Land von ihren Feinden uͤberwaͤltiget,
und ſo gar ihre Sprache, nachdem ſich dieſelbe nach und nach in die Roͤmi-
ſche verkleidet hatte, verlohr ſich. Hetrurien wurde in eine Roͤmiſche Pro-
vinz verwandelt, nachdem der letzte Koͤnig Aelius Volturrinus in der
Schlacht bey dem See Lucumo geblieben war; dieſes geſchah im 474.
Jahre nach Erbauung der Stadt Rom, und in der 124. Olympias. Bald
nachher, nemlich im 489. Jahre der Roͤmiſchen Zeitrechnung, und in der
129. Olympias, wurde Volſinium, itzo Bolſena, „eine Stadt der
Kuͤnſtler„, nach der Bedeutung des Namens, welchen einige 1) aus dem
Phoͤniciſchen herleiten, vom Marcus Flavius Flaccus erobert, und es
wurden aus dieſer Stadt alleine zweytauſend Statuen 2) nach Rom gefuͤh-
ret; und eben ſo werden auch andere Staͤdte ausgeleeret worden ſeyn. Unter-
deſſen wurde die Kunſt unter den Hetruriern noch damals, als ſie den Roͤ-
mern unterthaͤnig waren, wie unter den Griechen, da dieſe einerley Schick-
ſaal mit jenen hatten, geuͤbet, wie im folgenden wird angefuͤhret werden.
Von Hetruriſchen Kuͤnſtlern finden wir namentlich keine Nachricht, den
einzigen Mneſarchus, des Pythagoras Vater, ausgenommen, welcher in
Stein gegraben hat, und aus Thuſcien oder Hetrurien geweſen ſeyn ſoll.
In freta dum fluvii current, dum montibus umbrae
Luſtrabunt convexa, polus dum ſidera paſcet:
Semper honos, nomenque tuum, laudesque manebunt.
Der zweyte Satz dieſes Stuͤcks von der Vorſtellung der Hetruriſchen
Goͤtter und Helden begreift nicht den ganzen Umfang aller Nachrichten,
ſondern nur das Nuͤtzliche, und Anmerkungen, welche zum Theil nicht ge-
macht ſind, und naͤher zu meinem Zwecke dienen.
Es finden ſich unter den Bildern der Goͤtter einige dieſem Volke allein
eigene Vorſtellungen; die mehreſten aber hat daſſelbe mit den Griechen ge-
mein: welches zugleich anzeiget, daß die Hetrurier und Griechen einerley
Urſprung haben, und zwar von den Pelasgern, wie die alten Scribenten
berichten, und die Neueren 1) in gelehrten Unterſuchungen beſtaͤtigen, und
daß dieſe Voͤlker beſtaͤndig in einer gewiſſen Gemeinſchaft geſtanden ſeyn.
Die Abbildung verſchiedener Hetruriſchen Gottheiten ſcheinet uns
ſeltſam; es waren aber auch unter den Griechen fremde und auſſerordent-
liche Geſtalten, wie die Bilder auf dem Kaſten des Cypſelus, bezeugen,
welche Pauſanias beſchreibet. Denn ſo wie die erhitzte und ungebundenen
Einbildung der erſten Dichter, theils zu Erweckung der Aufmerkſamkeit
und Verwunderung, theils zu Erregung der Leidenſchaften, fremde Bilder
ſucheten, und die den damals ungeſitteten Menſchen, mehr Eindruck als
zaͤrtliche Bilder, machen konnten, eben ſo und aus einerley Gruͤnden bil-
dete auch die Kunſt dergleichen Geſtalten. Der Jupiter in Pferdemiſt ein-
gehuͤllet, welchen ſich der Dichter Pampho 2), vor dem Homerus, einbildete,
iſt nicht fremder vorgeſtellet, als in der Kunſt der Griechen, Jupiter
Apomyos, oder Muſcarius, in Geſtalt einer Fliege, deren Fluͤgel den
Bart bilden, der Leib das Geſicht, und auf dem Kopfe iſt an der Stelle
der Haare, der Kopf der Fliege: ſo findet ſich derſelbe auf geſchnittenen
Steinen 3).
Die obern Goͤtter haben ſich die Hetrurier mit Wuͤrdigkeit vorgeſtel-C.
Bildung der
obern Goͤtter.
a. mit Fluͤ-
geln.
let und gebildet, und es iſt von den ihnen beygelegten Eigenſchaften erſtlich
allgemein, und hernach insbeſondere zu reden. Jupiter 1) auf einer alten
Paſte; und auf einem Carniole des Stoßiſchen Muſei, wie er in ſeiner
Herrlichkeit der Semele erſcheinet, iſt mit Fluͤgeln vorgeſtellet. Diana iſt,
wie bey den aͤlteſten Griechen 2), alſo auch bey den Hetruriern gefluͤgelt,
und die Fluͤgel, welche man den Nymphen der Diana auf einer Begraͤb-
niß-Urne, im Campidoglio, gegeben, ſind vermuthlich von den aͤlteſten
Bildern derſelben genommen. Minerva hat bey den Hetruriern nicht
allein Fluͤgel auf den Achſeln 3), ſondern auch an den Fuͤßen 4); und ein
Brittiſcher Scribent 5) irret ſehr, wenn er vorgiebt, es finde ſich keine ge-
fluͤgelte Minerva, auch nicht einmal von Scribenten angefuͤhret. Venus
findet ſich ebenfalls mit Fluͤgeln 6). Andern Gottheiten ſetzten die He-
trurier Fluͤgel an dem Kopfe, wie der Liebe, der Proſerpina, und den
Furien. Es finden ſich ſo gar Wagen mit Fluͤgeln 7); aber auch dieſes
hatten ſie mit den Griechen gemein: denn auf Eleuſiniſchen Muͤnzen 8)
ſitzet Ceres auf einem ſolchen Wagen von zwo Schlangen gezogen.
Es gaben auch die Hetrurier neun Gottheiten den Donnerkeil, wieb. mit Don-
nerkeilen.
Plinius 9) lehret; er ſaget aber nicht, welche dieſelben ſind, und nie-
mand nach ihm. Wenn wir die bey den Griechen alſo bewaffnete Goͤtter
ſammlen, finden ſich eben ſo viel. Unter den Goͤttern war, außer dem Ju-
piter, dem Apollo 10) zu Heliopolis in Aſſyrien verehret, der Donnerkeil
beygeleget, auch auf einer Muͤnze 11) der Stadt Thyrria in Arcadien;
Von beſondern Vorſtellungen einzelner Gottheiten iſt unter den
Maͤnnlichen zu merken Apollo 9), mit einem Hute von dem Kopfe herunter
auf die Schulter geworfen, ſo wie Zethus 10), der Bruder des Amphion,
auf zwo erhobenen Arbeiten in Rom, vorgeſtellet iſt; vermuthlich auf
deſſen Schaͤfer-Stand bey dem Koͤnige Admetus zu deuten: denn die das
Feld baueten 11), oder Land-Leute waren, trugen Huͤte. Und ſo wuͤrden
die Griechen den Ariſteas, des Apollo und der Cyrene Sohn, welcher die
Bienen-Zucht 12) gelehret, gebildet haben: denn Heſiodus nennet ihn den
Feld-Apollo 13). Die Huͤte waren weiß 14). Mercurius hat auf einigen
Hetruriſchen Werken einen ſpitzigen und vorwerts gekruͤmmeten Bart,
welches die aͤlteſte Form ihrer Baͤrte iſt; und ſo ſieht man dieſen Gott
Unter den Goͤttinnen iſt beſonders eine Juno, auf dem angefuͤhrtenb. Weiblichen
Geſchlechts.
Hetruriſchen Altare in der Villa Borgheſe, zu merken, welche mit beyden
Haͤnden eine große Zange haͤlt, und ſo wurde dieſelbe auch von den Grie-
chen 5) vorgeſtellet. Dieſes war eine Juno Martialis, und die Zange
Ich wiederhole, wie ich mich vorher erklaͤret habe, daß ich keine Ge-E.
Der Helden
auf Hetruri-
ſchen Denk-
maalen.
ſchichte der Hetruriſchen Goͤtter geben will: die von ihren Kuͤnſtlern vor-
geſtelleten Helden aber, finden ſich bis itzo in geringer Anzahl, und dieſelben
ſind nicht von ihrem Volke, ſondern von den Griechen genommen. Die
bekannten ſind fuͤnf von den ſieben Helden, welche vor Theben zogen;
ferner Tydeus, einer unter denſelben, beſonders vorgeſtellet; Peleus, des
Achilles Vater, und Achilles: dieſe Figuren haben ihre Namen in Hetru-
riſcher Sprache beygeſetzet, und die Steine ſelbſt ſind im folgenden Satze
beſchrieben. Dieſe Abbildung der Helden von einem andern Volke genom-
men, giebt Anlaß zu muthmaßen, daß es ſich, in Abſicht der Heldengeſchich-
te, mit den Griechen und Hetruriern verhalten habe, wie mit den Proven-
zalen und Italienern. So wie in der Provenza in Frankreich die erſten
Romane, oder Helden- und Liebes-Gedichte, in der mittlern Zeit gemacht
wurden, aus welchen andere Voͤlker, auch ſelbſt die Italiener, die ihrigen
zogen, eben ſo ſcheinen die Hetrurier dieſes Theil der Dichtkunſt nicht vor-
zuͤglich geuͤbet zu haben; daher die Helden der Griechen vorzuͤglich vor den
ihrigen, Vorwuͤrfe der Hetruriſchen Kuͤnſtler wurden. Ihre Goͤtter ha-
ben ihre eigenen Hetruriſchen Namen, die Helden aber ihre Griechiſchen
Namen behalten, welche nach ihrer Ausſprache dieſer Worte in etwas ge-
aͤndert ſind.
Der dritte Satz dieſes erſten vorlaͤufigen Stuͤcks giebt eine AnzeigeIII.
Anzeige der
vornehmſten
Hetruriſchen
Werke der
Kunſt.
der vornehmſten Werke der Hetruriſchen Kunſt, und ihrer Ausarbeitung,
welche Hiſtoriſch iſt, das iſt, die Werke werden nach ihrer Beſchaffenheit
und den Figuren beſchrieben; die beſondere Unterſuchung und Beurtheilung
derſelben aber in Abſicht der Kunſt, gehoͤret zu dem folgenden zweyten
Stuͤcke. Ich muß aber hier unſere mangelhafte Kenutniß beklagen, die
ſich nicht allezeit wagen kann, das Hetruriſche von dem aͤlteſten Griechiſchen zu
unterſcheiden. Denn auf der einen Seite machet uns die Aehnlichkeit der
Hetruriſchen Werke mit den Griechiſchen, von welcher im erſten Capitel
Die Werke, welche anzuzeigen ſind, beſtehen in Figuren und Statuen,
in erhobenen Arbeiten, in geſchnittenen Steinen, Muͤnzen, und irrdenen
gemalten Gefaͤßen; und von dieſen wird in dem dritten und letzten Stuͤ-
cke dieſes Capitels geredet.
Unter dem Worte Figur begreife ich die kleinern in Erzt, und die Thiere.
Jene ſind in den Muſeis nicht ſelten, und der Verfaſſer ſelbſt beſitzet ver-
ſchiedene. Unter denſelben finden ſich Stuͤcke von der aͤlteſten Zeit der He-
truriſchen Kunſt, wie aus deren Geſtalt und Bildung im folgenden Stuͤcke
angezeiget wird. Von Thieren iſt das betraͤchtlichſte und groͤßte eine Chi-
maͤra 1) von Erzt, in der Gallerie zu Florenz, welche aus einem Loͤwen in
natuͤrlicher Groͤße, und aus einer Ziege zuſammen geſetzet iſt; die Hetruri-
ſche Schrift an derſelben iſt der Beweis von dem Kuͤnſtler dieſes Volks.
Die Statuen, das iſt, Figuren unter oder in Lebensgroͤße, ſind
theils von Erzt, theils von Marmor. Von Erzt finden ſich zwo Statuen,
welche Hetruriſch ſind, und zwo werden dafuͤr gehalten. Jene haben hier-
von ungezweifelte Kennzeichen; eine iſt in dem Pallaſte Barberini, etwa vier
Palme hoch, und vermuthlich ein Genius: denn er haͤlt in dem linken Arme
ein Horn des Ueberfluſſes, und wenn eine Maͤnnliche nackte Figur, mit
oder ohne Bart, dieſes und kein anderes Attribut hat, iſt dieſelbe auch
in Griechiſchen Werken allezeit ein Genius. Die andere iſt ein vermeynter
Haruſpex 2), wie ein Roͤmiſcher Senator gekleidet, in der Gallerie zu
Florenz, und auf dem Saume des Mantels ſtehet Hetruriſche Schrift ein-
gegraben. Jene Figur iſt ohne Zweifel aus ihren erſten Zeiten; dieſe aber
aus der ſpaͤtern Zeit, welches ich aus dem glatten Kinne derſelben muth-
Die vornehmſten Hetruriſchen Statuen in Marmor ſind, meines Er-
achtens, die ſogenannte Veſtale 4), im Pallaſte Giuſtiniani, ein vermeynter
Prieſter, in der Villa Albani, eine Statue, welche eine hoch ſchwangere
Frau vorſtellet, in der Villa Mattei, zwo Statuen des Apollo, die eine
Was die erſte betrifft, ſo iſt nicht glaublich, daß man eine ſolche Fi-
gur, an welcher nicht einmal die Fuͤße ſichtbar ſind, aus Griechenland nach
Rom gefuͤhret habe, da aus Nachrichten des Pauſanias erhellet, daß in
Griechenland die alleraͤlteſten Werke unberuͤhrt geblieben ſeyn. Die Fal-
ten ihres Rocks ſind in ſenkrechter Linie gezogen. Die zwote Statue iſt
uͤber Lebensgroͤße, und zehen Palme hoch; die Falten des Rocks ohne Er-
mel gehen alle parallel, und liegen wie geplaͤttet auf einander; die Ermel
des Unterkleides ſind in kreppigte gepreſſete Falten geleget, wie ich zu Ende
des folgenden Stuͤcks, und im folgenden Capitel, bey der Weiblichen Klei-
dung anzeige. Die Haare uͤber der Stirne liegen in kleinen geringelten
Locken, nach Art der Schneckenhaͤuſer, ſo wie ſie mehrentheils an den Koͤ-
pfen der Herme gearbeitet ſind, und vorne uͤber den Achſeln herunter haͤn-
gen, auf jeder Seite, vier lange geſchlaͤngelte Strippen Haare; hinten haͤn-
gen dieſelben, ganz gerade abgeſtutzt, lang von dem Kopfe gebunden, unter
dem Bande, in fuͤnf langen Locken herunter, welche zuſammen liegen, und
einigermaßen die Form eines Haarbeutels machen, von anderthalb Palme
lang. Die Stellung dieſer Statue iſt voͤllig gerade, wie an Aegyptiſchen
Figuren. Die dritte Statue ſtellet vielleicht eine Vorſteherinn der
Schwangern und Gebaͤhrerinnen vor, wie auch Juno war. Sie ſtehet
mit parallel geſchloſſenen Fuͤßen in gerader Linie, und haͤlt mit beyden uͤber-
einander gelegten Haͤnden ihren Leib; die Falten ihrer Kleidung gehen
ſchnurgerade, und ſind nicht hohl gearbeitet, wie an der erſteren, ſondern
nur durch Einſchnitte angedeutet. Die beyden Apollo ſind etwas uͤber
Lebensgroͤße, mit einem Koͤcher, welcher an dem Stamme des Baums
haͤnget, woran die Statuen ſtehen: ſie ſind beyde in einerley Stile gear-
beitet, nur mit dem Unterſcheide, daß die erſte aͤlter ſcheinet, wenigſtens
Von erhoben gearbeiteten Werken will ich mich begnuͤgen, drey zu
waͤhlen, und zu beſchreiben. Das eine und das aͤlteſte nicht allein von He-
truriſchen, ſondern auch uͤberhaupt von allen erhobenen Arbeiten in Rom,
ſtehet in der Villa Albani, und ſtellet etwa die Juno Lucina, oder die
Goͤttinn Rumilia vor, die uͤber ſaͤugende Kinder die Obſicht hatte: denn
der Schemmel ihrer Fuͤße zeiget an, daß dieſe Figur uͤber den gemeinen
Stand der Menſchen erhaben ſeyn ſoll. Sie haͤlt ein kleines angezogenes
Kind, welches auf ihrem Schooße ſtehet, an deſſen Gaͤngel-Bande, an
Impoſita patulus calamo ſinuaverat arcus.
Ovid. L. 1. Metam. v. 30.
Lunavitque genu ſinuoſum fortiter arcum.
Id. L. 1. Amor. eleg. 1.
Unter den geſchnittenen Steinen habe ich theils die aͤlteſten, theilsD.
Geſchnittene
Steine.
die ſchoͤnſten gewaͤhlet, damit das Urtheil aus denſelben richtiger und ge-
gruͤndeter ſeyn koͤnne. Wenn der Leſer augenſcheinlich Arbeiten von der
hoͤchſten Hetruriſchen Kunſt vor Augen hat, und die bey aller ihrer Schoͤn-
heit Unvollkommenheiten haben, ſo wird dasjenige, was ich im folgenden
Stuͤcke uͤber dieſelbe anmerken werde, um ſo vielmehr von geringeren Wer-
ken gelten koͤnnen. Die drey Steine, welche ich zum Grunde des folgenden
Beweiſes ſetzen werde, ſind, wie die mehreſten Hetruriſchen geſchnittenen
Steine, Scarabei, das iſt, auf der erhobenen und gewoͤlbten Seite der-
ſelben iſt ein Kaͤfer gearbeitet; ſie ſind durchboret, weil dieſelben vermuth-
lich, als ein Amulet, am Halſe getragen wurden. Einer der aͤlteſten ge-
ſchnittenen Steine, nicht allein unter den Hetruriſchen, ſondern uͤberhaupt
unter allen, die bekannt ſind, iſt ohne Zweifel derjenige Carniol im Stoßiſchen
Muſeo, welcher eine Berathſchlagung von fuͤnf Griechiſchen Helden zu dem
Zuge wider Theben vorſtellet, und welcher auf dem Titel-Blatte dieſes er-
ſten Theils in Kupfer ſtehet. Die zu den Figuren geſetzte Namen zeigen den
Polynices, Parthenopaͤus, Adraſtus, Tydeus, und Amphiaraus;
Unter den Muͤnzen ſind einige die alleraͤlteſten Denkmaale der Hetru-E.
Muͤnzen.
riſchen Kunſt, und ich habe zwo derſelben vor Augen, welche ein Kuͤnſt-
ler in Rom, in einem Muſeo von ausgeſuchten ſeltenen Griechiſchen Muͤn-
zen, beſitzet. Sie ſind von einem zuſammengeſetzten weißlichen Metalle,
und ſehr wohl erhalten; die eine hat auf einer Seite ein Thier, welches ein
Hirſch zu ſeyn ſcheinet, und auf der andern ſind zwo vorwerts geſtellete Figu-
ren, welche einander gleich ſind, und einen Stab halten. Dieſes muͤſſen die
erſten Verſuche ihrer Kunſt ſeyn. Die Beine ſind zwo Linien, welche ſich
— — — — quamquam ipſe videri
Exiguus, gravia oſſa tamen, nodisque lacerti
Difficiles: numquam hunc animum natura minori
Corpore, nec tantas auſa eſt includere vires.
Theb. L. 6. v. 840.
Dieſe Anzeige Hetruriſcher Werke iſt nach ihren Arten gegeben,
welches das leichteſte, und an kein Syſtema gebundenes Verzeichniß iſt;
in Abſicht der Kunſt aber, und der Zeit ihrer Arbeit, nach welcher dieſelben
im folgenden Stuͤcke betrachtet werden, iſt folgende Ordnung zu ſetzen.
Aus der aͤlteſten Zeit, und in dem erſten Stile, ſind die kurz zuvor ange-
zeigten Muͤnzen, die erhobene Arbeit, nebſt der Statue, in der Villa Albani,
der Genius von Erzt, im Pallaſte Barberini, und die ſchwangere Frau,
in der Villa Mattei. Aus der folgenden Zeit, die beyden Apollo, im Cam-
pidoglio, und im Palaſte Conti, der Brunnen mit den zwoͤlf Gottheiten, im
Campidoglio, der runde Altar mit drey Gottheiten, nebſt dem viereckigten
Altare mit den Arbeiten des Hercules, eben daſelbſt, und der große drey-
eckigte Altar in der Villa Borgheſe, ingleichen die beſchriebenen geſchnit-
tenen Steine. Aus der letzten Zeit der Hetruriſchen Kunſt, ſcheinen die
Statuen von Erzt, in der Gallerie zu Florenz, zu ſeyn. Das Gegentheil
von dieſem Range, und von dieſer Ordnung, iſt ſchwerlich darzuthun, ob
ich mich gleich geirret haben koͤnnte: aber ſo viel iſt gewiß, das diejenigen
Werke, welche ich in die erſte Claſſe geſetzet, Kennzeichen von einem aͤl-
Eine Zugabe dieſes Satzes mag eine Unterſuchung ſeyn uͤber eineF.
Zugabe von
vorgegebenen
Hetruriſchen
Urnen von
Porphir.
Nachricht von zwoͤlf Urnen von Porphir, welche zu Chiuſi, in Toſca-
na, ſollen geweſen ſeyn, die aber itzo weder an dieſem Orte, noch ſonſt
in ganz Toſcana und Italien, befindlich ſind. Es waͤre beſonders merk-
wuͤrdig, wenn man darthun koͤnnte, daß die Hetrurier in Porphir ge-
arbeitet haͤtten; es koͤnnte ein demſelben aͤhnlicher Stein ſeyn, wie Le-
ander Alberti einen ſolchen Stein Porphir nennet 1), welcher bey
Volterra gefunden wird. Gori, welcher dieſes aus einer Handſchrift
der Bibliothec des Hauſes Strozzi zu Florenz anfuͤhret 2), theilet auch
eine Inſchrift auf einer dieſer Urnen mit: da mir aber dieſe Nachricht
verdaͤchtig ſchien, habe ich dieſelbe aus dem Originale vollſtaͤndig abſchrei-
ben laſſen. Den Verdacht giebt die Sache ſelbſt, und das Alter der
Handſchrift. Denn es iſt nicht glaublich, daß die Großherzoge von
Toſcana, welche alle ſehr aufmerkſam geweſen auf das, was die Kuͤnſte
und das Alterthum betrifft, ſolche ſeltene Stuͤcke aus dem Lande gehen
laſſen, zumal da die Urnen etwa um die Haͤlfte des vorigen Jahrhunderts
wuͤrden gefunden worden ſeyn. Denn die Briefe, aus welchen die Strozziſche
Handſchrift beſtehet, ſind alle zwiſchen 1653. und 1660. geſchrieben, und
derjenige, welcher dieſe Nachricht enthaͤlt, iſt von 1657. von einem Moͤn-
che an einen andern Moͤnch geſchrieben, und ich halte daher dieſelbe fuͤr
eine Moͤnchs-Legende. Gori ſelbſt hat hier Aenderungen gemacht: er
Nach den gegebenen vorlaͤufigen Kenntniſſen des erſten Stuͤcks dieſes Ca-
Von dem
Stile Hetru-
riſcher Kuͤnſt-
ler.pitels von den aͤußeren Umſtaͤnden und Urſachen der Hetruriſchen
Kunſt, von der Abbildung ihrer Goͤtter und Helden, und nach der Anzeige
I.
Allgemeine
Erinnerung
uͤber denſel-
ben.der Werke der Kunſt, fuͤhre ich die Betrachtungen des Leſers zu den Ei-
genſchaften und Kennzeichen der Kunſt dieſes Volks und ihrer Werke, das
iſt, zu den Stil der Hetruriſchen Kuͤnſtler, wovon dieſes zweyte Stuͤck
handelt.
Hier iſt allgemein zu erinnern, daß die Kennzeichen zum Ueterſchiede
des Hetruriſchen, und des aͤlteſten Griechiſchen Stils, welche außer der
Zeichnung von zufaͤlligen Dingen, als von Gebraͤuchen, und von der Klei-
dung moͤchten genommen werden, trieglich ſeyn koͤnnen. Die Athenien-
ſer, ſagt Ariſtides 1), machten die Waffen der Pallas in eben der Form,
wie ihnen die Goͤttin dieſelbe angegeben hatte: man kann aber von einem
Griechiſchen Helme der Pallas, oder anderer Figuren, auf keine Griechiſche
Arbeit ſchließen. Denn ſogenannte Griechiſche Helme finden ſich auch auf
unſtreitigen Hetruriſchen Werken, wie ihn eine Minerva hat auf dem mehr-
mal angefuͤhrten dreyeckigten Altare der Villa Borgheſe, und auf einer
Der Stil der Hetruriſchen Kuͤnſtler iſt ſich ſelbſt nicht beſtaͤndig gleichII.
Von den
verſchiedenen
Stuffen und
Zeiten daſelbſt.
geblieben, ſondern hat, wie der Aegyptiſche und Griechiſche, verſchiedene
Stuffen und Zeiten, von den einfaͤltigen Geſtaltungen ihrer erſten Zeiten
an, bis zu dem Flor ihrer Kunſt, welche ſich endlich nachher durch Nach-
ahmung Griechiſcher Werke, wie ſehr wahrſcheinlich iſt, verbeſſert, und
eine von den aͤltern Zeiten verſchiedene Geſtalt angenommen hat. Dieſe
verſchiedene Stuffen der Hetruriſchen Kunſt ſind wohl zu merken, und ge-
nau zu unterſcheiden, um zu einem Syſtema in derſelben zu gelangen.
Endlich nachdem die Hetrurier eine geraume Zeit den Roͤmern unterthaͤnig
geweſen, fiel ihre Kunſt, welches ſich an neun und zwanzig Schaalen von
Erzt, in dem Muſeo des Collegii St. Ignatii zu Rom, zeiget, unter wel-
chen diejenigen, deren Schrift ſich der Roͤmiſchen Schrift und Sprache naͤ-
hert, ſchlechter, als die aͤlteren, gezeichnet und gearbeitet ſind. Aus dieſen
kleinen Stuͤcken aber iſt weiter nicht viel beſtimmtes anzugeben, und da der
Fall der Kunſt kein Stil in derſelben iſt, ſo bleibe ich bey den vorher ge-
ſetzten drey Zeiten.
Wir koͤnnen alſo drey verſchiedene Stile der Hetruriſchen Kunſt, wie
bey den Aegyptern, ſetzen, den Aeltern, den Nachfolgenden, und drittens
denjenigen, welcher ſich durch Nachahmung der Griechen verbeſſert hat.
In allen drey Stilen waͤre zuerſt von der Zeichnung des Nackenden, und
zum zweyten von Bekleideten Figuren zu reden: da aber die Bekleidung
in ihren Arten von der Griechiſchen nicht ſehr verſchieden iſt, ſo koͤnnen
einige wenige Anmerkungen, welche beſonders uͤber dieſelben, und uͤber ihren
Schmuck zu machen waͤren, zu Ende dieſes zweyten Stuͤcks zuſam-
mengenommen werden.
Die Eigenſchaften des aͤltern und erſten Stils der Hetruriſchen Kuͤnſt-
ler, ſind erſtlich die geraden Linien ihrer Zeichnung, nebſt der ſteifen Stel-
lung und der gezwungenen Handlung ihrer Figuren, und zweytens der
unvollkommene Begriff der Schoͤnheit des Geſichts. Die erſte Eigenſchaft
beſtehet darinn, daß der Umriß der Figuren ſich wenig ſenket und erhebet,
und dieſes verurſachet, daß dieſelben duͤnne und ſpillenmaͤßig ausſehen,
(ob gleich Catullus ſagt, der dicke Hetrurier 1,) weil die Muskeln wenig
angedeutet ſind; es fehlet alſo in dieſem Stile die Mannigfaltigkeit. In
dieſer Zeichnung lieget zum Theil die Urſache von der ſteifen Stellung, vor-
nehmlich aber in der Unwiſſenheit der erſten Zeiten: denn die Mannigfal-
tigkeit in Stellung und Handlung kann ohne hinlaͤngliche Kenntniß des
Koͤrpers, und ohne Freyheit in der Zeichnung, nicht ausgedruckt und ge-
bildet werden; die Kunſt faͤngt, wie die Weisheit, mit Erkenntniß unſer
ſelbſt an. Die zweyte Eigenſchaft, nemlich der unvollkommene Begriff
der Schoͤnheit des Geſichts, war, wie in der aͤlteſten Kunſt der Griechen,
auch bey den Hetruriern. Die Form der Koͤpfe iſt ein laͤnglich gezogenes
Oval, welches durch ein ſpitziges Kinn kleinlich ſcheinet; die Augen ſind
entweder platt, oder ſchraͤg aufwerts gezogen, und liegen mit dem Augen-
knochen gleich.
Dieſe Eigenſchaften ſind eben dieſelben, welche wir bey den aͤlteſten
Aegyptiſchen Figuren beſtimmet haben, und hierdurch wird Stuͤckweis deut-
licher, was im erſten Capitel aus alten Scribenten von der Aehnlichkeit
der Aegyptiſchen und der Hetruriſchen Figuren angezeiget worden. Man
hat ſich die Figuren dieſes Stils als einen einfaͤltig geſchnittenen Rock aus
geraden Theilen vorzuſtellen, bey welchem, die ihn machten und trugen,
eine Zeitlang blieben; jene kuͤnſtelten nicht, und dieſen war es zur Bede-
ckung genug; der erſte hatte eine Figur ſo gezeichnet, und andere zeichneten
ihm nach. Es war auch ein gewiſſer Schlag von Geſichtern angenommen,
Dieſer erſte Stil findet ſich in vielen kleinen Figuren von Erzt, und
einige ſind den Aegyptiſchen vollkommen aͤhnlich, durch die an den Seiten
dicht anliegende herunter haͤngenden Arme, und durch die parallel ſtehenden
Fuͤße. Die Statue in der Villa Mattei, nebſt der erhobenen Arbeit in der
Villa Albani, haben alle Eigenſchaften dieſes Stils. Die Zeichnung des
Genius im Pallaſte Barberini iſt ſehr platt, und ohne beſondere Andeutung
der Theile. Die Fuͤße ſtehen in gleicher Linie, und die hohlen Augen ſind
platt geoͤffnet, und etwas aufwerts gezogen. Das Gewand an der Statue
in der Villa Mattei, und an den Figuren des erhobenen Werks, kann nicht
einfaͤltiger gedacht werden, und die nur eingeſchnittenen Falten ſind wie mit
einem Kamme gezogen. Ein aufmerkſamer Beobachter des weſentlichen in
den Alterthuͤmern, wird dieſen erſten Stil auch an einigen andern Werken
finden, die nicht an gleich beruͤhmten und gewoͤhnlich beſuchten Orten in
Rom ſtehen; z. E. an einer Maͤnnlichen Figur, welche auf einem Stuhle
ſitzet, auf einer kleinen erhobenen Arbeit, in dem Hofe des Hauſes Capponi.
Dieſen Stil aber verließen die Hetruriſchen Kuͤnſtler, da ſie zu groͤße-B.
Anzeige des
Uebergangs
aus dieſem
Stile in den
folgenden.
rer Wiſſenſchaft gelangeten, und an ſtatt daß ſie, wie die aͤlteſten Griechen,
in den erſten Zeiten mehr bekleidete, als nackte Figuren, ſcheinen gemacht zu
haben, ſo fiengen ſie an, das Nackte mehr vorzuſtellen. Denn es ſcheinet
aus einigen kleinen Figuren in Erzt, welche nackend ſind bis auf die
Wenn man aus den aͤlteſten geſchnittenen Steinen der Hetrurier ur-
theilen wollte, ſo wuͤrde man glauben, der erſte Stil ſey nicht allgemein,
wenigſtens nicht unter Steinſchneidern, geweſen. Denn an den Figuren
auf Steinen iſt alles knolligt und Kugelmaͤßig, welches das Gegentheil
von den angegebenen Kennzeichen des erſten Stils waͤre: eins aber wi-
derſpricht dem andern nicht. Denn wenn ihre Steine, wie itzo, mit dem
Rade geſchnitten worden, wie der Anblick ſelbſt zu geben ſcheinet, ſo war
der leichteſte Weg, im Drehen durch Rundungen eine Figur auszuarbeiten,
und hervor zu bringen, und vermuthlich verſtanden die aͤlteſten Steinſchnei-
der nicht, mit ſehr ſpitzigen Eiſen zu arbeiten: die kugelichten Formen waͤ-
ren alſo kein Grundſatz der Kunſt, ſondern ein Mechaniſcher Weg in der
Arbeit. Die geſchnittenen Steine ihrer erſten Zeiten aber ſind das Gegen-
theil ihrer erſten und aͤlteſten Figuren in Marmor und in Erzt, und es wird
aus jenen offenbar, daß ſich die Verbeſſerung der Kunſt mit einem ſtarken
Ausdrucke, und mit einer empfindlichen Andeutung der Theile an ihren
Figuren angefangen habe, welches ſich auch an einigen Werken in Marmor
zeiget; und dieſes iſt das Kennzeichen der beſten Zeiten ihrer Kunſt.
Um welche Zeit ſich dieſer Stil voͤllig gebildet, laͤßt ſich nicht beſtim-
men, es iſt aber wahrſcheinlich, daß es mit der Verbeſſerung der Griechi-
ſchen Kunſt zu gleicher Zeit eingetroffen ſey. Denn man kann ſich die Zeit
vor und unter dem Phidias, wie die Wiederherſtellung der Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften in neueren Zeiten, vorſtellen, welche nicht in einem einzigen
Lande allein anfieng, und ſich in andere Laͤnder ausbreitete, ſondern die
ganze Natur der Menſchenkinder ſchien damals in allen Laͤndern rege zu
werden, und die großen Erfindungen thaten ſich mit einmal hervor. In
Wir gehen alſo von dem erſten und aͤlteren Hetruriſchen Stile zuC.
Von dem
zweyten Stile
der Hetruri-
ſchen Kuͤnſtler,
und von deſſen
Eigenſchaften.
dem nachfolgenden und zweyten, deſſen Eigenſchaften und Kennzeichen ſind
theils eine empfindliche Andeutung der Figur und deren Theile, theils eine
gezwungene Stellung und Handlung, die in einigen Figuren gewaltſam
und uͤbetrieben iſt. In der erſten Eigenſchaft ſind die Muskeln ſchwuͤlſtig
erhoben, und liegen wie Huͤgel, die Knochen ſind ſchneidend gezogen, und
allzu ſichtbar angegeben, wodurch dieſer Stil hart und peinlich wird. Es
iſt aber zu merken, daß die beyden Arten dieſer Eigenſchaft, nemlich die
ſtarke Andeutung der Muskeln und der Knochen, ſich nicht beſtaͤndig bey-
ſammen in allerhand Werken dieſes Stils finden. In Marmor, weil
ſich nur goͤttliche Figuren erhalten haben, ſind die Muskeln nicht allezeit
ſehr geſucht; aber der ſtrenge und harte Schnitt der Muskeln der Wade
iſt an allen. Ueberhaupt aber kann man als eine Regel feſtſetzen, daß die
Griechen mehr den Ausdruck und die Andeutung der Muskeln, die He-
trurier aber der Knochen geſucht; und wenn ich nach dieſer Kenntniß einen
ſeltenen und ſchoͤn geſchnittenen Stein beurtheile, und einige Knochen zu ſtark
angegeben ſehe, ſo waͤre ich geneigt, denſelben fuͤr Hetruriſch zu halten,
da er im uͤbrigen einem Griechiſchen Kuͤnſtler Ehre machen koͤnnte. Es iſt
derſelbe zu Anfange des dritten Stuͤcks des folgenden Capitels geſetzt, und
ſtellet den Theſeus vor, wie er die Phaͤa erſchlagen hat, wovon Plutar-
chus 1) meldet. Dieſer Carniol befand ſich noch vor zwanzig Jahren
in dem Koͤniglichen Farneſiſchen Muſeo zu Capo di Monte in Neapel,
iſt aber ſeit der Zeit entwendet worden, wie es vor und nachher mit andern
Man koͤnnte auf die Figuren dieſes Stils ſo wohl, als des erſten, in
gewiſſer Maaße deuten, was Pindarus vom Vulcanus ſagt 2), daß er
ohne Gratie gebohren ſey. Ueberhaupt wuͤrde dieſer zweyte Stil, vergli-
chen mit dem Griechiſchen von guter Zeit, anzuſehen ſeyn, wie ein junger
Menſch, welcher das Gluͤck einer aufmerkſamen Erziehung nicht gehabt,
und dem man den Zuͤgel in ſeinen Begierden und Aufwallung der Geiſter
ſchießen laſſen, die ihn zu aufgebrachten Handlungen treiben, wie dieſer,
ſage ich, gegen einen ſchoͤnen Juͤngling ſeyn wuͤrde, bey welchem eine weiſe
Erziehung und ein gelehrter Unterricht das Feuer einſchraͤnken, und der vor-
Die angegebenen Eigenſchaften dieſes Stils ſind noch itzo in gewiſ-D.
Erlaͤuterung
deſſelben.
ſer Maaße dieſer Nation uͤberhaupt eigen, welche auf Kleinigkeiten gehet;
und dieſes zeiget ſich in ihrer Schreibart, welche ſehr geſucht und gekuͤn-
ſtelt iſt, und trocken und duͤrre erſcheinet gegen die reine Klarheit der Roͤ-
miſchen; ſonderlich aber offenbaret es ſich in der Kunſt./ Der Stil ihrer
alten Kuͤnſtler blicket noch itzo hervor in den Werken ihrer Nachkommen,
und entdecket ſich unpartheyiſchen Augen der Kenner in der Zeichnung des
Michael Angelo, des groͤßten unter ihnen: daher ſaget jemand nicht
ohne Grund 2), daß wer eine Figur dieſes Kuͤnſtlers geſehen habe, habe
ſie alle geſehen./ Es iſt auch dieſer Character unwiderſprechlich eine von
den Unvollkommenheiten eines Daniel von Volterra, Pietro von Cor-
tona, und anderer./ Die beſten Roͤmiſchen Kuͤnſtler hingegen, Raphael
und deſſen Schule, welche mit jenen aus einer Quelle geſchoͤpft haben,
kommen in der Leichtigkeit ihrer Figuren den Griechen allezeit naͤher./
Das, was ich uͤber dieſen Stil geſagt habe, kann deutlicher zum
Beweis in ihren Werken gezeiget werden, an einem baͤrtigen Mercurius
Von dem dritten Stile wuͤrde in einer abgeſonderten Abhandlung
von der Hetruriſchen Kunſt mehr zu ſagen ſeyn, und dasjenige, was der
Von der Hetruriſchen Kleidung habe ich nichts, als dieſes, zu erin-F.
Von der Be-
kleidung He-
truriſcher Fi-
guren.
nern. An Figuren in Marmor iſt der Mantel niemals frey geworfen,
ſondern allezeit in parallel Falten geleget, die entweder ſenkrecht, oder in
die Quere gehen; einen freyen Wurf der Maͤntel aber ſieht man an
zween unter den fuͤnf Griechiſchen Helden: folglich kann aus jenen Wer-
ken nicht allgemein geſchloſſen werden. Die Ermel des Weiblichen Unter-
kleides ſind oft in ganz kleine gekniffene Falten gebrochen, nach Art der
Italieniſchen Chor-Hembden (Rocchetti) der Cardinaͤle, und der Ca-
nonici einiger Kirchen; oder in Deutſchland kann man ſich von dem, was ich
Das dritte Stuͤck dieſes Capitels enthaͤlt eine Betrachtung uͤber dieDrittes Stuͤck.
Kunſt der mit den Hetruriern graͤnzenden Voͤlker, welche ich hierVon der
Kunſt der mit
den Hetrurieꝛn
graͤnzenden
Voͤlker.
in eins zuſammen faſſe, nemlich der Samniter, Volsker, und Cam-
paner, und ſonderlich dieſer letztern, bey welchen die Kunſt nicht weniger,
als bey den Hetruriern, bluͤhete. Den Schluß dieſes Stuͤcks macht eine
Nachricht von Figuren aus der Inſel Sardinien.
Von den Werken der Kunſt der Samniter und Volsker hat ſich,
außer ein paar Muͤnzen, ſo viel uns kenntlich iſt, nichts erhalten; von
den Campanern aber, Muͤnzen und irrdene gemalte Gefaͤße: ich kann alſo
von jenen nur allgemeine Nachrichten von ihrer Verfaſſung und Lebensart
geben, woraus auf die Kunſt unter ihnen koͤnnte geſchloſſen werden, wel-
ches der erſte Satz dieſes Stuͤcks iſt; der zweyte handelt von den Werken
der Kunſt der Campaner.
Es wird ſich mit der Kunſt jener beyden Voͤlker, wie mit ihrer
Sprache, verhalten, welches die Oſciſche 1) war, die, wo ſie nicht als ein Dia-
lect der Hetruriſchen anzuſehen iſt, von dieſer wenigſtens nicht ſehr ver-
ſchieden geweſen ſeyn wird. So wie wir aber den Unterſchied der Mund-
art dieſer Voͤlker nicht wiſſen, ſo mangelt es uns auch an Unterricht, wenn
ſich etwa von ihren Muͤnzen oder geſchnittenen Steinen etwas erhalten hat,
die Kennzeichen davon anzugeben.
Die Samniter liebeten die Pracht, und waren als kriegeriſche Voͤl-
ker dennoch den Wolluͤſten des Lebens 2) ſehr ergeben: im Kriege waren
ihre Schilder 3) einige mit Golde, andere mit Silber ausgelegt, und zu
der Zeit, da die Roͤmer von Leinenzeuge nicht viel ſcheinen gewuſt zu haben,
trug die auserleſene Mannſchaft der Samniter, ſo gar im Felde, Roͤcke 4)
von Leinewand, ſo wie die Spanier 5) in dem Heere des Hannibals, die
dieſelben mit Purpur beſetzet hatten; und Livius berichtet 6), daß das
ganze Lager der Samniter in dem Kriege der Roͤmer unter dem Conſul
L. Papirius Curſor, welches ins gevierte ſich auf allen Seiten an zwey
hundert Schritte erſtreckete, mit leinen Tuͤchern umzogen geweſen. Ca-
pua, welches von den Hetruriern 7) erbauet worden, und, nach dem Li-
Die Volsker hatten, ſo wie die Hetrurier, und andere benachbarte Voͤl-II.
Der Volsker.
ker, ein Ariſtocratiſches Regiment 3): ſie waͤhleten daher nur bey entſte-
hendem Kriege 4) einen Koͤnig, oder Heerfuͤhrer, und die Einrichtung der
Samniter war der zu Sparta und in Creta aͤhnlich. Von der großen
Bevoͤlkerung dieſer Nation zeugen noch itzo die haͤufigen Truͤmmer vertil-
geter Staͤdte auf nahe gelegenen Huͤgeln, und von ihrer Macht die Ge-
ſchichte von ſo viel blutigen Kriegen mit den Roͤmern, welche jene nicht
eher, als nach vier und zwanzig Triumphen, bezwingen konnten. Die große
Bevoͤlkerung und die Pracht erweckete das Gehirn und den Fleiß, und
die Freyheit erhob den Geiſt; Umſtaͤnde welche der Kunſt ſehr vortheil-
haft ſind.
Die Roͤmer bedienten ſich in den aͤlteſten Zeiten Kuͤnſtler aus beyden
Voͤlkern; Tarquinius Priſcus ließ von Fregellaͤ, aus dem Lande der
Volsker, einen Kuͤnſtler, mit Namen Turrianus, kommen, welcher eine
Statue des Jupiters von gebrannter Erde machte, und man will aus der
großen Aehnlichkeit einer Muͤnze des Serviliſchen Geſchlechts zu Rom,
mit einer Samnitiſchen, muthmaßen 5), daß jene von Kuͤnſtlern dieſer
Nation gepraͤget worden. Eine ſehr alte Muͤnze 6) von Anxur, einer
Stadt der Volsker, itzo Terracina, hat einen ſchoͤnen Kopf der Pallas.
Die Campaner waren ein Volk, denen ein ſanfter Himmel,III.
Der Campa-
ner.
welchen ſie genoſſen, und der reiche Boden, welchen ſie baueten, die Wol-
luſt einfloͤßeten. Dieſes Land ſo wohl, als der Samniter ihres, war in den aͤlte-
Was zum zweyten die Campaniſchen Werke der Kunſt betrift, ſo
ſind erſtlich ihre Muͤnzen von Capua und Tiano bekannt, mit Schrift in
ihrer eigenen Sprache 2). Der Kopf eines jungen Hercules auf Muͤn-
zen beyder Staͤdte, und der Kopf eines Jupiters auf denen von Capua,
ſind in der ſchoͤnſten Idee: eine Victoria auf einem vierſpaͤnnigen Wagen,
auf Muͤnzen dieſer Stadt, iſt in dem ſchoͤnſten Gepraͤnge.
Unter den Campaniſchen gemalten Gefaͤßen begreife ich hier zugleich alle
ſogenannte Hetruriſche, weil die mehreſten in Campanien, und ſonderlich zu
Nola, ausgegraben ſind. Die Hetrurier waren zwar in den aͤlteſten Zeiten
Herren von Italien, von den Alpen an, bis zu der Meerenge von Sicilien,
wie Livius bezeuget, aber man kann aus dieſem Grunde dieſe Gefaͤße nicht
Hetruriſch nennen: denn die beſten derſelben muͤßen aus ſpaͤtern und aus
guten Zeiten der Kunſt ſeyn. Es waren aber die Hetruriſchen Gefaͤße 3)
von Arezzo beruͤhmt, wie es itzo die von Perugia ſind. Es iſt auch
nicht zu laͤugnen, daß auf manchen Gefaͤßen, ſonderlich auf kleinen Schaa-
len, die Zeichnung der Hetruriſchen ſehr aͤhnlich: es ſind manche Ideen,
wie die Faune mit langen Pferdeſchwaͤnzen, in Hetruriſchen Figuren von
Unter den Miſtrilliſchen Gefaͤßen befinden ſich drey, und in dem
Koͤniglichen Muſeo zu Neapel, eine Schaale, mit Griechiſcher Inſchrift,
von welchen im folgenden Capitel geredet wird; daß alſo auch hieraus er-
hellet, wie wenig Grund der allgemeine Name Hetruriſcher Gefaͤße habe,
unter welchem man dieſelben bisher begriffen hat. Man will ſo gar vorge-
ben, daß ſich noch in neueren Zeiten Stuͤcke von irrdenen gemalten Gefaͤßen
mit dem Namen ΑΓΑΘΟΚΛΕΟϒΣ gefunden haben, welche von
dieſem beruͤhmten Koͤnige, der eines Toͤpfers Sohn war, ſeyn ſollen.
Es finden ſich unter dieſen Gefaͤßen von allerhand Art und Form,
von den kleinſten an, welche zum Spielzeuge der Kinder muͤſſen gedienet ha-
ben, bis auf Gefaͤße von drey bis vier Palme hoch; die mancherley Form
Die Figuren ſind auf den mehreſten nur mit einer einzigen Farbe ge-
malet, oder beſſer zu reden, die Farbe der Figuren iſt der eigentliche
Grund der Gefaͤße, oder die natuͤrliche Farbe des gebrannten ſehr feinen
Thons ſelbſt; das Feld aber des Gemaͤldes, oder die Farbe zwiſchen den
Figuren, iſt eine ſchwaͤrzliche Glaͤtte, und mit eben derſelben ſind die Um-
riſſe der Figuren auf demſelben Grunde gemalet. Von Gefaͤßen mit mehr
Farben gemalet befinden ſich, außer denen in der Vaticaniſchen Bibliothec 1),
zwey in der Gallerie zu Florenz, und zwey andere in dem Muſeo Herrn
Mengs. Das eine von dieſen, und man ſagt das gelehrteſte unter allen
Gefaͤßen, iſt eine Parodie der Liebe des Jupiters und der Alcmena, das iſt,
es iſt dieſelbe ins laͤcherliche gekehret, und auf eine Comiſche Art vorgeſtellet;
oder man koͤnnte ſagen, es ſey hier der vornehmſte Auftritt einer Comoͤdie,
wie der Amphitruo des Plautus iſt, gemalet. Alcmena ſieht aus einem
Fenſter, wie diejenigen 2) thaten, welche ihre Gunſt feil hatten, oder
ſproͤde thun, und ſich koſtbar machen wollten: das Fenſter ſtehet hoch, nach
Art der Alten. Jupiter iſt verkleidet mit einer baͤrtigen weißen Maske,
den Scheffel (Modius) auf dem Kopfe, wie Serapis, welcher mit der
Maske aus einem Stuͤcke iſt. Es traͤgt derſelbe eine Leiter, zwiſchen deren
Sproſſen er den Kopf hindurch ſtecket, wie im Begriffe, das Zimmer der
Geliebten zu erſteigen. Auf der andern Seite iſt Mercurius mit einem
dicken Bauche, wie ein Knecht geſtaltet, und wie Soſia beym Plautus
verkleidet; er haͤlt in der linken Hand ſeinen Stab geſenkt, als wenn er
Die Zeichnung auf den mehreſten Gefaͤßen iſt ſo beſchaffen, daß die
Figuren in einer Zeichnung des Raphaels einen wuͤrdigen Platz haben
koͤnnten, und es iſt merkwuͤrdig, daß ſich nicht zwey mit voͤllig einerley
Bildern finden, und unter ſo viel hunderten, welche ich geſehen habe, hat
jedes Gefaͤß ſeine beſondere Vorſtellung. Wer die meiſterhafte und zierli-
che Zeichnung auf denſelben betrachtet, und einſehen kann, und die Art zu
verfahren weiß, in Auftragung der Farben auf dergleichen gebrannte Ar-
Hier ſcheinet mir der bequemſte Ort, zum Beſchluſſe dieſes Capitels,
ein paar Worte zu melden von einigen in der Inſel Sardinien entdeckten
Figuren in Erzt, welche, in Abſicht ihrer Bildung und ihres hohen Alter-
thums, einige Aufmerkſamkeit verdienen. Es ſind vor kurzer Zeit 1) ein paar
andere aͤhnliche Figuren aus dieſer Inſel bekannt gemacht worden; diejenigen
aber, von welchen ich rede, befinden ſich in dem Muſeo des Collegii St. Igna-
tii, von dem Herrn Cardinal Alexander Albani dahin geſchenkt. Es ſind
vier derſelben von verſchiedener Groͤße, von einem halben bis an zween Palme.
Die Form und Bildung derſelben iſt ganz barbariſch, und hat zugleich die
deutlichſten Kennzeichen des hoͤchſten Alterthums in einem Lande, wo die
Kuͤnſte niemals gebluͤhet haben. Der Kopf derſelben iſt lang gezogen, mit
ungewoͤhnlich großen Augen und ungeſtalten Theilen, und mit langen ſtorchs-
maͤßigen Haͤlſen, nach der Art, wie einige der haͤßlichſten kleinen Hetruriſchen
Figuren in Erzt gebildet ſind.
Zwo von den drey kleineren Figuren ſcheinen Soldaten, aber ohne
Helme; beyde haben einen kurzen Degen an ein Gehenk uͤber den Kopf ge-
worfen, auf der Bruſt ſelbſt haͤngen, und zwar von der rechten zur linken.
Auf der linken Schulter haͤngt ein kurzer und ſchmaler Mantel, welcher ein
ſchmaler Streifen iſt, und reichet bis an die Haͤlfte der Schenkel. Es ſchei-
net ein viereckt Tuch, welches kann zuſammengelegt ſeyn; auf der einen und
innern Seite iſt daſſelbe mit einem ſchmalen erhobenen Rande eingefaſſet.
Dieſe beſondere Art Kleidung kann vielleicht die den alten Sardiniern allein
eigene ſeyn, welche Maſtruca 2) hieß. Die eine Figur haͤlt einen Teller
mit Fruͤchten, wie es ſcheinet, in der Hand.
Die merkwuͤrdigſte unter dieſen Figuren, faſt zween Palme hoch, iſt
ein Soldat mit einer kurzen Weſte, wie jene, mit Hoſen und Beinruͤſtungen
bis unter die Waden, welche das Gegentheil von andern Beinruͤſtungen ſind:
denn an ſtatt daß der Griechen ihre das Schienbein bedeckten, liegen dieſe
uͤber die Wade, und ſind vorne offen. Eben ſo ſieht man die Beine bewaf-
net an dem Caſtor und Pollux, auf einem Steine des Stoßiſchen Muſei 3),
Dieſes lehret uns einen unbekannten Gebrauch der alten Voͤlker im
Kriege. Der Soldat in Sardinien mußte ſeine Mund-Proviſion ſelbſt mit
ſich fuͤhren; er trug dieſelbe aber nicht auf der Schulter, wie die Roͤmiſchen
Soldaten, ſondern er zog ſie hinter ſich auf einem Geſtelle, worauf der Korb
ſtand. Nach vollendetem Zuge, wo dieſes nicht mehr noͤthig war, ſteckte der
Soldat ſein leichtes Geſtelle in den Ring, welcher auf dem Ruͤcken befeſtiget
war, und legte ſeinen Korb auf den Kopf uͤber die zwey Hoͤrner. Vemuthlich
gieng man mit allen dieſem Geraͤthe, wie man ſieht, auch in die Schlacht,
und der Soldat war beſtaͤndig mit allem Zubehoͤr verſehen.
Zum Beſchluſſe dieſes Capitels gebe ich dem Leſer, welcher in manchenBeſchluß die-
ſes Capitels.
Stuͤcken mehr Licht verlangen moͤchte, zu bedenken, daß es uns in der Verglei-
chung dieſer alten Voͤlker in Italien mit den Aegyptern gehet, wie einigen
Perſonen, welche in ihrer Mutterſprache weniger, als in einer auswaͤrtigen
Sprache, gelehrt ſind. Von der Kunſt der Aegypter koͤnnen wir mit mehr
Gewißheit reden, die uns von jenen Voͤlkern, deren Laͤnder wir bereiſen und
umgraben, fehlet. Wir haben eine Menge kleiner Hetruriſcher Figuren,
aber nicht Statuen genug, zu einem voͤllig richtigen Syſtema ihrer Kunſt zu
Die Kunſt der Griechen iſt die vornehmſte Abſicht dieſer Geſchichte,Erſtes Stuͤck.
Von den
Gruͤnden und
Urſachen des
Aufnehmens
und des Vor-
zugs der Grie-
chiſchen Kunſt
vor andern
Voͤlkern.
und es erfordert dieſelbe, als der wuͤrdigſte Vorwurf zur Betrach-
tung und Nachahmung, da ſie ſich in unzaͤhlich ſchoͤnen Denkmaalen erhal-
ten hat, eine umſtaͤndliche Unterſuchung, die nicht in Anzeigen unvoll-
kommener Eigenſchaften, und in Erklaͤrungen des eingebildeten, ſondern
Dieſe Abhandlung uͤber die Kunſt der Griechen beſtehet aus vier
Stuͤcken: Das erſte und vorlaͤufige handelt von den Gruͤnden und Urſa-
chen des Aufnehmens und des Vorzugs der Griechiſchen Kunſt vor ande-
ren Voͤlkern; das zweyte von dem Weſentlichen der Kunſt; das dritte von
dem Wachsthume, und von dem Falle derſelben; und das vierte von dem
Mechaniſchen Theile der Kunſt. Den Beſchluß dieſes Capitels macht eine
Betrachtung uͤber die Malereyen aus dem Alterthume.
Die Urſache und der Grund von dem Vorzuge, welchen die Kunſt
unter den Griechen erlanget hat, iſt theils dem Einfluſſe des Himmels,
theils der Verfaſſung und Regierung, und der dadurch gebildeten Den-
kungsart, wie nicht weniger der Achtung der Kuͤnſtler, und dem Gebrau-
che und der Anwendung der Kunſt unter den Griechen, zuzuſchreiben.
Der Einfluß des Himmels muß den Saamen beleben, aus welchem
die Kunſt ſoll getrieben werden, und zu dieſem Saamen war Griechenland
der auserwaͤhlte Boden; und das Talent zur Philoſophie, welches Epi-
curus den Griechen 1) allein beylegen wollen, koͤnnte mit mehrerm Rechte
von der Kunſt gelten. Vieles, was wir uns als Idealiſch vorſtellen moͤch-
ten, war die Natur bey ihnen. Die Natur, nach dem ſie ſtuffenweis
durch Kaͤlte und Hitze gegangen, hat ſich in Griechenland, wo eine zwi-
ſchen Winter und Sommer abgewogene Witterung 2) iſt, wie in ihrem
In Abſicht der Verfaſſung und Regierung von Griechenland iſt die
Freyheit die vornehmſte Urſache des Vorzugs der Kunſt. Die Freyheit
hat in Griechenland allezeit den Sitz gehabt, auch neben dem Throne 6)
der Koͤnige, welche vaͤterlich 7) regiereten, ehe die Aufklaͤrung der Ver-
A.
Die Freyheit.nunft ihnen die Suͤßigkeit einer voͤlligen Freyheit ſchmecken ließ, und Ho-
merus nennet den Agamemnon 8) einen Hirten der Voͤlker, deſſen Liebe
fuͤr dieſelben, und Sorge fuͤr ihr Beſtes, anzudeuten. Ob ſich gleich nachher
Tyrannen aufwarfen, ſo waren ſie es nur in ihrem Vaterlande, und die
ganze Nation hat niemals ein einziges Oberhaupt erkannt. Daher ruhete
nicht auf einer Perſon allein das Recht, groß in ſeinem Volke zu ſeyn, und
ſich mit Ausſchließung anderer verewigen zu koͤnnen.
Die Kunſt wurde ſchon ſehr zeitig gebraucht, das Andenken einer
Perſon auch durch ſeine Figur zu erhalten, und hierzu ſtand einem jeden
Griechen der Weg offen. Da nun die aͤlteſten Griechen 9) das Gelernete
dem, wo ſich die Natur vornemlich aͤußerte, weit nachſetzten, ſo wur-
den auch die erſten Belohnungen auf Leibes-Uebungen geſetzt, und wir
Eine Statue des Siegers 5), in deſſen Gleichheit und Aehnlichkeit,
an dem heiligſten Orte in Griechenland geſetzet, und von dem ganzen Vol-
ke geſehen und verehret, war ein maͤchtiger Antrieb, nicht weniger dieſelbe
zu machen, als zu erlangen, und niemals iſt fuͤr Kuͤnſtler, unter irgend
einem Volke von ie an, eine ſo haͤufige Gelegenheit geweſen, ſich zu zeigen;
der Statuen in den Tempeln ſo wohl der Goͤtter 6), als ihrer Prieſter
und Prieſterinnen 7), nicht zu gedenken. Den Siegern in den großen
Spielen wurden nicht allein an dem Orte der Spiele, und vielen nach der
Durch die Freyheit erhob ſich, wie ein edler Zweig aus einem ge-
ſunden Stamme, das Denken des ganzen Volks. Denn wie der Geiſt
eines zum Denken gewoͤhnten Menſchen ſich hoͤher zu erheben pflegt im
weiten Felde, oder auf einem offenen Gange, auf der Hoͤhe eines Ge-
baͤudes, als in einer niedrigen Kammer, und in jedem eingeſchraͤnkten Orte,
ſo muß auch die Art zu denken unter den freyen Griechen gegen die Begrif-
fe beherrſchter Voͤlker ſehr verſchieden geweſen ſeyn. Herodotus zeiget 7),
daß die Freyheit allein der Grund geweſen von der Macht und Hoheit,
zu welcher Athen gelanget iſt, da dieſe Stadt vorher, wenn ſie einen
Herrn uͤber ſich erkennen muͤſſen, ihren Nachbarn nicht gewachſen ſeyn
Ein weiſer Mann war der geehrteſte, und dieſer war in jeder Stadt,III.
Von der
Achtung der
Kuͤnſtler.
wie bey uns der reichſte, bekannt; ſo wie es der junge Scipio 3) war,
welcher die Cybele nach Rom fuͤhrete. Zu dieſer Achtung konnte der
Kuͤnſtler auch gelangen; ja Socrates erklaͤrete die Kuͤnſtler 4) allein fuͤr
weiſe, als diejenigen, welche es ſind, und nicht ſcheinen; und vielleicht in
Die Ehre und das Gluͤck des Kuͤnſtlers hiengen nicht von dem Ei-
genſinne eines unwiſſenden Stolzes ab, und ihre Werke waren nicht nach
dem elenden Geſchmacke, oder nach dem uͤbel geſchaffenen Auge eines durch
die Schmeicheley und Knechtſchaft aufgeworfenen Richters, gebildet, ſon-
dern die weiſeſten des ganzen Volks urtheileten und belohneten ſie, und ihre
Werke, in der Verſammlung aller Griechen, und zu Delphos 2) und zu
Corinth waren Wettſpiele der Malerey unter beſondern dazu beſtellten Rich-
tern, welche zur Zeit des Phidias angeordnet wurden. Hier wurde zuerſt
Panaͤus, der Bruder, oder, wie andere wollen 3), der Schweſter Sohn
des Phidias, mit dem Timagoras von Chalcis, gerichtet, und der letzte er-
hielt den Preis. Vor ſolchen Richtern erſchien Aetion 4) mit ſeiner Ver-
maͤhlung Alexanders und der Roxane: derjenige Vorſitzer, welcher den
Ausſpruch that, hieß Proxenides, und er gab dem Kuͤnſtler ſeine Tochter
zur Ehe. Man ſieht, daß ein allgemeiner Ruf auch an andern Orten die
Richter nicht geblendet, dem Verdienſte das Recht abzuſprechen: denn zu
Samos wurde Parrhaſius, in dem Gemaͤlde des Urtheils uͤber die Waffen
des Achilles, dem Timanthes nachgeſetzet. Aber die Richter waren nicht
fremde in der Kunſt: denn es war eine Zeit in Griechenland, wo die Ju-
gend in den Schulen der Weisheit ſo wohl, als der Kunſt, unterrichtet wur-
de. Daher arbeiteten die Kuͤnſtler fuͤr die Ewigkeit, und die Belohnun-
gen ihrer Werke ſetzten ſie in Stand, ihre Kunſt uͤber alle Abſichten des
Gewinns und der Vergeltung zu erheben. So malete Polygnotus das
Poecile zu Athen, und, wie es ſcheinet, auch ein oͤffentlich Gebaͤude 5) zu
Ueberhaupt wurde alles vorzuͤgliche in allerley Kunſt und Arbeit be-
ſonders geſchaͤtzet, und der beſte Arbeiter in der geringſten Sache konnte
zur Verewigung ſeines Namens gelangen. Wir wiſſen noch itzo den Na-
men des Baumeiſters 2) einer Waſſerleitung auf der Inſel Samos, und
desjenigen, der daſelbſt das groͤßte Schiff gebauet hat; ingleichen den Na-
men eines beruͤhmten Steinmetzen, welcher in Arbeit an Saͤulen ſich her-
vorthat; er hieß Architeles 3). Es ſind die Namen zweyer Weber, oder
Stuͤcker 4), bekannt, die einen Mantel der Pallas Polias zu Athen arbei-
reten. Wir wiſſen den Namen eines Arbeiters von ſehr richtigen Wagen,
oder Waage-Schaalen; er hieß Parthenius 5). Ja es hat ſich der Name
des Sattlers 6), wie wir ihn nennen wuͤrden, erhalten, der den Schild
des Ajax von Leder machte. In dieſer Abſicht ſcheinen die Griechen vieles,
was beſonders war, nach dem Namen des Meiſters, der es gemacht
hatte, benennet zu haben 7), und unter dergleichen Namen blieben die Sa-
chen immer bekannt. Zu Samos wurden hoͤlzerne Leuchter gemacht, die
in großem Werthe gehalten wurden; Cicero arbeitete auf ſeines Bruders
Landhauſe des Abends bey dergleichen Leuchter 8). Auf der Inſel Naxus
waren jemanden, welcher zu erſt den Penteliſchen Marmor in der Form
Γράψε Πολύγνωτος, Θάσιος γένος, Ἀγλαόφωντος
῾ϒιὸς, περϑομένην Ἰλίον ἀκρόπολιν.
Der Gebrauch und die Anwendung der Kunſt erhielt dieſelbe in ihrerIV.
Von der
Anwendung
der Kunſt.
Großheit. Denn da ſie nur den Goͤttern geweihet, und fuͤr das heiligſte
und nuͤtzlichſte im Vaterlande beſtimmet war, und in den Haͤuſern der
Buͤrger Maͤßigkeit und Einfalt wohnete, ſo wurde der Kuͤnſtler nicht auf
Kleinigkeiten, oder auf Spielwerke, durch Einſchraͤnkung des Orts, oder
durch die Luͤſternheit des Eigenthuͤmers herunter geſetzet, ſondern was er
machete, war den ſtolzen Begriffen des ganzen Volks gemaͤß. Miltiades,
Themiſtocles, Ariſtides und Cimon, die Haͤupter und Erretter von Grie-
chenland, wohneten nicht beſſer, als ihr Nachbar 3). Grabmale aber wur-
den als heilige Gebaͤude angeſehen; daher es nicht befremden muß, wenn
ſich Nicias, der beruͤhmte Maler, gebrauchen laſſen, ein Grabmal 4) vor
der Stadt Tritia in Achaja auszumalen. Man muß auch erwaͤgen, wie
ſehr es die Nacheiferung in der Kunſt beſoͤrdert habe, wenn ganze Staͤd-
te 5), eine vor der andern, eine vorzuͤgliche Statue zu haben ſuchten, und
wenn ein ganzes Volk 6) die Koſten zu einer Statue ſo wohl von Goͤttern,
als von Siegern 7) in den oͤffentlichen Spielen, aufbrachten. Einige
Staͤdte waren, auch im Alterthume ſelbſt, bloß durch eine ſchoͤne Statue
bekannt, wie Aliphera 8) wegen einer Pallas von Erzt, vom Hecatodo-
rus und Soſtratus gemacht.
Die Bildhauerey und Malerey ſind unter den Griechen eher, als die
Baukunſt, zu einer gewiſſen Vollkommenheit gelanget: denn dieſe hat mehr
Der Grund von dem ſpaͤteren Wachsthume der Malerey liegt theilsV.
Von dem
verſchiedenen
Alter der Ma-
lerey und
Bildhauerey.
in der Kunſt ſelbſt, theils in dem Gebrauche und in der Anwendung der-
ſelben: denn da die Bildhauerey den Goͤtterdienſt erweitert hat, ſo iſt
ſie wiederum durch dieſen gewachſen. Die Malerey aber hatte nicht glei-
chen Vortheil: ſie war den Goͤttern und den Tempeln gewidmet, und
einige Tempel, wie der Juno zu Samos 1), waren Pinacothecaͤ, d. i.
Gallerien von Gemaͤlden; auch zu Rom waren in dem Tempel des Frie-
dens, nemlich in den obern Zimmern oder Gewoͤlbern deſſelben, die Gemaͤlde
der beſten Meiſter aufgehaͤnget. Aber die Werke der Maler ſcheinen bey
den Griechen kein Vorwurf heiliger zuverſichtlicher Verehrung und Anbe-
tung geweſen zu ſeyn; wenigſtens findet ſich unter allen vom Plinius und
Pauſanias angefuͤhrten Gemaͤlden kein einziges, welches dieſe Ehre erhal-
ten haͤtte; wo nicht etwa jemand in unten geſetzter Stelle des Philo 2)
ein ſolches Gemaͤlde finden wollte. Pauſanias 3) gedenket ſchlechthin
eines Gemaͤldes der Pallas in ihrem Tempel zu Tegea, welches ein Lecti-
ſternium 4) derſelben war. Die Malerey und Bildhauerey verhalten
ſich, wie die Beredſamkeit und Dichtkunſt: dieſe, weil ſie mehr, als jene,
heilig gehalten, zu heiligen Handlungen gebrauchet, und beſonders belohnet
wurde, gelangete zeitiger zu ihrer Vollkommenheit; und dieſes iſt zum
Theil die Urſache, daß, wie Cicero 5) ſagt, mehr gute Dichter, als Red-
Von dieſem erſten vorlaͤufigen Stuͤcke gehen wir zum zweyten, von demZweytes Stuͤck
Von dem
Weſentlichen
der Kunſt.
Weſentlichen der Kunſt, welches zween Theile hat; der erſte han-
delt von der Zeichnung des Nackenden, welcher auch die Thiere mit begreift;I.
Von der
Zeichnung des
Nackenden,
welche ſich
gruͤndet auf
die Schoͤnheit.
der zweyte von der Zeichnung bekleideter Figuren, und insbeſondere von
der Weiblichen Kleidung. Die Zeichnung des Nackenden gruͤndet ſich auf
die Kenntniß und auf Begriffe der Schoͤnheit, und dieſe Begriffe beſtehen
theils in Maaße und Verhaͤltniſſen, theils in Formen, deren Schoͤnheit
der erſten Griechiſchen Kuͤnſtler Abſicht war, wie Cicero 1) ſagt: dieſe
bilden die Geſtalt, und jene beſtimmen die Proportion.
Von der Schoͤnheit iſt zuerſt uͤberhaupt zu reden, und zum zweytenA.
Von der
Schoͤnheit all-
gemein, und
zwar
von der Proportion, und alsdenn von der Schoͤnheit einzelner Theile des
Die Schoͤnheit, als der hoͤchſte Entzweck, und als der Mittelpunct
der Kunſt, erfordert vorlaͤufig eine allgemeine Abhandlung, in welcher ich
mir und dem Leſer ein Genuͤge zu thun wuͤnſchte; aber dieſes iſt auf bey-
den Seiten ein ſchwer zu erfuͤllender Wunſch. Denn die Schoͤnheit iſt
eins von den großen Geheimniſſen der Natur, deren Wirkung wir ſehen,
und alle empfinden, von deren Weſen aber ein allgemeiner deutlicher Be-
griff unter die unerfundenen Wahrheiten gehoͤret. Waͤre dieſer Begriff
Geometriſch deutlich, ſo wuͤrde das Urtheil der Menſchen uͤber das Schoͤne
nicht verſchieden ſeyn, und es wuͤrde die Ueberzeugung von der wahren
Schoͤnheit leicht werden; noch weniger wuͤrde es Menſchen entweder von
ſo ungluͤcklicher Empfindung, oder von ſo widerſprechendem Duͤnkel geben
koͤnnen, daß ſie auf der einen Seite ſich eine falſche Schoͤnheit bilden, auf
der andern keinen richtigen Begriff von derſelben annehmen, und mit dem
Ennius ſagen wuͤrden:
Sed mihi neutiquam cor conſentit cum oculorum adſpectu.
ap. Cic. Lucull. c. 17.
Dieſe letztern ſind ſchwerer zu uͤberzeugen, als jene zu belehren; ihre
Zweifel aber ſind mehr ihren Witz zu offenbaren erdacht, als zur Vernei-
nung des wirklichen Schoͤnen behauptet; es haben auch dieſelben in der
Kunſt keinen Einfluß. Jene ſollte der Augenſchein, ſonderlich im Ange-
ſichte von tauſend und mehr erhaltenen Werken des Alterthums erleuchten:
Die Begriffe der Schoͤnheit bilden ſich bey den mehreſten Kuͤnſtlern
aus ſolchen unreifen erſten Eindruͤcken, welche ſelten durch hoͤhere Schoͤnhei-
ten geſchwaͤchet oder vertilget werden, zumal wenn ſie, entfernt von den Schoͤn-
heiten der Alten, ihre Sinne nicht verbeſſern koͤnnen. Denn es iſt mit dem
Zeichnen, wie mit dem Schreiben: wenig Knaben, welche ſchreiben lernen,
werden mit Gruͤnden von Beſchaffenheit der Zuͤge, und des Lichts und Schat-
tens an denſelben, worinn die Schoͤnheit der Buchſtaben beſtehet, ange-
In andern hat der Himmel das ſanfte Gefuͤhl der reinen Schoͤnheit
nicht zur Reife kommen laſſen, und es iſt ihnen entweder durch die Kunſt,
das iſt, durch die Bemuͤhung, ihr Wiſſen allenthalben anzuwenden, in
Bildung jugendlicher Schoͤnheiten erhaͤrtet worden, wie im Michael An-
gelo, oder es hat ſich dieſes Gefuͤhl durch eine poͤbelhafte Schmeicheley des
groben Sinnes, um demſelben alles greiflicher vor Augen zu legen, mit
der Zeit gaͤnzlich verderbet, wie im Bernini geſchehen iſt. Jener hat ſich
mit Betrachtung der hohen Schoͤnheit beſchaͤftiget, wie man aus ſeinen,
theils gedruckten, theils ungedruckten Gedichten ſieht, wo er in wuͤrdi-
gen und erhabenen Ausdruͤcken uͤber dieſelbe denket, und er iſt wunderbar
in ſtarken Leibern; aber aus angefuͤhrtem Grunde hat derſelbe aus ſeinen
Weiblichen Figuren Geſchoͤpfe einer andern Welt, im Gebaͤude, in der
Handlung und in den Gebehrden gemacht: Michael Angelo iſt gegen den Ra-
phael, was Thucydides gegen den Xenophon iſt. Bernini ergrif eben den
Weg, welcher jenen wie in unwegſame Orte und zu ſteilen Klippen brachte,
und dieſen hingegen in Suͤmpfe und Lachen verfuͤhrete: denn er ſuchte For-
men, aus der niedrigſten Natur genommen, gleichſam durch das Uebertriebene
zu veredlen, und ſeine Figuren ſind wie der zu ploͤtzlichem Gluͤcke gelangete
Poͤbel; ſein Ausdruck iſt oft der Handlung widerſprechend, ſo wie Han-
nibal im aͤußerſten Kummer lachete. Dem ohngeachtet hat dieſer Kuͤnſt-
Die von der zwoten Art, nemlich die Zweifeler wider die Richtig-
keit der Begriffe der Schoͤnheit, gruͤnden ſich vornehmlich auf die Begriffe
des Schoͤnen unter entlegenen Voͤlkern, die ihrer verſchiedenen Geſichts-
bildung zufolge, auch verſchieden von den unſrigen ſeyn muͤſſen. Denn ſo
wie viele Voͤlker die Farbe ihrer Schoͤnen mit Ebenholz (welche ſo, wie
dieſes, glaͤnzender, als anderes Holz, und als eine weiße Haut iſt) verglei-
chen wuͤrden, da wir dieſelbe mit Elfenbein vergleichen, eben ſo, ſagen ſie,
werden vielleicht bey jenen die Vergleichungen der Formen des Geſichts mit
Thieren gemacht werden, an welchen uns eben die Theile ungeſtalt und
haͤßlich ſcheinen. Ich geſtehe, daß man auch in den Europaͤiſchen Bil-
dungen aͤhnliche Formen mit der Bildung der Thiere finden kann, und
Otto van Veen, der Meiſter des Rubens, hat dieſes in einer beſondern
Schrift gezeiget: man wird aber auch zugeben muͤſſen, daß, je ſtaͤrker dieſe
Aehnlichkeit an einigen Theilen iſt, deſto mehr weichet die Forme von den
Eigenſchaften unſers Geſchlechts ab, und es wird dieſelbe theils ausſchwei-
fend, theils uͤbertrieben, wodurch die Harmonie unterbrochen, und die
Einheit und Einfalt geſtoͤret wird, als worinn die Schoͤnheit beſtehet,
wie ich unten zeige.
Je ſchraͤger z. E. die Augen ſtehen, wie an Katzen, deſto mehr faͤllt
dieſe Richtung von der Baſe und der Grundlage des Geſichts ab, welche
das Creutz iſt, wodurch daſſelbe von dem Wirbel an in die Laͤnge und in
die Breite gleich getheilet wird, indem die ſenkrechte Linie die Naſe durch-
ſchneidet, die horizontal Linie aber den Augenknochen. Liegt das Auge
ſchraͤg, ſo durchſchneidet es eine Linie, welche mit jener parallel, durch den
Mittelpunct des Auges gezogen, zu ſetzen iſt. Wenigſtens muß hier eben
die Urſache ſeyn, die den Uebelſtand eines ſchief gezogenen Mundes macht;
denn wenn unter zwo Linien die eine von der andern ohne Grund abwei-
chet, thut es dem Auge wehe. Alſo ſind dergleichen Augen, wo ſie ſich
unter uns finden, und an Sineſen und Japoneſen ſeyn ſollen, wie man
an einigen Aegyptiſchen Koͤpfen in Profil ſieht, eine Abweichung. Die
gepletſchte Naſe der Calmucken, der Sineſen, und anderer entlegenen Voͤl-
ker, iſt ebenfalls eine Abweichung: denn ſie unterbricht die Einheit der
Formen, nach welcher der uͤbrige Bau des Koͤrpers gebildet worden, und
es iſt kein Grund, warum die Naſe ſo tief geſenkt liegt, und nicht viel-
mehr der Richtung der Stirne folgen ſoll; ſo wie hingegen die Stirn und
Naſe aus einem geraden Knochen, wie an Thieren, wider die Mannigfal-
tigkeit in unſerer Natur ſeyn wuͤrde. Der aufgeworfene ſchwuͤlſtige Mund,
welchen die Mohren mit den Affen in ihrem Lande gemein haben, iſt ein
uͤberfluͤßiges Gewaͤchs und ein Schwulſt, welchen die Hitze ihres Clima
verurſachet, ſo wie uns die Lippen von Hitze, oder von ſcharfen ſalzigen
Feuchtigkeiten, auch einigen Menſchen im heftigen Zorne, aufſchwellen.
Die kleinen Augen der entlegenen Nordlichen und Oſtlichen Laͤnder ſind in
der Unvollkommenheit ihres Gewaͤchſes mit begriffen, welches kurz und
klein iſt.
Solche Bildungen wirket die Natur allgemeiner, je mehr ſie ſich ih-
ren aͤußerſten Enden naͤhert, und entweder mit der Hitze, oder mit der
Kaͤlte ſtreitet, wo ſie dort uͤbertriebene und zu fruͤhzeitige, hier aber un-
Die Farbe traͤgt zur Schoͤnheit bey, aber ſie iſt nicht die Schoͤnheit
ſelbſt, ſondern ſie erhebet dieſelbe uͤberhaupt und ihre Formen. Da nun
Dieſes iſt alſo, wie geſagt, verneinend von der Schoͤnheit gehan-
delt, das iſt, es ſind die Eigenſchaften, welche ſie nicht hat, von derſelben
abgeſondert, durch Anzeige unrichtiger Begriffe von derſelben; ein beja-
hender Begriff aber erfordert die Kenntniß des Weſens ſelbſt, in welches
wir in wenig Dingen hineinzuſchauen vermoͤgend ſind. Denn wir koͤnnen
hier, wie in den mehreſten Philoſophiſchen Betrachtungen, nicht nach Art
der Geometrie verfahren, welche vom allgemeinen auf das beſondere und
einzelne, und von dem Weſen der Dinge auf ihre Eigenſchaften gehet und
Die Weiſen, welche den Urſachen des allgemeinen Schoͤnen nachge-
dacht haben, da ſie daſſelbe in erſchaffenen Dingen erforſchet, und bis zur
Quelle des hoͤchſten Schoͤnen zu gelangen geſuchet, haben daſſelbe in der
vollkommenen Uebereinſtimmung des Geſchoͤpfes mit deſſen Abſichten, und
der Theile unter ſich, und mit dem Ganzen deſſelben, geſetzet. Da dieſes
aber gleichbedeutend iſt mit der Vollkommenheit, fuͤr welche die Menſch-
heit kein faͤhiges Gefaͤß ſeyn kann, ſo bleibet unſer Begriff von der allge-
meinen Schoͤnheit unbeſtimmt, und bildet ſich in uns durch einzelne Kennt-
niſſe, die, wenn ſie richtig ſind, geſammlet und verbunden, uns die hoͤch-
ſte Idee Menſchlicher Schoͤnheit geben, welche wir erhoͤhen, je mehr wir
uns uͤber die Materie erheben koͤnnen. Da ferner dieſe Vollkommenheit
durch den Schoͤpfer allen Creaturen in dem ihnen zukommenden Grade ge-
geben worden, und ein jeder Begriff auf einer Urſache beſtehet, die außer
dieſem Begriffe in etwas andern geſuchet werden muß, ſo kann die Urſache
der Schoͤnheit nicht außer ihr, da ſie in allen erſchaffenen Dingen iſt, ge-
funden werden. Eben daher, und weil unſere Kenntniſſe Vergleichungs-
begriffe ſind, die Schoͤnheit aber mit nichts hoͤherm kann verglichen wer-
den, ruͤhret die Schwierigkeit einer allgemeinen und deutlichen Erklaͤrung
derſelben.
Die hoͤchſte Schoͤnheit iſt in Gott, und der Begriff der Menſchlichen
Schoͤnheit wird vollkommen, je gemaͤßer und uͤbereinſtimmender derſelbe
mit dem hoͤchſten Weſen kann gedacht werden, welches uns der Begriff
der Einheit und der Untheilbarkeit von der Materie unterſcheidet. Dieſer
Begriff der Schoͤnheit iſt wie ein aus der Materie durchs Feuer gezogener
Geiſt, welcher ſich ſuchet ein Geſchoͤpf zu zeugen nach dem Ebenbilde der in
dem Verſtande der Gottheit entworfenen erſten vernuͤnftigen Creatur.
Die Bildung der Schoͤnheit iſt entweder Individuel, das iſt, aufaa. Die Bil-
dung der
Schoͤnheit in
Werken der
Kunſt.
das einzelne gerichtet, oder ſie iſt eine Wahl ſchoͤner Theile aus vielen ein-
zelnen, und Verbindung in eins, welche wir Idealiſch nennen. Die
Bildung der Schoͤnheit hat angefangen mit dem einzelnen Schoͤnen, inα. die In-
dividuelle
Schoͤnheit.
Nachahmung eines ſchoͤnen Vorwurfs, auch in Vorſtellung der Goͤtter,
und es wurden auch noch in dem Flore der Kunſt Goͤttinnen nach dem
Ebenbilde ſchoͤner Weiber, ſo gar die ihre Gunſt gemein und feil hatten,
gemacht. Die Gymnaſia und die Orte, wo ſich die Jugend im Ringen
und in andern Spielen nackend uͤbte, und wohin man gieng 1), die ſchoͤne
Jugend zu ſehen, waren die Schulen, wo die Kuͤnſtler die Schoͤnheit des
In der ſchoͤnen Jugend fanden die Kuͤnſtler die Urſache der Schoͤnheit
in der Einheit, in der Mannigfaltigkeit, und in der Uebereinſtimmung.
Denn die Formen eines ſchoͤnen Koͤrpers ſind durch Linien beſtimmt, welche
beſtaͤndig ihren Mittelpunct veraͤndern, und fortgefuͤhrt niemals einen Cir-
kel beſchreiben, folglich einfacher, aber auch mannigfaltiger, als ein Cirkel,
welcher, ſo groß und ſo klein derſelbe immer iſt, eben den Mittelpunct hat,
und andere in ſich ſchließet, oder eingeſchloſſen wird. Dieſe Mannigfaltig-
keit wurde von den Griechen in Werken von aller Art 3) geſuchet, und dieſes
Syſtema ihrer Einſicht zeiget ſich auch in der Form ihrer Gefaͤße und Vaſen,
deren ſvelter und zierlicher Conturn nach eben der Regel, das iſt, durch
eine Linie gezogen iſt, die durch mehr Cirkel muß gefunden werden: denn
dieſe Werke haben alle eine Elliptiſche Figur, und hierinn beſtehet die
Schoͤnheit derſelben. Je mehr Einheit aber in der Verbindung der For-
men, und in der Ausfließung einer aus der andern iſt, deſto groͤßer iſt das
Schoͤne des Ganzen. Ein ſchoͤnes jugendliches Gewaͤchs aus ſolchen For-
Da aber in dieſer großen Einheit der jugendlichen Formen die Graͤn-
zen derſelben unmerklich eine in die andere fließen, und von vielen der ei-
gentliche Punct der Hoͤhe, und die Linie, welche dieſelbe umſchreibet, nicht
genau kann beſtimmet werden, ſo iſt aus dieſem Grunde die Zeichnung
eines jugendlichen Koͤrpers, in welchem alles iſt und ſeyn, und nicht er-
ſcheinet und erſcheinen ſoll, ſchwerer, als einer Maͤnnlichen oder betagten
Figur, weil in jener die Natur die Ausfuͤhrung ihrer Bildung geendiget,
folglich beſtimmet hat, in dieſer aber anfaͤngt, ihr Gebaͤude wiederum auf-
zuloͤſen, und alſo in beyden die Verbindung der Theile deutlicher vor Au-
gen lieget. Es iſt auch kein ſo großer Fehler, in ſtark muſculirten Koͤrpern
aus dem Umriſſe heraus zu gehen, oder die Andeutung der Muskeln und
anderer Theile zu verſtaͤrken, oder zu uͤbertreiben, als es die geringſte Ab-
weichung in einem jugendlichen Gewaͤchſe iſt, wo auch der geringſte Schat-
ten, wie man zu reden pfleget, zum Koͤrper wird; und wer nur im ge-
ringſten vor der Scheibe vorbey ſchießt, iſt eben ſo gut, als wenn er nicht
hinan getroffen haͤtte.
Dieſe Betrachtung kann unſer Urtheil richtig und gruͤndlich machen,
und die Ungelehrten, welche nur insgemein in einer Figur, wo alle Mus-
keln und Knochen angedeutet ſind, die Kunſt mehr, als in der Einfalt der
Jugend, bewundern, beſſer unterrichten. Einen augenſcheinlichen Beweis
von dem, was ich ſage, kann man in geſchnittenen Steinen und deren Ab-
druͤcken geben, in welchen ſich zeiget, daß alte Koͤpfe viel genauer und
beſſer, als junge ſchoͤne Koͤpfe, von neuern Kuͤnſtlern nachgemacht ſind: ein
Kenner koͤnnte vielleicht bey dem erſten Bilde anſtehen, uͤber das Alterthum
eines betagten Kopfs in geſchnittenen Steinen zu urtheilen; uͤber einen
Die Natur aber und das Gebaͤude der ſchoͤnſten Koͤrper iſt ſelten ohne
Maͤngel, und hat Formen oder Theile, die ſich in andern Koͤrpern voll-
kommener finden oder denken laſſen, und dieſer Erfahrung gemaͤß verfuh-
ren dieſe weiſe Kuͤnſtler, wie ein geſchickter Gaͤrtner, welcher verſchiedene
Abſenker von edlen Arten auf einen Stamm pfropfet; und wie eine Biene
aus vielen Blumen ſammlet, ſo blieben die Begriffe der Schoͤnheit nicht
auf das Individuelle einzelne Schoͤne eingeſchraͤnkt, wie es zuweilen die
Begriffe der alten und neuern Dichter, und der mehreſten heutigen Kuͤnſtler
ſind, ſondern ſie ſuchten das Schoͤne aus vielen ſchoͤnen Koͤrpern zu verei-
nigen. Sie reinigten ihre Bilder von aller perſoͤnlichen Neigung, welche
unſern Geiſt von dem wahren Schoͤnen abziehet. So ſind die Augenbra-
nen der Liebſte des Anacreons, welche unmerklich von einander getheilet
ſeyn ſollten, eine eingebildete Schoͤnheit perſoͤnlicher Neigung, ſo wie die-
Es faͤllete Bernini ein ſehr ungegruͤndetes Urtheil 4), wenn er die
Wahl der ſchoͤnſten Theile, welche Zeuxis an fuͤnf Schoͤnheiten zu Croton
machete, da er eine Juno daſelbſt zu malen hatte, fuͤr ungereimt und fuͤr
erdichtet anſah, weil er ſich einbildete, ein beſtimmtes Theil oder Glied
reime ſich zu keinem andern Koͤrper, als dem es eigen iſt. Andere haben
keine als Individuelle Schoͤnheiten denken koͤnnen, und ihr Lehrſatz iſt:
die alten Statuen ſind ſchoͤn, weil ſie der ſchoͤnen Natur aͤhnlich ſind,
und die Natur wird allezeit ſchoͤn ſeyn, wenn ſie den ſchoͤnen Statuen aͤhnlich
iſt 5). Der vordere Satz iſt wahr, aber nicht einzeln, ſondern geſammlet;
(collective) der zweyte Satz aber iſt falſch: denn es iſt ſchwer, ja faſt
unmoͤglich, ein Gewaͤchs zu finden, wie der Vaticaniſche Apollo iſt.
Der Geiſt vernuͤnftig denkender Weſen hat eine eingepflanzte Nei-
gung und Begierde, ſich uͤber die Materie in die geiſtige Sphaͤre der Be-
Unter den Weiblichen Gottheiten wurde der Diana und der Pallas
eine beſtaͤndige Jungferſchaft beygelegt, und die andern Goͤttinnen ſollten
dieſelbe eingebuͤßet, wiederum erlangen koͤnnen; Juno, ſo oft ſie ſich in
dem Brunnen Canathus badete. Daher ſind die Bruͤſte der Goͤttinnen
und der Amazonen, wie an jungen Maͤdgens, denen Lucina den Guͤrtel noch
nicht aufgeloͤſet hat, und welche die Frucht der Liebe noch nicht empfangen
haben; ich will ſagen, die Warze iſt auf den Bruͤſten nicht ſichtbar. Es
Die geiſtige Natur iſt zugleich in ihrem leichten Gange abgebildet,
und Homerus vergleichet die Geſchwindigkeit der Juno im Gehen, mit dem
Gedanken eines Menſchen, mit welchem er durch viele entlegene Laͤnder,
die er bereiſet hat, durchfaͤhrt, und in einem Augenblicke ſaget: „Hier
bin ich geweſen, und dort war ich.„ Ein Bild hiervon iſt das Laufen
der Atalanta, die ſo ſchnell uͤber den Sand hinflog, daß ſie keinen Ein-
druck der Fuͤße zuruͤck ließ; und ſo leicht ſcheinet die Atalanta auf einem
Amathyſte 4) des Stoßiſchen Muſei. Der Schritt des Vaticaniſchen Apollo
ſchwebet gleichſam, ohne die Erde mit den Fußſohlen zu beruͤhren.
Die Jugend der Goͤtter hat in beyderley Geſchlecht ihre verſchiedeneαα. In maͤnn-
lichen jugend-
lichen Gott-
heiten
Stuffen und Alter, in deren Vorſtellung die Kunſt alle ihre Schoͤnheiten
zu zeigen geſucht hat. Es iſt dieſelbe ein Ideal, theils von Maͤnnlichen
ſchoͤnen Koͤrpern, theils von der Natur ſchoͤner Verſchnittenen genommen,א die verſchie-
denen Stufen
der Jugend in
denſelben.
und durch ein uͤber die Menſchheit erhabenes Gewaͤchs erhoͤhet: daher ſagt
Plato 5), daß Goͤttlichen Bildern nicht die wirklichen Verhaͤltniſſe, ſon-
dern welche der Einbildung die ſchoͤnſten ſchienen, gegeben worden. Dasבב die Faune.
Unrichtiger
Begriff eines
Scribenten
von deren
Bildung.
erſtere Maͤnnliche Ideal hat ſeine verſchiedenen Stuffen, und faͤngt an
Der hoͤchſte Begriff Idealiſcher Maͤnnlicher Jugend iſt ſonderlich im
Apollo gebildet, in welchem ſich die Staͤrke vollkommener Jahre mit den
ſanften Formen des ſchoͤnſten Fruͤhlings der Jugend vereinigt findet.
Die ſchoͤne Jugend im Apollo gehet nachdem in andern Goͤtternגג Die Ju-
gend anderer
Goͤtter, ſon-
derlich des
Mars Unrich-
tiger Begriff
eines Seriben-
ten von deſſen
Bildung.
ſtuffenweis zu ausgefuͤhrtern Jahren, und iſt Maͤnnlicher im Mercurius, und
im Mars; aber nimmermehr iſt es einem Kuͤnſtler des Alterthums einge-
fallen, den Mars, wie ihn der vorher getadelte Scribent haben wollte,
Die zwote Art Idealiſcher Jugend von verſchnittenen Naturen ge-
nommen, iſt mit der Maͤnnlichen Jugend vermiſcht im Bacchus gebildet,
Die Schoͤnheit der Gottheiten im maͤnnlichen Alter beſtehet in einem
Inbegriffe der Staͤrke geſetzter Jahre, und der Froͤlichkeit der Jugend,
und dieſe beſtehet hier in dem Mangel der Nerven und Sehnen, welche
ſich in der Bluͤthe der Jahre wenig aͤußern. Hierinn aber liegt zugleich
ein Ausdruck der goͤttlichen Genugſamkeit, welche die zur Nahrung unſers
Koͤrpers beſtimmte Theile nicht von noͤthen hat; und dieſes erlaͤutert des Epi-
curus Meynung von der Geſtalt der Goͤtter, denen er einen Koͤrper, aber gleich-
ſam einen Koͤrper, und Blut, aber gleichſam Blut, giebt, welches Cicero 1) dunkel
und unbegreiflich geſagt findet. Das Daſeyn und der Mangel dieſer Theile
unterſcheiden einen Hercules, welcher wider ungeheure und gewaltſame
Menſchen zu ſtreiten hatte, und noch nicht an das Ziel ſeiner Arbeiten ge-
langet war, von dem mit Feuer gereinigten, und zu dem Genuß der See-
ligkeit des Olympus erhabenen Koͤrper deſſelben; jener iſt in dem Farne-
ſiſchen Hercules, und dieſer in dem verſtuͤmmelten Sturze deſſelben im
Belvedere vorgeſtellet. Hieraus offenbaret ſich an Statuen, die durch
den Verluſt des Kopfs und anderer Zeichen zweydeutig ſeyn koͤnnten, ob
dieſelbe einen Gott, oder einen Menſchen vorſtellen, und dieſe Betrachtung
haͤtte lehren koͤnnen, daß man eine Herculaniſche ſitzende Statue uͤber Le-
bensgroͤße, durch einen neuen Kopf und durch beygelegte Zeichen nicht
haͤtte in einen Jupiter verwandeln ſollen. Mit ſolchen Begriffen wurde
die Natur vom Sinnlichen bis zum Unerſchaffenen erhoben, und die Hand
der Kuͤnſtler brachte Geſchoͤpfe hervor, die von der Menſchlichen Noth-
durft gereiniget waren; Figuren, welche die Menſchheit in einer hoͤheren
Wuͤrdigkeit vorſtellen, die Huͤllen und Einkleidungen bloß denkender Gei-
ſter und himmliſcher Kraͤfte zu ſeyn ſcheinen.
So wie nun die Alten ſtuffenweis von der Menſchlichen Schoͤnheitγγ Begriff
der Schoͤnheit
in den Figuren
der Helden,
und irriger
Begriff eines
Scribenten
von denſelben.
bis an die Goͤttliche hinauf geſtiegen waren, ſo blieb dieſe Staffel der
Schoͤnheit. In ihren Helden, das iſt, in Menſchen, denen das Alter-
thum die hoͤchſte Wuͤrdigkeit unſerer Natur gab, naͤherten ſie ſich bis an
die Graͤnzen der Gottheit, ohne dieſelben zu uͤberſchreiten, und den ſehr fei-
nen Unterſchied zu vermiſchen. Battus auf Muͤnzen von Cyrene wuͤrde
durch einen einzigen Blick zaͤrtlicher Luſt einen Bacchus, und durch einen
Zug von Goͤttlicher Großheit einen Apollo abbilden koͤnnen: Minos auf
Muͤnzen von Gnoſſus wuͤrde ohne einen ſtolzen koͤniglichen Blick einem
Jupiter voll Huld und Gnade aͤhnlich ſehen. Die Formen bildeten ſie an
Helden heldenmaͤßig, und gaben gewiſſen Theilen eine mehr große als natuͤrl.
Erhobenheit; in den Muskeln legten ſie eine ſchnelle Wirkung und Re-
gung, und in heftigen Handlungen ſetzten ſie alle Triebfedern der Natur
in Bewegung. Die Abſicht hiervon war die moͤgliche Mannigfaltigkeit,
welche ſie ſuchten, und in derſelben ſoll Myron alle ſeine Vorgaͤnger uͤber-
troffen haben. Dieſes zeiget ſich auch ſogar an dem ſogenannten Fechter
des Agaſias von Epheſus, in der Villa Borgheſe, deſſen Geſicht offenbar
nach der Aehnlichkeit einer beſtimmten Perſon gebildet worden: die ſaͤgfoͤr-
migen Muskeln in den Seiten ſind unter andern erhabener, ruͤhrender, und
elaſtiſcher, als in der Natur. Noch deutlicher aber laͤßt ſich dieſes zeigen
an eben dieſen Muskeln am Laocoon, welcher eine durch das Ideal erhoͤ-
hete Natur iſt, verglichen mit dieſem Theile des Koͤrpers an vergoͤtterten
und Goͤttlichen Figuren, wie der Hercules und Apollo im Belvedere ſind.
Die Regung dieſer Muskeln iſt am Laocoon uͤber die Wahrheit bis zur
Moͤglichkeit getrieben, und ſie liegen wie Huͤgel, welche ſich in einander
ſchließen, um die hoͤchſte Anſtrengung der Kraͤfte im Leiden und Wider-
ſtreben auszudruͤcken. In dem Rumpfe des vergoͤtterten Hercules iſt in
eben dieſen Muskeln eine hohe Idealiſche Form und Schoͤnheit; aber ſie
ſind wie das Wallen des ruhigen Meers, fließend erhaben, und in einer
Der Leſer verzeihe mir, wenn ich wiederum jenem Dichter von der
Malerey, ſein falſches Vorurtheil zeigen muß. Es ſetzet derſelbe unter
vielen ungegruͤndeten Eigenſchaften der Natur der vor ihm ſogenannten
Halbgoͤtter und Helden, in Werken der alten Kunſt, von Fleiſche abge-
fallene Glieder, duͤrre Beine, einen kleinen Kopf, kleine Huͤften, einen
kleinen Bauch, kleinliche Fuͤße, und eine hohle Fußſohle 1). Woher in der
Welt ſind demſelben dieſe Erſcheinungen kommen! Haͤtte er doch ſchrei-
ben moͤgen, was er beſſer verſtanden!
Unter den Weiblichen Gottheiten ſind, wie an den Maͤnnlichen, ver-
ſchiedene Alter, und auch verſchiedene Begriffe der Schoͤnheit, wenigſtens
in den Koͤpfen, zu bemerken, weil nur allein die Venus ganz unbekleidet
iſt: dieſe findet ſich haͤufiger, als andere Goͤttinnen, vorgeſtellet, und in ver-
ſchiedenem Alter. Die Mediceiſche Venus zu Florenz iſt einer Roſe gleich,
die nach einer ſchoͤnen Morgenroͤthe, beym Aufgang der Sonnen, aufbricht,
und die aus dem Alter tritt, welches, wie Fruͤchte vor der voͤlligen Reife,
hart und herblich iſt, wie ſelbſt ihr Buſen meldet, welcher ſchon ausgebrei-
teter iſt, als an zarten Maͤdgens. Bey dem Stande derſelben ſtelle ich
mir diejenige Lais vor, die Apelles im Lieben unterrichtete, und ich bilde
mir dieſelbe ſo, wie ſie ſich das erſtemal vor den Augen des Kuͤnſtlers ent-
kleiden muͤſſen. Die Venus im Campidoglio 2), welche beſſer, als alle an-
dere, erhalten iſt, (denn es fehlen nur einige Finger, und es iſt nichts an
derſelben gebrochen) eine andere in der Villa Albani, und die Venus von
[Α]ΟΤΗϹ
ΕΝΤΡω[Α]ΔΙ
[Α]ΦΡΟΔΙΤΗϹ
ΜΗΝΟΦ[Α]ΝΤΟϹ
ΕΠΟΙΕΙ
Von den hohen Begriffen in Koͤpfen der Gottheiten kann alle Welt
ſich einen Begriff machen, aus Muͤnzen und geſchnittenen Steinen, oder
deren Abdruͤcken, welche in Laͤndern zu haben ſind, wohin niemals ein
vorzuͤgliches Werk eines Griechiſchen Meißels gekommen iſt. Kaum
reicht ein Jupiter in Marmor an die Majeſtaͤt desjenigen, welcher auf
Muͤnzen Koͤnigs Philippus, Ptolemaͤus des erſten, und des Pyrrhus zu
Thaſus, gepraͤget iſt: der Kopf der Proſerpina auf zwo verſchiedenen ſil-
bernen Muͤnzen des koͤniglichen Farneſiſchen Muſei zu Neapel, uͤberſteiget
alle Einbildung. Die Bildung der Goͤtter war unter allen Griechiſchen
Kuͤnſtlern ſo allgemein beſtimmet, daß dieſelbe ſcheinet durch ein Geſetz vor-
geſchrieben zu ſeyn: ein Kopf eines Jupiters auf Muͤnzen in Jonien, oder
von Doriſchen Griechen gepraͤget, iſt einem Jupiter auf Sicilianiſchen
Nach der Betrachtung uͤber die Bildung der Schoͤnheit iſt zum zwey-bb. Von dem
Ausdrucke in
der Schoͤnheit
ſowohl in Ge
baͤhrden, als
in der Hand
lung.
ten von dem Ausdrucke zu reden. Der Ausdruck iſt eine Nachahmung
des wirkenden und leidenden Zuſtandes unſerer Seele, und unſers Koͤrpers,
und der Leidenſchaften ſo wohl, als der Handlungen. In beyden Zuſtaͤn-
den veraͤndern ſich die Zuͤge des Geſichts, und die Haltung des Koͤrpers,
folglich die Formen, welche die Schoͤnheit bilden, und je groͤßer dieſe Ver-
aͤnderung iſt, deſto nachtheiliger iſt dieſelbe der Schoͤnheit. Die Stille iſt
derjenige Zuſtand, welcher der Schoͤnheit, ſo wie dem Meere, der eigent-
lichſte iſt, und die Erfahrung zeiget, daß die ſchoͤnſten Menſchen von ſtil-
lem geſitteten Weſen ſind. Es kann auch der Begriff einer hohen Schoͤn-
heit nicht anders erzeuget werden, als in einer ſtillen und von allen ein-
zelnen Bildungen abgerufenen Betrachtung der Seele. In ſolcher Stille
Der Vaticaniſche Apollo ſollte dieſe Gottheit vorſtellen, in Unmuth
uͤber den Drachen Python, welchen er mit ſeinem Pfeile erlegte, und zu-
gleich in Verachtung dieſes fuͤr einen Gott geringen Sieges. Der weiſe
Kuͤnſtler, welcher den ſchoͤnſten der Goͤtter bilden wollte, ſetzte nur den
Zorn in der Naſe, wo der Sitz derſelben, nach den alten Dichtern, iſt,
die Verachtung auf den Lippen: dieſe hat er ausgedruͤcket, durch die hin-
aufgezogene Unterlippe, wodurch ſich zugleich das Kinn erhebet, und jener
aͤußert ſich in den aufgeblaͤheten Nuͤſten der Naſe.
Stand und Handlungen ſind allezeit der Wuͤrdigkeit der Goͤtter ge-
maͤß, und man findet keine Gottheit, als etwa den Bacchus, und einen
gefluͤgelten Genius in der Villa Albani, mit uͤbereinander geſchlagenen
Beinen ſtehen, welcher Stand bey jenem ein Ausdruck der Weichlichkeit
iſt. Ich glaube alſo nicht, daß diejenige Statue zu Elis, welche mit
uͤbereinandergeſchlagenen Beinen ſtand, und ſich mit beyden Haͤnden an
einen Spieß lehnete, einen Neptunus vorgeſtellet, wie man den Pau-
Mit eben dieſer Weisheit verfuhren die alten Kuͤnſtler in Vorſtellungγ Von dem
Ausdrucke in
Figuren aus
der Heldenzeit,
insbeſondere
an der Niobe
und am Laoco-
on betrachtet.
der Figuren aus der Heldenzeit, und bloß Menſchlicher Leidenſchaften, die
allezeit der Faſſung eines weiſen Mannes gemaͤß ſind, welcher die Auf-
wallung der Leidenſchaften unterdruͤcket, und von dem Feuer nur die
Funken ſehen laͤßt; das verborgene in ihm ſuchet, der ihn verehret, oder
entdecken will, zu erforſchen. Eben dieſer Faſſung iſt auch deſſen Rede
gemaͤß; daher Homerus die Worte des Ulyſſes mit Schnee-Flocken ver-
gleichet, welche haͤufig, aber ſanft, auf die Erde fallen.
In Vorſtellung der Helden iſt dem Kuͤnſtler weniger, als dem Dich-
ter, erlaubet: dieſer kann ſie malen nach ihren Zeiten, wo die Leidenſchaften
nicht durch die Regierung, oder durch den gekuͤnſtelten Wohlſtand des Le-
bens, geſchwaͤchet waren, weil die angedichteten Eigenſchaften zum Alter
und zum Stande des Menſchen, zur Figur deſſelben aber keine nothwen-
dige Verhaͤltniß haben. Jener aber, da er das ſchoͤnſte in den ſchoͤnſten
Bildungen waͤhlen muß, iſt auf einen gewiſſen Grad des Ausdrucks der
Leidenſchaften eingeſchraͤnkt, die der Bildung nicht nachtheilig werden ſoll.
Von dieſer Betrachtung kann man ſich in zweyen der ſchoͤnſten Werke
des Alterthums uͤberzeugen, von welchen das eine ein Bild der Todes-
furcht, das andere des hoͤchſten Leidens und Schmerzens iſt. Die Toͤch-
ter der Niobe, auf welche Diana ihre toͤdtlichen Pfeile gerichtet, ſind in
dieſer unbeſchreiblichen Angſt, mit uͤbertaͤubter und erſtarreter Empfindung
vorgeſtellet, wenn der gegenwaͤrtige Tod der Seele alles Vermoͤgen zu
denken nimmt; und von ſolcher entſeelten Angſt giebt die Fabel ein Bild
durch die Verwandlung der Niobe in einen Felſen: daher fuͤhrete Aeſchylus
die Niobe ſtillſchweigend auf in ſeinem Trauerſpiele 1). Ein ſolcher Zu-
ſtand, wo Empfindung und Ueberlegung aufhoͤret, und welcher der Gleich-
guͤltigkeit aͤhnlich iſt, veraͤndert keine Zuͤge der Geſtalt und der Bildung,
und der große Kuͤnſtler konnte hier die hoͤchſte Schoͤnheit bilden, ſo wie er
ſie gebildet hat: denn Niobe und ihre Toͤchter ſind und bleiben die hoͤchſten
Ideen derſelben. Laocoon iſt ein Bild des empfindlichſten Schmerzens,
welcher hier in allen Muskeln, Nerven und Adern wirket; das Gebluͤt
iſt in hoͤchſter Wallung durch den toͤdtlichen Biß der Schlangen, und alle
Theile des Koͤrpers ſind leidend und angeſtrenget ausgedruͤckt, wodurch
der Kuͤnſtler alle Triebfedern der Natur ſichtbar gemachet, und ſeine hohe
Wiſſenſchaft und Kunſt gezeiget hat. In Vorſtellung dieſes aͤußerſten
Leidens aber erſcheinet der gepruͤfete Geiſt eines großen Mannes, der mit
der Noth ringet, und den Ausbruch der Empfindung einhalten und unter-
druͤcken will, wie ich in Beſchreibung dieſer Statue im zweyten Theile dem
Leſer habe ſuchen vor Augen zu ſtellen. Auch den Philoctetes,Quod ejulatu, queſtu, gemitu, fremitibus
Reſonando multum, flebiles voces refert,
Ennius ap. Clc. de Fin. L. 2. c. 29.
werden die weiſen Kuͤnſtler mehr nach den Grundſaͤtzen der Weisheit, als
nach dem Bilde der Dichter, vorgeſtellet haben. Der raſende Ajax des be-
Beruͤhmte Maͤnner und regierende Perſonen ſind in einer wuͤrdigen
Faſſung vorgeſtellet, und wie dieſelben vor den Augen aller Welt erſcheinen
wuͤrden; die Statuen Roͤmiſcher Kaiſerinnen gleichen Heldinnen, entfernt
von aller gekuͤnſtelten Artigkeit in Gebaͤhrden, Stande und Handlungen:
wir ſehen in ihnen gleichſam die ſichtliche Weisheit, welche Plato fuͤr kei-
nen Vorwurf der Sinne haͤlt. So wie die zwo beruͤhmten Schulen der
alten Weltweiſen, in einem der Natur gemaͤßen Leben, die Stoiker in
dem Wohlſtande, das hoͤchſte Gut ſetzeten, ſo war auch hier ihrer Kuͤnſtler
Beobachtung auf die Wirkungen der ſich ſelbſt gelaſſenen Natur, und auf die
Wohlanſtaͤndigkeit gerichtet.
Die Weisheit der alten Kuͤnſtler im Ausdrucke zeiget ſich in mehre-δ Erinnerung
uͤber den Aus-
druck neuerer
Kuͤnſtler.
rem Lichte durch das Gegentheil in den Werken des groͤßten Theils der
Kuͤnſtler neuerer Zeiten, welche nicht viel mit wenigen, ſondern wenig mit
viel angedeutet haben. Ihre Figuren ſind in Handlungen, wie die Co-
mici auf den Schauplaͤtzen der Alten, welche, um ſich bey hellem Tage
auch dem geringſten vom Poͤbel an dem aͤußerſten Ende verſtaͤndlich zu
machen, die Wahrheit uͤber ihre Graͤnzen aufblaͤhen muͤſſen, und der Aus-
druck des Geſichts gleichet den Masken der Alten, die aus eben dem Grun-
de ungeſtaltet waren. Dieſer uͤbertriebene Ausdruck wird ſelbſt in einer
Schrift, die in den Haͤnden junger Anfaͤnger in der Kunſt iſt, gelchret,
Nach der allgemeinen Betrachtung der Schoͤnheit iſt zum erſten von
α Allgemein.der Proportion, und zum zweyten von der Schoͤnheit einzelner Theile des
Menſchlichen Koͤrpers, zu reden. Der Bau des Menſchlichen Koͤrpers be-
ſtehet aus der dritten, als der erſten ungleichen Zahl, welches die erſte
Verhaͤltnißzahl iſt: denn ſie enthaͤlt die erſte gerade Zahl und eine andere
in ſich, welche beyde mit einander verbindet. Zwey Dinge koͤnnen, wie
Plato ſagt 1), ohne ein drittes nicht beſtehen; das beſte Band iſt dasjenige,
welches ſich ſelbſt und das verbundene auf das beſte zu eins machet, ſo daß
ſich das erſte zu dem zweyten verhaͤlt, wie dieſes zu dem Mittlern. Daher
iſt in dieſer Zahl Anfang, Mittel und Ende, und durch die Zahl drey ſind,
wie die Pythagoraͤer lehren 2), alle Dinge beſtimmet.
Der Koͤrper ſo wohl, als die vornehmſten Glieder, haben drey Theile:
an jenem ſind es der Leib, die Schenkel, und die Beine; das Untertheil
ſind die Schenkel, die Beine und Fuͤße; und ſo verhaͤlt es ſich mit den
Armen, Haͤnden und Fuͤßen. Eben dieſes ließe ſich von einigen andern
Theilen, welche nicht ſo deutlich aus dreyen zuſammengeſetzet ſind, zeigen.
Das Verhaͤltniß unter dieſen drey Theilen iſt im Ganzen wie in deſſen
Es iſt glaublich, daß die Griechiſchen Kuͤnſtler, nach Art der Aegy-β Genauere
Beſtimmung
derſelben.
ptiſchen, ſo wie die groͤßeren Verhaͤltniſſe, alſo auch die kleineren, durch
genau beſtimmte Regeln feſtgeſetzt gehabt, und daß in jedem Alter und
Stande die Maaße der Laͤngen ſo wohl, als der Breiten, wie die Umkreiſe,
genau beſtimmt geweſen, welches alles in den Schriften der alten Kuͤnſtler,
die von der Symmetrie handelten 2), wird gelehret worden ſeyn. Dieſe
genaue Beſtimmung iſt zugleich der Grund von dem aͤhnlichen Syſtema der
Kunſt, welches ſich auch in den mittelmaͤßigen Figuren der Alten findet.
Denn ohngeachtet der Verſchiedenheit in der Art der Ausarbeitung, welche
auch die Alten bereits in den Werken des Myron, des Polycletus, und
des Lyſippus bemerket haben, ſcheinen die alten Werke dennoch wie von
einer Schule gearbeitet zu ſeyn. Und ſo wie in verſchiedenen Violinſpie-
lern, die unter einem Meiſter gelernet haben, dieſer in jedem von jenen
durch Kunſtverſtaͤndige wuͤrde erkannt werden, eben ſo ſieht man in der
Zeichnung der alten Bildhauer von dem groͤßten bis auf die geringere, eben
dieſelben allgemeinen Grundſaͤtze. Finden ſich aber zuweilen Abweichungen
in dem Verhaͤltniſſe, wie an einem kleinen ſchoͤnen Torſo einer nackten
Weiblichen Figur, bey dem Bildhauer Cavacepi in Rom, an welcher
der Leib vom Nabel bis an die Schaam ungewoͤhnlich lang iſt, ſo iſt zu
Die Regeln der Proportion, ſo wie ſie in der Kunſt von dem Ver-
haͤltniſſe des Menſchlichen Koͤrpers genommen worden, ſind wahrſcheinlich
von den Bildhauern zuerſt beſtimmet, und nachher auch Regeln in der
Baukunſt geworden. Der Fuß war bey den Alten die Regel in allen
großen Ausmeſſungen, und die Bildhauer ſetzten nach der Laͤnge deſſelben
das Maaß ihrer Statuen, und gaben denſelben Sechs Laͤngen des Fußes,
wie Vitruvius bezeuget 1): den der Fuß hat ein beſtimmteres Maaß, als
der Kopf, oder das Geſicht, wonach die neueren Maler und Bildhauer ins-
gemein rechnen. Pythagoras gab daher die Laͤnge des Hercules an 2),
nach dem Maaße des Fußes, mit welchem er das Olympiſche Stadium
zu Elis ausgemeſſen. Hieraus aber iſt mit dem Lomazzo 3) auf keine
Weiſe zu ſchließen, daß der Fuß deſſelben das ſiebente Theil ſeiner Laͤnge
gehalten; und was eben dieſer Scribent gleichſam als ein Augenzeuge ver-
ſichert 4) von den beſtimmten Proportionen der alten Kuͤnſtler an verſchie-
denen Gottheiten, wie zehen Geſichter fuͤr eine Venus, neun Geſichter
fuͤr eine Juno, acht Geſichter fuͤr einen Neptunus, und ſieben fuͤr einen
Hercules, iſt mit Zuverſicht auf guten Glauben der Leſer hingeſchrieben,
und iſt erdichtet und falſch.
Dieſes Verhaͤltniß des Fußes zu dem Koͤrper, welches einem Gelehr-
ten ſeltſam und unbegreiflich ſcheinet 5), und vom Perrault platterdings
Es lehren unſere Kuͤnſtler insgemein ihre Schuͤler bemerken, daß
die alten Bildhauer, ſonderlich in Goͤttlichen Figuren, das Theil des Lei-
bes von der Herzgrube bis an den Nabel, welches gewoͤhnlich nur eine
Geſichtslaͤnge, wie ſie ſagen, haͤlt, um einen halben Theil des Geſichts
laͤnger gehalten, als es ſich in der Natur findet. Dieſes aber iſt ebenfalls
irrig: denn wer die Natur an ſchoͤnen geſchlanken Menſchen zu ſehen Ge-
legenheit hat, wird beſagtes Theil wie an den Statuen finden.
Eine umſtaͤndliche Anzeige der Verhaͤltniſſe des Menſchlichen Koͤrpers
wuͤrde das leichteſte in dieſer Abhandlung von der Griechiſchen Zeichnung
des Nackenden geweſen ſeyn, aber es wuͤrde dieſe bloße Theorie ohne
practiſche Anfuͤhrung hier eben ſo wenig unterrichtend werden, als in an-
deren Schriften, wo man ſich weitlaͤuftig, auch ohne Figuren beyzufuͤgen,
Um aber dieſes Stuͤck von der Proportion fuͤr Anfaͤnger im Zeichnen
nicht ohne practiſchen Unterricht zu laſſen, will ich wenigſtens die Verhaͤlt-
niſſe des Geſichts von den ſchoͤnſten Koͤpfen der Alten, und zugleich von
der ſchoͤnen Natur genommen, anzeigen, als eine untriegliche Regel im
Pruͤfen und im Arbeiten. Dieſes iſt die Regel, welche mein Freund, Herr
Anton Raphael Mengs, der groͤßte Lehrer in ſeiner Kunſt, richtiger
und genauer, als bisher geſchehen, beſtimmet hat, und er iſt vermuthlich
auf die wahre Spur der Alten gekommen. Man ziehet eine ſenkrechte
Linie, welche in fuͤnf Abſchnitte getheilet wird: das fuͤnfte Theil bleibt
fuͤr die Haare; das uͤbrige von der Linie wird wiederum in drey gleiche
Stuͤcke getheilet. Durch die erſte Abtheilung von dieſen dreyen wird eine
Horizontallinie gezogen, welche mit der ſenkrechten Linie ein Creuz macht;
jene muß zwey Theile, von den drey Theilen der Laͤnge des Geſichts, in
der Breite haben. Von den aͤußerſten Puncten dieſer Linie werden bis
zum aͤußerſten Punct des obigen fuͤnften Theils krumme Linien gezogen,
welche von der Eyfoͤrmigen Geſtalt des Geſichts das ſpitze Ende deſſelben
bilden. Eins von den drey Theilen der Laͤnge des Geſichts wird in zwoͤlf
Theile getheilet: drey von dieſen Theilen, oder das vierte Theil des Dritt-
theils des Geſichts, wird auf beyden Seiten des Puncts getragen, wo ſich
beyde Linien durchſchneiden, und beyde Theile zeigen den Raum zwiſchen
beyden Augen an. Eben dieſes Theil wird auf beyde aͤußere Enden dieſer
Horizontallinie getragen, und alsdenn bleiben zwey von dieſen Theilen
zwiſchen dem Theil auf dem aͤußeren Ende der Linie, und zwiſchen dem Theil
auf dem Puncte des Durchſchnitts der Linien, und dieſe zwey Theile geben
Was endlich die Schoͤnheit einzelner Theile des Menſchlichen Koͤr-dd Von der
Schoͤnheit
einzelner
Theile des
Koͤrpers.
pers betrift, ſo iſt hier die Natur der beſte Lehrer: denn im Einzelnen iſt
dieſelbe uͤber die Kunſt, ſo wie dieſe im Ganzen ſich uͤber jene erheben kann.
Dieſes gehet vornehmlich auf die Bildhauerey, welche unfaͤhig iſt, das
Leben zu erreichen in denjenigen Theilen, wo die Malerey im Stande iſt,
demſelben ſehr nahe zu kommen. Da aber einige vollkommen gebildete
Theile, als ein ſanftes Profil, in den groͤßten Staͤdten kaum einigemal
gefunden werden, ſo muͤſſen wir auch aus dieſer Urſache (von dem Nacken-
den nicht zu reden) einige Theile an den Bildniſſen der Alten betrachten.
Die Beſchreibung des Einzelnen aber iſt in allen Dingen, alſo auch
hier ſchwer.
In der Bildung des Geſichts iſt das ſogenannte Griechiſche Profilα Des Ge-
ſichts; ins be-
ſondere
die vornehmſte Eigenſchaft einer hohen Schoͤnheit. Dieſes Profil iſt eine
faſt gerade oder ſanft geſenkte Linie, welche die Stirn mit der Naſe anαα des Pro-
fils deſſelben.
jugendlichen, ſonderlich Weiblichen Koͤpfen, beſchreibet. Die Natur
bildet daſſelbe weniger unter einem rauhen, als ſanften Himmel, aber wo
es ſich findet, kann die Form des Geſichts ſchoͤn ſeyn: denn durch das Ge-
Die Schoͤnheit der Augenbranen beſtehet in einem duͤnnen Faden von
Haͤrchen, wie ſich dieſelbe in der ſchoͤnſten Natur alſo findet 3), welches
in den ſchoͤnſten Koͤpfen in der Kunſt die faſt ſchneidende Schaͤrfe derſelben
vorſtellet: bey den Griechen hießen dieſelben, Augenbranen der Gratien 4).
Wenn ſie aber ſehr gewoͤlbet waren, wurden ſie mit einem geſpannten Bo-
gen, oder mit Schnecken verglichen 5), und ſind niemals fuͤr ſchoͤn ge-
halten worden 6).
Eine von den Schoͤnheiten der Augen iſt die Groͤße, ſo wie ein groſ-γγ Der Au-
gen.
ſes Licht ſchoͤner, als ein kleines iſt; die Groͤße aber iſt dem Augenknochen,
oder deſſen Kaſten gemaͤß, und aͤußert ſich in dem Schnitte, und in der
Oeffnung der Augenlieder, von denen das obere gegen den inneren Win-
kel einen rundern Bogen, als das untere, an ſchoͤnen Augen beſchreibet;
doch ſind nicht alle große Augen ſchoͤn, und niemals die hervorliegenden.
An Loͤwen, wenigſtens an den Aegyptiſchen von Baſalt, in Rom, beſchrei-
bet die Oeffnung des obern Augenliedes einen voͤlligen halben Cirkel.
Die Augen formen an Koͤpfen, im Profil geſtellet, auf erhobenen Arbeiten,
ſonderlich auf den ſchoͤnſten Muͤnzen, einen Winkel, deſſen Oeffnung gegen
die Naſe ſtehet: in ſolcher Richtung der Koͤpfe faͤllt der Winkel der Augen
gegen die Naſe tief, und der Conturn des Auges endiget ſich auf der Hoͤhe
ſeines Bogens oder Woͤlbung, das iſt, der Augapfel ſelbſt ſtehet im Profil.
Dieſe gleichſam abgeſchnittene Oeffnung der Augen giebt den Koͤpfen eine
Großheit, und einen offenen und erhabenen Blick, deſſen Licht zugleich auf
Muͤnzen durch einen erhabenen Punct auf dem Augapfel ſichtbar gemacht iſt.
Die Augen liegen an Idealiſchen Koͤpfen allezeit tiefer, als insgemein
in der Natur, und der Augenknochen ſcheinet dadurch erhabener. Tieflie-
gende Augen ſind zwar keine Eigenſchaft der Schoͤnheit, und machen keine
ſehr offene Mine; aber hier konnte die Kunſt der Natur nicht allezeit fol-
gen, ſondern ſie blieb bey den Begriffen der Großheit des hohen Stils.
Denn an großen Figuren, welche mehr, als die kleineren, entfernt von dem
Geſichte ſtanden, wuͤrden das Auge und die Augenbranen in der Ferne we-
nig ſcheinbar geweſen ſeyn, da der Augapfel nicht wie in der Malerey be-
zeichnet, ſondern mehrentheils ganz glatt iſt, wenn derſelbe, wie in der
Natur, erhaben gelegen, und wenn der Augenknochen eben dadurch nicht
erhaben geweſen. Auf dieſem Wege brachte man an dieſem Theile des Ge-
ſichts mehr Licht und Schatten hervor, wodurch das Auge, welches ſonſt
Eine ſchoͤne Stirn ſoll nach den Anzeigen einiger alten Scribenten
kurz ſeyn, und gleichwohl iſt eine freye große Stirn nicht ſo haͤßlich, ſon-
dern vielmehr das Gegentheil. Die Erklaͤrung dieſes ſcheinbaren Wider-
ſpruchs iſt leicht zu geben: kurz ſoll ſie ſeyn an der Jugend, wie ſie iſt in
der Bluͤte der Jahre, ehe der kurze Haarwachs auf der Stirn ausgehet,
und dieſelbe bloß laͤßt. Es wuͤrde alſo wider die Eigenſchaft der Jugend
ſeyn, ihr eine freye hohe Stirn zu geben, welche aber dem Maͤnnlichen
Alter eigen iſt.
Das Maaß des Mundes iſt, wie angezeiget worden, gleich der Oeff-εε Des Mun-
des.
nung der Naſe; iſt der Schnitt deſſelben laͤnger, ſo wuͤrde es wider das
Verhaͤltniß des Ovals ſeyn, worinn die in demſelben enthaltenen Theile
in eben der Abweichung gegen das Kinn zu gehen muͤſſen, in welcher das
Oval ſelbſt ſich zuſchließet. Die Lippen ſollen noͤthig ſeyn, um mehr
ſchoͤne Roͤthe zu zeigen, und die untere Lippe voͤlliger, als die obere, wo-
durch zugleich unter derſelben in dem Kinne die eingedruckte Rundung, eine
Bildung der Mannigfaltigkeit, entſtehet.
Das Kinn wurde nicht durch Gruͤbchen unterbrochen: denn deſſenζζ Des Kinns.
Schoͤnheit beſtehet in der rundlichen Voͤlligkeit ſeiner gewoͤlbten Form,
und da das Gruͤbchen nur einzeln in der Natur, und etwas zufaͤlliges iſt,
ſo iſt es von Griechiſchen Kuͤnſtlern nicht, wie von neuern Scribenten 1),
als eine Eigenſchaft der allgemeinen und reinen Schoͤnheit geachtet worden.
Daher findet ſich das Gruͤbgen nicht an der Niobe und an ihren Toͤchtern,
noch an der Albaniſchen Pallas, den Bildern der hoͤchſten Weiblichen
Schoͤnheit, und weder Apollo im Belvedere, noch Bacchus in der Villa
Medicis, haben es, noch was ſonſt von ſchoͤnen Idealiſchen Figuren iſt.
Die Venus in Florenz hat es, als einen beſondern Liebreiz, nicht als etwas
zur ſchoͤnen Form gehoͤriges. Varro nennet dieſes Gruͤbgen einen Ein-
druck des Fingers der Liebe.
Die Schoͤnheit der Form der uͤbrigen Theile wurde eben ſo allge-β Der uͤbri-
gen aͤußern
Theile, als d[er]
Haͤnde und
Fuͤße.
mein beſtimmet; die aͤußerſten Theile, Haͤnde, und Fuͤße ſo wohl, als die
Flaͤchen. Es ſcheinet Plutarchus, wie uͤberhaupt, alſo auch hier, ſich
ſehr wenig auf die Kunſt verſtanden zu haben, wenn er vorgiebt, daß die
alten Meiſter nur auf das Geſicht aufmerkſam geweſen 2), und uͤber die
Die Schoͤnheit einer jugendlichen Hand beſtehet in einer ſehr maͤßigen
Voͤlligkeit, mit kaum merklich geſenkten Spuren, nach Art ſanfter Be-
ſchattungen, uͤber die Knoͤchel der Finger, wo auf voͤlligen Haͤnden Gruͤb-
gen ſind. Die Finger ſind mit einer lieblichen Verjuͤngung, wie wohlge-
ſtallte Saͤulen gezogen, und in der Kunſt, ohne Anzeige der Gelenke der
Glieder; das aͤußerſte Glied iſt nicht, wie bey den neuern Kuͤnſtlern,
vorne uͤbergebogen.
Ein ſchoͤner Fuß war mehr ſichtbar, als bey uns, und je weniger der-
ſelbe gepreſſet war, deſto wohlgebildeter war deſſen Form, welche bey den
Alten genau beobachtet wurde; wie aus den beſondern Bemerkungen der
alten Weiſen uͤber die Fuͤße, und aus ihren Schluͤſſen auf die Gemuͤthsnei-
gung erhellet 1). Es werden daher in Beſchreibungen ſchoͤner Perſonen,
wie der Polyxena 2), und der Aſpaſia 3), auch ihre ſchoͤne Fuͤße angefuͤh-
ret, und die ſchlechten Fuͤße Kaiſers Domitianus 4) ſind auch in der Ge-
ſchichte bemerket. Die Naͤgel ſind an den Fuͤßen der Alten platter, als an
neuern Statuen.
Eine praͤchtig gewoͤlbete Erhobenheit der Bruſt wurde an Maͤnnli-γ Der Flaͤchen,
als der Bruſt
und des Unter-
leibes; ingl.
der Schaam
und der Knie.
chen Figuren fuͤr eine allgemeine Eigenſchaft der Schoͤnheit gehalten, und
mit ſolcher Bruſt bildet ſich der Vater der Dichter den Neptunus 1), und
nach demſelben den Agamemnon; ſo wuͤnſchte Anacreon 2) dieſelbe an dem
Bilde deſſen, den er liebte, zu ſehen. Die Bruſt oder der Buſen Weiblicher
Figuren iſt niemals uͤberfluͤßig begabet: denn uͤberhaupt wurde die Schoͤn-
heit in dem maͤßigen Wachsthume der Bruͤſte geſetzet, und man gebrauchte
einen Stein aus der Inſel Naxus 3), welcher fein geſchabet und aufgelegt,
den aufſchwellenden Wachsthum derſelben verhindern ſollte. Eine jung-
fraͤuliche Bruſt wird von Dichtern 4) mit unreifen Trauben verglichen,
und an einigen Figuren der Venus unter Lebensgroͤße, ſind die Bruͤſte ge-
drungen und Huͤgeln aͤhnlich, die ſich zuſpitzen, welches fuͤr die ſchoͤnſte
Form derſelben ſcheinet gehalten worden zu ſeyn.
Der Unterleib iſt auch an Maͤnnlichen Figuren, wie derſelbe an einem
Menſchen nach einem ſuͤßen Schlaf, und nach einer geſunden Verdauung
ſeyn wuͤrde, das iſt, ohne Bauch, und ſo wie ihn die Naturkuͤndiger 5)
zum Zeichen eines langen Lebens ſetzen. Der Nabel iſt nachdruͤcklich ver-
tieft, ſonderlich an Weiblichen Figuren 6), an welchen er in einen Bogen,
und zuweilen in einen kleinen halben Cirkel gezogen iſt, der theils nieder-
werts, theils aufwerts gehet, und es findet ſich dieſes Theil an einigen
Figuren ſchoͤner, als an der Mediceiſchen Venus, gearbeitet, an welcher der
Nabel ungewoͤhnlich tief und groß iſt.
Auch die Theile der Schaam haben ihre beſondere Schoͤnheit; unter
den Hoden iſt allezeit der linke groͤßer, wie es ſich in der Natur findet:
ſo wie man bemerket hat, daß das linke Auge ſchaͤrfer ſieht, als das rechte 1).
Die Knie ſind an jugendlichen Figuren nach der Wahrheit der ſchoͤ-
nen Natur gebildet, welche dieſelben nicht mit ſichtbaren Knorpeln zerglie-
dert, ſondern ſanft und einfach platt gewoͤlbet, und ohne Regung der
Muskeln zeiget.
Dem Leſer und dem Unterſucher der Schoͤnheit uͤberlaſſe ich, die
Muͤnze umzukehren, und beſondere Betrachtungen zu machen uͤber die
Theile, welche der Maler dem Anacreon an ſeinem Geliebten nicht vor-
ſtellen konnte.
Der Inbegriff aller beſchriebenen Schoͤnheiten in den Figuren der
Alten, findet ſich in den unſterblichen Werken Herrn Anton Raphael
Mengs, erſten Hofmalers der Koͤnige von Spanien und von Pohlen, des
groͤßten Kuͤnſtlers ſeiner, und vielleicht auch der folgenden Zeit. Er iſt
als ein Phoenix gleichſam aus der Aſche des erſten Raphaels erwecket wor-
den, um der Welt in der Kunſt die Schoͤnheit zu lehren, und den hoͤchſten
Flug Menſchlicher Kraͤfte in derſelben zu erreichen. Nachdem die Deutſche
Nation ſtolz ſeyn konnte uͤber einen Mann, der zu unſerer Vaͤter Zeiten
die Weiſen erleuchtet, und Saamen von allgemeiner Wiſſenſchaft unter
allen Voͤlkern ausgeſtreuet, ſo fehlete noch an dem Ruhme der Deutſchen,
einen Wiederherſteller der Kunſt aus ihrem Mittel aufzuzeigen, und den
deutſchen Raphael in Rom ſelbſt, dem Sitze der Kuͤnſte, dafuͤr erkannt
und bewundert zu ſehen.
Ich fuͤge dieſer Betrachtung uͤber die Schoͤnheit eine Erinnerung bey,
welche jungen Anfaͤngern und Reiſenden die erſte und vornehmſte Lehre in
Betrachtung Griechiſcher Figuren ſeyn kann. Suche nicht die Maͤngel
In dieſem zweyten Stuͤcke von dem Weſentlichen der Griechiſchen
Kunſt iſt, nach der Zeichnung der Menſchlichen Figuren, mit wenigen die
Abbildung der Thiere, ſo wie im zweyten Capitel geſchehen, zu beruͤhren.
Die Unterſuchung und Kenntniß der Natur der Thiere iſt nicht weniger
ein Vorwurf der Kuͤnſtler der alten Griechen, als ihrer Weiſen, geweſen:
verſchiedene Kuͤnſtler haben ſich vornehmlich in Thieren zu zeigen geſuchet;
Calamis in Pferden, und Nicias in Hunden; ja die Kuh des Myron
iſt beruͤhmter, als ſeine andern Werke, und iſt durch viel Dichter beſungen,
deren Inſchriften ſich erhalten haben; auch ein Hund dieſes Kuͤnſtlers
war beruͤhmt, ſo wie ein Kalb des Menaͤchmus 1). Wir finden, daß
die alten Kuͤnſtler wilde Thiere nach dem Leben gearbeitet, und Paſite-
les 2) hatte einen lebendigen Loͤwen in Abbildung deſſelben vor Augen.
Von Loͤwen und von Pferden haben ſich ungemein ſchoͤne Stuͤcke, theils
freyſtehende, theils erhobene, und auf Muͤnzen und geſchnittenen Steinen,
erhalten. Der uͤber die Natur große ſitzende Loͤwe in weißem Marmor,
welcher an dem Pireaͤiſchen Hafen zu Athen ſtand, und itzo vor dem Ein-
gange des Arſenals zu Venedig ſtehet, iſt billig unter die vorzuͤglichen
Werke der Kunſt zu zaͤhlen, und der ſtehende Loͤwe im Pallaſte Barberini,
ebenfalls uͤber Lebensgroͤße, welcher von einem Grabmale weggenommen
iſt, zeiget dieſen Koͤnig der Thiere in ſeiner fuͤrchterlichen Großheit. Wie
ſchoͤn ſind die Loͤwen auf Muͤnzen der Stadt Velia gezeichnet und gepraͤget!
In Pferden ſind die alten Kuͤnſtler von den Neueren vielleicht nicht
uͤbertroffen, wie Duͤ Bos behauptet 3), weil er annimmt, daß die Pferde
Es iſt auch ein ſehr uͤberhinflatterndes Urtheil jenes Scribenten, wenn
er ſein obiges Vorgeben aus einigen Maͤngeln des Pferdes des Marcus
Aurelius zu behaupten ſuchet: dieſe Statue hat natuͤrlicher Weiſe gelitten,
wo dieſelbe umgeworfen und verſchuͤttet gelegen; an den Pferden auf
Monte Cavallo muß man ihm gerade zu widerſprechen, und es iſt das,
was alt iſt, nicht fehlerhaft.
Wenn wir auch keine andern Pferde in der Kunſt haͤtten, ſo kann
man voraus ſetzen, da vor Alters tauſend Statuen auf und mit Pferden
gegen eine einzige in neuern Zeiten gemacht worden, daß die Kuͤnſtler des
Alterthums die Eigenſchaften eines ſchoͤnen Pferdes, ſo wie ihre Scriben-
ten und Dichter, gekannt haben, und daß Calamis eben ſo viel Einſicht, als
Horatius und Virgilius, gehabt, die uns alle Tugenden und Schoͤnheiten
eines Pferdes anzeigen. Mich deucht, die vier alten Pferde von Erzt uͤber
Es iſt hier bey Gelegenheit zu merken, wie ich an einem andern Orte
angezeiget 1), daß die alten Kuͤnſtler uͤber die Bewegung der Pferde, das
iſt, uͤber die Art und Folge der Beine im Aufheben, nicht einig waren,
eben ſo wenig, wie es einige neuere Scribenten ſind, welche dieſen Punct
beruͤhret haben. Einige behaupten 2), daß die Pferde die Beine an jeder
Seite zugleich aufheben, und ſo iſt der Gang der vier alten Pferde zu Ve-
nedig, der Pferde des Caſtor und des Pollux auf dem Campidoglio, und
der Pferde des Nonius Balbus und ſeines Sohns zu Portici vorgeſtellet.
Andere halten ſich uͤberzeugt, daß die Pferde ſich Diagonaliſch, oder im
Creuz, bewegen 3), das iſt, ſie heben nach dem rechten Vorderfuße den
linken Hinterfuß auf, und dieſes iſt auf die Erfahrung, und auf die Geſetze
der Mechanic gegruͤndet. Alſo heben die Fuͤße das Pferd des Marcus
Aurelius, die vier Pferde an deſſen Wagen in erhobner Arbeit, und die
an den Bogen des Titus ſtehen.
Es finden ſich auch verſchiedene andere Thiere Griechiſcher Kuͤnſtler
von harten Steinen und von Marmor in Rom. In der Villa Negroni
ſtehet ein ſchoͤner Tiger von Baſalt, auf welchem eins der ſchoͤnſten Kinder
in Marmor reitet; ein Bildhauer beſitzet einen großen ſchoͤnen Hund von
Marmor. An dem bekannten Bocke in dem Pallaſte Giuſtiniani iſt der
Kopf, als das ſchoͤnſte Theil, neu.
Dieſe Abhandlung von der Zeichnung des Nackenden Griechiſcher Kuͤnſt-
ler, iſt hier nicht erſchoͤpft, wie ich ſehr wohl einſehe; aber ich glaube, es ſey der
Faden gegeben, den man faſſen, und dem man richtig nachgehen kann. Rom
iſt der Ort, wo dieſe Betrachtungen reichlicher, als anderswo, gepruͤfet und an-
gewendet werden koͤnnen; das richtige Urtheil aber uͤber dieſelben, und der
voͤllige Nutzen, iſt nicht im Durchlaufen zu machen, noch zu ſchoͤpfen: denn
was anfaͤnglich dem Sinne des Verfaſſers nicht gemaͤß ſcheinen moͤchte,
wird demſelben durch oͤftere Betrachtung aͤhnlicher werden, und wird die
vieljaͤhrige Erfahrung deſſelben, und die reife Ueberlegung dieſer Abhand-
lung beſtaͤtigen.
Von dieſem erſten Theile des zweyten Stuͤcks dieſes Capitels, das iſt,
von Betrachtung der Zeichnung des Nackenden in der Griechiſchen Kunſt,
gehe ich zu dem zweyten Theile, welcher von der Zeichnung bekleideter Fi-
guren handelt. Die Unterſuchung dieſes Theils des Kunſt iſt in einer
Lehrgeſchichte derſelben um ſo viel noͤthiger, da die bisherigen Abhandlun-
gen von der Kleidung der Alten mehr gelehrt, als unterrichtend und be-
ſtimmt ſind, und ein Kuͤnſtler wuͤrde, wenn er dieſelbe geleſen haͤtte, viel-
mals unwiſſender ſeyn, als vorher: denn dergleichen Schriften ſind von Leu-
ten zuſammen getragen, die nur wußten aus Buͤchern, nicht aus anſchau-
licher Kenntniß der Werke der Kunſt. Unterdeſſen muß ich bekennen,
daß es ſchwer iſt, alles genau zu beſtimmen.
Eine umſtaͤndliche Unterſuchung uͤber die Bekleidung der Alten, kann
ich hier nicht geben, ſondern ich will mich auf Weibliche Figuren ein-
ſchraͤnken, weil die mehreſten Maͤnnlichen Figuren Griechiſcher Kunſt, auch
nach dem Zeugniſſe der Alten, unbekleidet ſind. Was von der Maͤnnli-
chen Griechiſchen Bekleidung beſonders anzumerken iſt, wird im folgenden
Capitel bey der Roͤmiſchen Tracht mit anzubringen ſeyn, wo ich von der
Maͤnnlichen Kleidung handele, ſo wie die Weibliche Kleidung unter den
Roͤmern zugleich bey der Griechiſchen beruͤhret wird.
Es iſt erſtlich von dem Zeuge, zweytens von den verſchiedenen Stuͤ-
cken, Arten, und von der Form der Weiblichen Kleidung, und zum drit-
ten von der Zierlichkeit derſelben, und von dem uͤbrigen Weiblichen An-
zuge und Schmucke, zu reden.
In Abſicht des erſten Puncts war die Weibliche Kleidung theils von
Leinewand, oder von anderm leichten Zeuge, theils von Tuche, und ſon-
a Aus Leine-
wand und aus
anderem leich-
ten Zeuge.derlich unter den Roͤmern in ſpaͤtern Zeiten auch von Seide. Die Leine-
wand iſt in Werken der Bidhauerey ſowohl, als in Gemaͤlden, an der Durch-
Das leichte Zeug war vornehmlich Baumwolle, welche in der Inſelb Aus Baum-
wolle.
Cos gebauet und gewirket wurde 6), und es war ſowohl unter den Grie-
chen, als unter den Roͤmern, eine Kleidung des Weiblichen Geſchlechts;
wer ſich aber von Maͤnnern in Baumwolle kleidete, war wegen der Weich-
lichkeit beſchrien: dieſes Zeug war zuweilen geſtreift 7), wie es Chaͤrea,
der ſich als ein Verſchnittener verkleidet hatte, in dem Vaticaniſchen Te-
rentius traͤgt. Es wurden auch leichte Zeuge fuͤr das Weibliche Geſchlecht
aus der Wolle gewebet 8), welche an gewiſſen Muſcheln waͤchſt, aus wel-
cher noch itzo, ſonderlich zu Taranto, ſehr feine Handſchuhe und Struͤmpfe
fuͤr den Winter gearbeitet werden. Man hatte dermaßen durchſichtige
Zeuge, daß man ſie daher einen Nebel nennete 9), und Euripides be-
ſchreibet den Mantel, welchen Iphigenia uͤber ihr Geſicht hergeſchlagen, ſo
duͤnne, daß ſie durch denſelben ſehen koͤnnen 10).
Die Kleidung von Seide erkennet man auf alten Gemaͤlden an der
verſchiedenen Farbe auf eben demſeben Gewande, welches man eine ſich
aͤndernde Farbe (Colore cangiante) nennet, wie dieſes deutlich auf
der ſogenannten Aldrovandiniſchen Hochzeit, und an den Copien von an-
dern in Rom gefundenen und vernichteten Gemaͤlden, welche der Herr
Cardinal Alexander Albani beſitzet, zu ſehen iſt; noch haͤufiger aber auf
vielen Herculaniſchen Gemaͤlden erſcheinet, wie in dem Verzeichniſſe und
in der Beſchreibung derſelben an einigen Orten angemerket worden 1).
Dieſe verſchiedene Farbe auf den Gewaͤndern verurſachet die glatte Flaͤche
der Seide und der krelle Widerſchein, und dieſe Wirkung macht weder
Tuch, noch Baumwolle, aus Urſache des wolligten Fadens und der rauchli-
chen Flaͤche. Dieſes will Philoſtratus anzeigen, wenn er von dem Man-
tel des Amphion ſaget, daß derſelbe nicht von einer Farbe geweſen, ſon-
dern ſich geaͤndert 2). Daß das Griechiſche Frauenzimmer in den beſten
Zeiten von Griechenland, ſeidene Kleider getragen, iſt aus Schriften
nicht bekannt; aber wir ſehen es in den Werken ihrer Kuͤnſtler, unter wel-
chen vier zuletzt im Herculano entdeckte Gemaͤlde, welche unten beſchrie-
ben ſind, vor der Kaiſer Zeiten gemalt ſeyn koͤnnen: man koͤnnte ſagen,
es haͤtten die Maler ein ſeidenes Gewand gehabt, ihre Modelle damit zu
bekleiden. In Rom wußte man bis unter den Kaiſern nichts von dieſer
Tracht; da aber die Pracht einriß, ließ man ſeidene Zeuge aus Indien
kommen, und es kleideten ſich auch Maͤnner in Seide 3), woruͤber unter
dem Tiberius ein Verboth gemacht wurde. Eine beſondere ſich aͤndernde
Farbe ſieht man auf vielen Gewaͤndern alter Gemaͤlde, nemlich roth
und violet, oder Himmelblau zugleich, oder roth in den Tiefen, und gruͤn
auf den Hoͤhen, oder violet in den Tiefen, und gelb auf den Hoͤhen;
welches ebenfalls ſeidene Zeuge andeutet, aber ſolche, an welchen der Faden
Das Gewand von Tuch unterſcheidet ſich an Figuren augenſcheinlichd Aus Tuche.
vor der Leinewand, und von andern leichten Zeugen; und ein franzoͤſiſcher
Kuͤnſtler 4), welcher keine andern als ſehr feine und durchſichtige Zeuge in
Marmor bemerket, hat nur an die Farneſiſche Flora gedacht, und an Fi-
guren, welche auf aͤhnliche Art gekleidet ſind. Man kann hingegen be-
haupten, daß ſich in Weiblichen Statuen wenigſtens eben ſo viel Gewaͤn-
der, welche Tuch, als welche feine Zeuge vorſtellen, erhalten haben. Tuch iſt
kenntlich an großen Falten, auch an den Bruͤchen, in welche das Tuch im
Zuſammenlegen geſchlagen wurde; von dieſen Bruͤchen wird unten geredet.
Was den zweyten Punct der Weiblichen Kleidung, nemlich ihre ver-B.
Von den Aꝛten
und der Form.
ſchiedene Stuͤcke, Arten, und die Form derſelben betrifft, ſo ſind zu erſt
Das Unterkleid, welches ſtatt unſers Hemdes war, ſieht man an
entkleideten oder ſchlafenden Figuren, wie an der Farneſiſchen Flora, an
den Statuen der Amazonen im Campidoglio und in der Villa Mattei, an
der faͤlſchlich ſogenannten Cleopatra in der Villa Medicis, und an einem
ſchoͤnen Hermaphroditen im Pallaſte Farneſe. Auch die juͤngſte Tochter
der Niobe, die ſich in den Schooß der Mutter wirft, hat nur das Unter-
kleid; und dieſes hieß bey den Griechen Χιτών 2), und die allein im Un-
terkleide waren, hießen μονόπεπλοι 3). Es war, wie an angefuͤhrten Figu-
ren erſcheinet, von Leinewand, oder von ſehr leichtem Zeuge, ohne Ermel,
ſo daß es auf den Achſeln vermittelſt eines Knopfs zuſammenhieng, und
bedeckete die ganze Bruſt, wenn es nicht von der Achſel abgeloͤſet war.
Oben am Halſe ſcheinet zuweilen ein gekraͤuſelter Streifen von feinerem
Zeuge angenaͤhet geweſen zu ſeyn, welches aus Lycophrons Beſchreibung
des Maͤnnerhemdes 4), worein Clytemneſtra den Agamemnon verwickelt,
um ſo viel mehr auf Unterkleider der Weiber kann geſchloſſen werden.
Die Maͤdgens ſcheinen uͤber ihr Unterkleid ſich unter der Bruſt mit
einer Binde feſt geſchnuͤret zu haben, um ihr Gewaͤchs geſchlang zu machen,
zu erhalten, und ſichtbarer zu zeigen, und dieſe Art von Schnuͤrbruſt hieß
bey den Griechen ςηϑόδεσμος 5), und bey den Roͤmern Caſtula 6).
Der Weibliche Rock war gewoͤhnlich nichts anders, als zwey langec Von dem
Rocke.
aa der vier-
eckigte Rock.
Stuͤcke Tuch, ohne Schnitt und ohne andere Form, welche nur in der
Laͤnge zuſammen genaͤhet waren, und auf den Achſeln durch einen oder
mehr Knoͤpfe zuſammenhiengen: zuweilen war an ſtatt des Knopfs ein
ſpitziger Heft, und die Weiber zu Argos und Aegina trugen dergleichen
Hefte groͤßer, als zu Athen 3). Dieſes war der ſogenannte viereckigte Rock,
welcher auf keine Weiſe rund geſchnitten ſeyn kann, wie Salmaſius
glaubet 4), (er giebt die Form des Mantels dem Rocke, und des Rocks
dem Mantel) und es iſt die gemeinſte Tracht Goͤttlicher Figuren, oder aus
der Heldenzeit. Dieſer Rock wurde uͤber den Kopf geworfen. Die
Roͤcke der Spartaniſchen Jungfrauen waren unten auf den Seiten offen 5),
und flogen frey von einander, wie man es an einigen Taͤnzerinnen in er-
hobener Arbeit ſieht. Andere Roͤcke ſind mit engen genaͤheten Ermeln,bb mit en-
gen genaͤheten
Ermeln.
welche bis an die Knoͤchel der Hand reichen, und die daher καρπωτοί,
von κάρπος, der Knoͤchel, genennet wurden 6). So iſt die aͤltere von
den zwo ſchoͤnſten Toͤchtern der Niobe gekleidet; die vermeynte Dido un-
ter den Hetruriſchen Gemaͤlden, wie auch die mehreſten Weiblichen Figuren
der aͤlteſten erhobenen Arbeiten, haben eben dergleichen Ermel. Vielmalscc mit an-
dern Ermeln.
gehen die Ermel nur uͤber das Obertheil des Arms, welche Kleidung da-
Die Roͤcke ſo wohl, als die Maͤntel, hatten insgemein an ihrem Saume
umher eine Beſetzung, welche auch gewirkt oder geſtickt ſeyn konnte, von
einem oder mehr Streifen: dieſes ſieht man am deutlichſten auf alten Ge-
maͤlden; es iſt aber auch im Marmor angezeiget. Dieſer Zierrath hieß
bey den Roͤmern Limbus, und bey den Griechen πεζὰς, κύκλας und
περιπόδιον, und war mehrentheils von Purpur 3). Einen Streifen hat-
ten die gemalten Figuren in der Pyramide des C. Ceſtius, zu Rom 4);
zween gelde Streifen ſieht man auf dem Rocke der Harfenſchlaͤgerinn der
ſogenannten Aldrovandiſchen Hochzeit; drey rothe Streifen, mit weißem
Blumenwerk auf demſelben, hat der Rock der Roma im Pallaſte Barbe-
rini, und vier Streifen ſind an einer Figur auf einem von denjenigen Her-
culaniſchen Gemaͤlden 5), welche mit einer Farbe auf Marmor gezeich-
net ſind.
Die Jungfrauen ſo wohl, als Weiber, banden den Rock nahe unter
den Bruͤſten, wie noch itzo an einigen Orten in Griechenland geſchieht 6),
Σάγδαλα ηαϳ μαλακαϳ μαςῶν ἐνδύματα μίτρα[fremdsprachliches Material],
Die Amazonen allein haben das Band nicht nahe unter der Bruſt,
ſondern, wie daſſelbe an Maͤnnern iſt, uͤber den Huͤften liegen, und es die-
nete nicht ſo wohl, ihren Rock feſt oder in die Hoͤhe zu binden, als viel-
mehr, ſich zu guͤrten, ihre kriegeriſche Natur anzudeuten; (Guͤrten heißt
beym Homerus, ſich zur Schlacht ruͤſten) daher dieſes Band an ihnen ei-
gentlich ein Guͤrtel zu nennen iſt. Eine einzige Amazone unter Lebens-
groͤße, im Pallaſte Farneſe, welche verwundet vom Pferde ſinket, hat
das Band nahe unter den Bruͤſten gebunden.
Die voͤllig bekleidete Venus iſt in Marmor allezeit mit zween Guͤrteln
vorgeſtellet, von welchen der andere unter dem Unterleibe liegt, ſo wie den-
ſelben die Venus mit einem Portraitkopfe 2), neben dem Mars im Campi-
doglio, und die ſchoͤne bekleidete Venus hat, welche ehemals in dem Pal-
laſte Spada ſtand. Dieſer untere Guͤrtel iſt nur dieſer Goͤttinn eigen,
und iſt derjenige, welcher bey den Dichtern insbeſondere der Guͤrtel der
Venus heißt: dieſes iſt noch von niemand bemerket worden. Juno bath
ſich denſelben aus, da ſie den Jupiter eine heftige Begierde gegen ſich er-
wecken wollte, und ſie legte denſelben, wie Homerus ſagt 3), in ihren
Einige Figuren im bloßen Unterkleide, welches von der einen Achſelgg Von Fi-
guren ohne
Guͤrtel.
abgeloͤſet niederfaͤllt, haben keinen Guͤrtel: an der Farneſiſchen Flora iſt
derſelbe auf den Unterleib ſchlaff herunter geſunken; Antiope, die Mutter
des Amphion und Zethus, in eben dieſem Pallaſte, und eine Statue an dem
Pallaſte der Villa Medicis, haben den Guͤrtel um die Huͤften liegen.
Ohne Guͤrtel ſind einige Bacchanten auf Gemaͤlden 3), in Marmor, und
auf geſchnittenen Steinen 4), ihre wolluͤſtige Weichlichkeit, ſo wie Bacchus
ohne Guͤrtel iſt, anzudeuten; daher auch die bloße Stellung einiger ver-
ſtuͤmmelten Weiblichen Figuren ohne Guͤrtel, uns dieſelben fuͤr Bacchanten
anzeiget; eine von ſolchen iſt in der Villa Albani. Unter den Hercula-
Das dritte Stuͤck der Weiblichen Kleidung, der Mantel, (bey den
Griechen Peplon genannt, welches Wort insbeſondere dem Mantel der
Pallas eigen iſt, und hernach auch von dem Mantel anderer Goͤtter 3)
und Maͤnner 4) gebraucht wird) war nicht viereckt, wie ſich Sal-
maſius eingebildet hat, ſondern ein voͤllig rund geſchnittenes Tuch, ſo
wie auch unſere Maͤntel zugeſchnitten ſind; und eben die Form muß
auch der Mantel der Maͤnner gehabt haben. Dieſes iſt zwar der Mey-
nung derjenigen, welche uͤber die Kleidung der Alten geſchrieben ha-
ben, zuwider; aber dieſe haben mehrentheils nur aus Buͤchern und nach
ſchlecht gezeichneten Kupfern geurtheilet, und ich kann mich auf den Au-
genſchein, und auf eine vieljaͤhrige Betrachtung berufen. In Auslegung
alter Scribenten, und in Vereinigung oder Widerlegung ihrer Erklaͤrer,
kann ich mich nicht einlaſſen, und ich begnuͤge mich jene der von mir ange-
gebenen Form gemaͤß zu verſtehen. Die mehreſten Stellen der Alten reden
uͤberhaupt von viereckigten Maͤnteln, welches aber keine Schwierigkeit
veranlaſſet, wenn nicht Ecken, das iſt, ein in viele rechte Winkel geſchnit-
tenes Tuch, ſondern ein Mantel von vier Zipfeln verſtanden wird, welche
ſich nach eben ſo viel angenaͤheten kleinen Quaͤſtgen im Zuſammennehmen oder
im Anlegen warfen.
An den mehreſten Maͤnteln an Statuen ſo wohl, als an Figuren aufα Von den
Quaͤſtgen an
denſelben.
geſchnittenen Steinen, beyderley Geſchlechts, ſind nur zwey Quaͤſtgen
ſichtbar, weil die andern durch den Wurf des Mantels verdeckt ſind; oft
zeigen ſich deren drey, wie an einer Iſis in Hetruriſchem Stil gearbeitet,
an einem Aeſculapius, beyde in Lebensgroͤße, und an dem Mercurius auf
einem der zween ſchoͤnen Leuchter von Marmor, alle drey im Pallaſte Bar-
berini. Alle vier Quaͤſtgen aber ſind an eben ſo viel Zipfeln ſichtbar, an
dem Mantel einer von zwo aͤhnlichen Hetruriſchen Figuren in Lebensgroͤße,
im gedachten Pallaſte, an einer Statue mit dem Kopfe des Auguſtus, im
Pallaſte Conti, und an der Tragiſchen Muſe Melpomene, auf der ange-
fuͤhrten Begraͤbnißurne in der Villa Mattei. Dieſe Quaͤſtgen haͤngen
offenbar an keinen Ecken, und der Mantel kann keine Ecken haben, weil,
wenn derſelbe in Viereck geſchnitten waͤre, die geſchlaͤngelten Falten, wel-
che auf allen Seiten fallen, nicht koͤnnten geworfen werden: eben ſolche
Falten werfen die Maͤntel Hetruriſcher Figuren, ſo daß dieſelben folglich
eben die Form muͤſſen gehabt haben. Es wird dieſes deutlich durch das
uͤber die Vorrede geſetzte Kupfer.
Hiervon kann ſich ein jeder uͤberzeugen, an einem mit etlichen Stichen
zuſammengehefteten Mantel, wenn derſelbe als ein rundes Tuch nach Art
der Alten umgeworfen wird. Es zeiget auch die Form der heutigen Meß-
gewaͤnder, welche vorne und hinten rundlich geſchnitten ſind, daß dieſelben
ehemals voͤllig rund, und ein Mantel geweſen, eben ſo wie noch itzo die
Meßgewaͤnder der Griechen ſind. Dieſe wurden durch eine Oeffnung uͤber
den Kopf geworfen 1), und zu bequemerer Handhabung bey dem Sacra-
mente der Meſſe, uͤber die Arme hinaufgeſchlagen, ſo daß alsdenn dieſer
Mantel vorne und hinten in einem Bogen herunter hieng. Da nun mit
der Zeit dieſe Meßgewaͤnder von reichem Zeuge gemacht wurden, ſo gab
Der runde Mantel der Alten wurde auf vielfaͤltige Art geleget und
geworfen: die gewoͤhnlichſte war, ein Viertheil oder ein Dritttheil uͤber-
zuſchlagen, welches, wenn der Mantel umgeworfen wurde, dienen konnte,
den Kopf zu decken: ſo warf Scipio Naſica beym Appianus 1) den
Saum ſeiner Toga (κράσπεδον) uͤber den Kopf. Zuweilen wurde der
Mantel doppelt zuſammen genommen, (welcher alsdenn groͤßer als gewoͤhn-
lich wird geweſen ſeyn, und ſich auch an Statuen zeiget) und dieſes findet
ſich von alten Scribenten angedeutet 2). Doppelt gelegt iſt unter andern der
Mantel der ſchoͤnen Pallas in der Villa Albani, und an einer andern Pal-
γ Von dem
doppelten
Mantel der
Cyniker.las eben daſelbſt. Von einem ſo gelegten Mantel iſt das doppelte Tuch der
Cyniker vermuthlich zu verſtehen 3), ohnerachtet es ſich an der Statue eines
Philoſophen dieſer Secte, in Lebensgroͤße, in gedachter Villa, nicht doppelt
genommen findet 4): denn da die Cyniker kein Unterkleid trugen, hatten
ſie noͤthiger, als andere, den Mantel doppelt zu nehmen, welches begreifli-
cher iſt, als alles, was Salmaſius und andere uͤber dieſen Punct vor-
gebracht haben. Das Wort doppelt kann nicht von der Art des Umwer-
fens, wie jene wollen, verſtanden werden: denn an angezeigter Statue
iſt der Mantel, wie an den mehreſten Figuren mit Maͤnteln, geworfen.
Die gewoͤhnlichſte Art, den Mantel umzuwerfen, iſt unter dem rech-
ten Arm, uͤber die linke Schulter. Zuweilen aber ſind die Maͤntel nicht
umgeworfen, ſondern haͤngen oben auf den Achſeln an zween Knoͤpfen, wie
an einer vermeynten Juno Lucina in der Villa Albani, und an zwo an-
An ſtatt dieſes großen Mantels war auch ein kleiner Mantel im Ge-bb Von dem
kurzen Man-
tel Griechi-
ſcher Weiber.
brauch, welcher aus zwey Theilen beſtand, die unten zugenaͤhet waren,
und oben auf der Achſel durch einen Knopf zuſammenhiengen, ſo daß Oeff-
nungen fuͤr den Arm blieben, und dieſer Mantel wurde von den Roͤmern
Ricinium genennet 2): bisweilen reichet dieſer Mantel kaum bis an die
Huͤften, ja es iſt derſelbe oft nicht laͤnger, als unſere Mantillen. Dieſe
ſind auf einigen Herculaniſchen Gemaͤlden wirklich alſo gemacht, wie das
Frauenzimmer dieſelben zu unſern Zeiten traͤgt, das iſt, ein leichtes Maͤn-
telchen, welches auch uͤber die Arme gehet, und vermuthlich iſt dieſes das-
jenige Stuͤck der Weiblichen Kleidung, welches Encyclion, oder Cyclas,
Die Kleidung der Alten wurde zuſammengelegt und gepreſſet, wel-
ches ſonderlich muß geſchehen ſeyn, wenn dieſelbe gewaſchen wurde:
denn mit den weißen Gewaͤndern der aͤlteſten Tracht des Weiblichen Ge-
ſchlechts mußte dieſes oͤfter geſchehen 2); es geſchieht auch der Kleiderpreſſen
Meldung 3). Man ſieht dieſes an den theils erhobenen, theils vertief-
ten Reifen, welche uͤber die Gewaͤnder hinlaufen, und Bruͤche des zuſam-
mengelegten Tuches vorſtellen. Dieſe haben die alten Bildhauer vielmals
nachgeahmet, und ich bin der Meynung, daß, was die Roͤmer Runzeln
(Rugas) an den Kleidern hießen, dergleichen Bruͤche, nicht geplattete
Falten waren, wie Salmaſius meynet 4), welcher von dem, was er nicht
geſehen, nicht Rechenſchaft geben konnte.
In der Zierlichkeit, als dem zweyten Puncte der Betrachtung uͤber
die Zeichnung bekleideter Figuren, liegt viel zur Kenntniß des Stils und
der Zeiten. Die Zierlichkeit in der Kleidung, welche bey den Alten vor-
a An der
Kleidung all-
gemein.nehmlich nur den Weiblichen Kleidern zukoͤmmt, beſtehet in der Kunſt ſon-
derlich in den Falten. Dieſe giengen in den aͤlteſten Zeiten mehrentheils
gerade, oder in einem ſehr wenig gezogenen Bogen: ein in dieſen Sachen
ſehr wenig erleuchteter Scribent ſaget dieſes von allem Faltenſchlage der
Zur Kleidung gehoͤret der uͤbrige Schmack, des Kopfs, der Arme,
und der Anzug der Fuͤße. Von dem Haarputze der aͤlteren Griechiſchen
Figuren iſt kaum zu reden: denn die Haare ſind ſelten in Locken geleget,
wie an Roͤmiſchen Koͤpfen; und an Griechiſchen Weiblichen Koͤpfen ſind
die Haare allezeit noch einfaͤltiger, als an ihren Maͤnnlichen Koͤpfen. An
den Figuren des hoͤchſten Stils ſind die Haare ganz platt uͤber den Kopf
gekaͤmmet, mit Andeutung Schlangenweis fein gezogener Furchen, und
bey Maͤdgens ſind ſie auf dem Wirbel 2) zuſammen gebunden 3), oder
um ſich ſelbſt in einen Knauf, vermittelſt einer Neſtnadel 4), herumgewickelt,
welche aber an ihren Figuren nicht ſichtbar gemalt iſt. Eine einzige Roͤ-
miſche Figur findet ſich beym Montfaucon 5), an deren Kopfe man die-
ſelbe ſieht; es iſt aber keine Nadel, die Haare ordentlich in Locken zu legen,
(Acus diſcriminalis) wie dieſer Gelehrte meynet. Bey Weibern liegt
dieſer Knauf gegen das Hintertheil des Kopfs zu; und mit einer ſolchen
Goͤttliche Figuren haben zuweilen ein doppeltes Band, oder Diadema,
wie die oft angefuͤhrte Juno Lucina in der Villa Albani, welche um die
Haare ein rundes Seil geleget hat, und daſſelbe iſt nicht gebunden, ſon-
dern hinten einigemal unter einander geſtecket; das andere Band, als das
eigentliche Diadema, iſt breit, und lieget uͤber den Haarwachs auf der
Stirne. Den Haaren gab man vielmals eine Hyacinthen-Farbe 3); an
vielen Statuen ſind dieſelben roth gefaͤrbet, wie an der angefuͤhrten He-
truriſchen Diana zu Portici, und eben daſelbſt an einer kleinen Venus von
drey Palmen, welche ſich ihre benetzten Haare mit beyden Haͤnden aus-
druͤcket, und an einer bekleideten Weiblichen Statue mit einem Idealiſchen
Kopfe, in dem Hofe des Muſei daſelbſt. An der Mediceiſchen Venus
waren die Haare vergoldet, wie an dem Kopfe eines Apollo im Campido-
Beſagte Weiber ließen ſich zuweilen die Haare abſcheeren, wie die
Mutter des Theſeus 1), und eine alte Frau auf einem Gemaͤlde des Poly-
gnotus zu Delphos 2), waren, welches vermuthlich bey Wittwen ihre be-
ſtaͤndige Trauer anzeigte, wie an der Clytemneſtra und der Hecuba 3); auch
Kinder ſchnitten ſich die Haare ab 4), uͤber den Tod ihres Vaters. Auf
Muͤnzen und auf Gemaͤlden finden ſich Weibliche, auch Goͤttliche Koͤpfe,
mit einem Netze bedecket, welche noch itzo die Tracht der Weiber in Ita-
lien, im Hauſe iſt: es hieß eine ſolche Art Hauben κεκρύφαλος, und ich
habe davon an einem andern Orte geredet 5).
Ohrgehaͤnke haben zwar etliche Statuen, als die Venus des Praxi-
teles, getragen, wie dieſes auch die Loͤcher an den Ohren der Toͤchter der
Niobe, der Mediceiſchen Venus, der angefuͤhrten Juno Lucina, und an
einem ſchoͤnen Kopfe etwa einer Juno, von gruͤnlichem Baſalte, in der
Villa Albani, anzeigen; es ſind aber nur zwo Figuren in Marmor be-
kannt, an denen die Ohrgehaͤnke, welche rund ſind, mit im Marmor ge-
arbeitet worden, ohngefaͤhr auf eben die Art, wie dieſelben an einer Aegy-
ptiſchen Figur ſind 6). Die eine iſt eine von den Caryatiden in der Villa
Negroni, die andere war in dem Eremo des Cardinals Paßionei bey den
Calmaldulenſern, uͤber Fraſcati; dieſe iſt halb Lebensgroͤße, und nach Art
Insgemein gieng das Weibliche Geſchlecht mit unbedecktem Haupte;
in der Sonne aber, oder auf der Reiſe, trugen ſie einen Theſſaliſchen Hut,
welcher den Strohhuͤten der Weiber in Toſcana, die einen ſehr niedrigen
Kopf haben, aͤhnlich iſt. Mit einem ſolchen Hute fuͤhrete Sophocles die
juͤngſte Tochter des Oedipus, Iſmene, auf 1), da ſie aus Theben nach Athen
ihrem Vater nachgereiſet war; und eine Amazone zu Pferde im Streit mit
zween Kriegern, auf einem irrdenen Gefaͤße gemalet, in der Sammlung
alter Gefaͤße Hrn. Mengs, hat dieſen Hut, aber auf die Schulter herunter
geworfen. Das, was uns ein Korb ſcheinet auf den Koͤpfen der Caryatiden,
in der Villa Negroni, kann eine Tracht in gewiſſen Laͤndern geweſen ſeyn,
wie noch itzo die Weiber in Aegypten tragen 2).
Der Anzug Weiblicher Fuͤße ſind theils ganze Schuhe, theils Sohlen.bb Der Fuͤße.
Jene ſieht man an vielen Figuren auf Herculaniſchen Gemaͤlden 3), wo ſie
zuweilen gelb ſind 4), ſo wie ſie Venus hatte 5), auf einem Gemaͤlde in
den Baͤdern des Titus, und die Perſer trugen 6), und in Marmor an der
Niobe, welche letztere nicht rund, wie jene, vorne zulaufen, ſondern breit-
lich ſind. Die Sohlen ſind mehrentheils wenigſtens einen Finger dick, und
beſtehen aus mehr als einer Sohle; zuweilen waren fuͤnf zuſammen genaͤhet,
wie durch eben ſo viel Einſchnitte an den Sohlen der Albaniſchen Pallas an-
gedeutet worden, welche zween Finger dick iſt. Dieſe Sohle war nicht ſel-
Die Armbaͤnder haben insgemein die Geſtalt von Schlangen, auchcc Der Arme.
mit dem Kopfe, wie dergleichen verſchiedene in dem Herculaniſchen Muſeo
zu Portici in Erzt und in Golde befindlich ſind. Es liegen dieſelben theils um
den Oberarm, wie an den beyden ſchlafenden Nymphen, im Vaticano und in
der Villa Medicis, welche daher fuͤr eine Cleopatra angenommen und beſchrie-
ben worden ſind. Andere Armbaͤnder liegen uͤber den Knoͤcheln der Hand,
und eine von den Toͤchtern des Cecrops, in dem alten beygebrachten Gemaͤlde,
hat daſſelbe in zween Ringen; eine von den angefuͤhrten Caryatiden, in
der Villa Negroni, hat daſſelbe in vier Umkreißen. Zuweilen iſt dieſes
Armband eine gedrehete Binde, wie man es an einer Figur in der Villa
Albani ſieht; und dieſe Art Armbaͤnder ſind diejenigen, welche ςρεπτά
hießen. Die ſogenannten Periſcelides, oder Baͤnder um die Beine, ſieht
man an der Weiblichen Figur auf dem Steine, welcher dem folgenden drit-
ten Stuͤcke dieſes Capitels vorgeſetzet iſt, und es finden ſich dieſelben zuwei-
len in fuͤnf Reifen, wie um das rechte Bein an ein paar Victorien auf irrde-
nen Gefaͤßen, in dem Muſeo Hrn. Mengs: dergleichen Ringe um die Bei-
ne tragen noch itzo die Weiber in den Morgenlaͤndern 3).
An der Zeichnung bekleideter Figuren hat zwar der feine Sinn und
die Empfindung, ſo wohl im Bemerken und Lehren, als im Nachahmen,
weniger Antheil, als die aufmerkſame Beobachtung und das Wiſſen; aber
der Kenner hat in dieſem Theile der Kunſt nicht weniger zu erforſchen, als
der Kuͤnſtler. Bekleidung iſt hier gegen das Nackende, wie die Ausdruͤ-
cke der Gedanken, das iſt, wie die Einkleidung derſelben, gegen die Ge-
danken ſelbſt; es koſtet oft weniger Muͤhe, dieſen, als jene, zu finden. Da
nun in den aͤlteſten Zeiten der Griechiſchen Kunſt mehr bekleidete, als nackte
Figuren gemacht wurden, und dieſes in Weiblichen Figuren auch in den
ſchoͤnſten Zeiten derſelben blieb, alſo daß man eine einzige nackte Figur ge-
gen funfzig bekleidete rechnen kann: ſo gieng auch der Kuͤnſtler Suchen
zu allen Zeiten nicht weniger auf die Zierlichkeit der Bekleidung, als auf
die Schoͤnheit des Nackenden. Die Gratie wurde nicht allein in Gebehr-
den und Handlungen, ſondern auch in der Kleidung geſuchet, (wie denn
die aͤlteſten Gratien bekleidet gebildet waren) und wenn zu unſern Zeiten
die Schoͤnheit der Zeichnung des Nackenden aus vier oder fuͤnf der ſchoͤn-
ſten Statuen zu erlernen waͤre, ſo muß der Kuͤnſtler die Bekleidung in
hundert derſelben ſtudiren. Denn es iſt ſchwerlich eine der andern in der
Bekleidung gleich, da ſich hingegen viele nackte Statuen voͤllig aͤhnlich
finden, wie die mehreſten Venus ſind; eben ſo ſcheinen verſchiedene Sta-
tuen des Apollo nach eben demſelben Modelle gearbeitet, wie drey aͤhnliche
in der Villa Medicis, und ein anderer im Campidoglio, ſind, und die-
ſes gilt auch von den mehreſten jungen Figuren. Es iſt alſo die Zeich-
nung bekleideter Figuren mit allem Rechte ein weſentliches Theil der
Kunſt zu nennen.
Das dritte Stuͤck dieſer Abhandlung, von dem Wachsthume und demDrittes Stuͤck.
Von dem
Wachsthume
und dem Falle
der Griechi-
ſchen Kunſt,
in welcher vier
Zeiten und
vier Stile
koͤnnen gered
net werden.
Falle der Griechiſchen Kunſt, gehet nicht weniger, als das vorige
Stuͤck, auf das Weſen derſelben, und es werden hier verſchiedene allgemei-
ne Betrachtungen des vorigen Theils durch merkwuͤrdige Denkmaale der
Griechiſchen Kunſt naͤher und genauer beſtimmet.
Die Kunſt unter den Griechen hat, wie ihre Dichtkunſt, nach Sca-
ligers Angeben, vier Hauptzeiten, und wir koͤnnten deren fuͤnf ſetzen.
Denn ſo wie eine jede Handlung und Begebenheit fuͤnf Theile, und gleich-
ſam Stufen hat, den Anfang, den Fortgang, den Stand, die Abnahme,
und das Ende, worinn der Grund lieget von den fuͤnf Auftritten oder
Handlungen in Theatraliſchen Stuͤcken, eben ſo verhaͤlt es ſich mit der
Bey dem aͤlteren Stile ſind erſtlich die uͤbrig gebliebenen vorzuͤglichen
Denkmaale in demſelben, ferner die aus denſelben gezogenen Eigenſchaften,
A.
Denkmaale
deſſelben.und endlich der Uebergang zu dem großen Stil zu betrachten. Man kann
keine aͤltere und zuverlaͤßigere Denkmaale des aͤltern Stils, als einige Muͤn-
a Auf Muͤn-
zen.zen, anfuͤhren, von deren hohem Alter das Gepraͤge und ihre Inſchrift Zeug-
niß geben, und denſelben fuͤge ich einen Carniol des Stoßiſchen Muſei bey,
welcher zu Ende des erſten Stuͤcks dieſes Capitels geſetzet iſt.
Die Inſchrift gehet auf dieſen Muͤnzen ſo wohl, als auf dem Steine,
ruͤckwerts, das iſt, von der Rechten zur Linken; dieſe Art zu ſchreiben aber
muß geraumere Zeit vor dem Herodotus aufgehoͤret haben. Denn da
dieſer Geſchichtſchreiber einen Gegenſatz der Sitten und Gebraͤuche der
Aegypter gegen die Griechen machet, fuͤhret er an, daß jene auch im Schrei-
ben das Gegentheil von dieſen gethan, und von der Rechten zur Linken ge-
ſchrieben haben 1); eine Nachricht, welche zu einiger Beſtimmung der Zeit
in der Axt zu ſchreiben unter den Griechen, ſo viel ich weis, noch nicht
bemerket iſt. Es fuͤhret Pauſanias an 2), daß unter der Statue des
Agamemnons zu Elis (welche eine von den acht Figuren des Onatas war,
Unter den aͤlteſten Muͤnzen ſind die von einigen Staͤdten in Groß-
Griechenland, ſonderlich die Muͤnzen von Sybaris, von Caulonia, und
von Poſidonia oder Paͤſtum in Lucanien. Die erſtern koͤnnen nicht
nach der zwey und ſiebenzigſten Olympias, in welcher Sybaris von den
Crotoniatern zerſtoͤret worden 1), gemacht ſeyn, und die Form der Buchſta-
ben in dem Namen dieſer Stadt deuten auf viel fruͤhere Zeiten 2). Der
Ochſe auf dieſen, und der Hirſch auf Muͤnzen von Caulonia, ſind ziemlich
unfoͤrmlich: auf ſehr alten Muͤnzen dieſer Stadt iſt Jupiter, ſo wie Ne-
ptunus auf Muͤnzen der Stadt Poſidonia, von ſchoͤnerm Gepraͤge, aber
im Stile, welcher insgemein der Hetruriſche heißt. Neptunus haͤlt ſeinen
dreyzackigten Zepter, wie eine Lanze, im Begriffe zu ſtoßen, und iſt, wie
Jupiter, nackend, außer daß er ſein zuſammengenommenes Gewand uͤber
beyde Arme geworfen hat, als wenn ihm daſſelbe ſtatt eines Schildes die-
nen ſollte; ſo wie Jupiter auf einem geſchnittenen Steine ſeine Aegis um
ſeinen linken Arm gewickelt hat 3). Auf dieſe Art fochten zuweilen die
Alten in Ermangelung des Schildes, wie Plutarchus vom Alcibiades 4),
und Livius vom Tiberius Gracchus, berichtet 5). Das Gepraͤge dieſer
Muͤnzen iſt auf der einen Seite hohl, und auf der andern erhoben, nicht
wie es einige Kaiſerliche Muͤnzen haben, wo das hohle Gepraͤge der einen
Seite ein Verſehen iſt; ſondern auf jenen Muͤnzen zeigen ſich offenbar
Es iſt im uͤbrigen nicht darzuthun, wie jemand ohne Beweis an-
giebt 1), daß das Gamma der Griechen nicht lange nach der funfzigſten
Olympias, nicht Γ, ſondern [Ϲ] geſchrieben worden, wodurch die Begriffe
von dem aͤltern Stile aus Muͤnzen, zweifelhaft und widerſprechend wer-
den wuͤrden. Denn es finden ſich Muͤnzen, auf welchen gedachter
Buchſtab in ſeiner aͤltern Form vorkoͤmmt, die gleichwohl ein vorzuͤgliches
Gepraͤge haben; unter denſelben kann ich eine Muͤnze der Stadt Gela in
Sicilien, geſchrieben [fremdsprachliches Material], mit einer Biga und dem Vordertheil eines
Minotaurs, anfuͤhren. Ja man kann das Gegentheil von jenem Vorgeben
unter andern aus einer Muͤnze der Stadt Segeſta in Sicilien, mit dem
runden Gamma, darthun, welche, wie ich im zweyten Theile dieſer Ge-
ſchichte hoffe darzuthun, lange nach dieſer Zeit, und in der CXXXIV.
Olympias, gepraͤget worden.
Daß die Begriffe der Schoͤnheit, oder vielmehr, daß die Bildung
und Ausfuͤhrung derſelben, den Griechiſchen Kuͤnſtlern nicht, wie das Gold
in Peru waͤchſt, urſpruͤnglich mit der Kunſt eigen geweſen, bezeugen ſon-
derlich Sicilianiſchen Muͤnzen, welche in folgenden Zeiten alle andere
an Schoͤnheit uͤbertroffen. Ich urtheile nach ſeltenen Muͤnzen von Leon-
tium, Meſſina, Segeſta und Syracus, in dem Stoßiſchen Muſeo,
und zwo von dieſen Muͤnzen der letztern Stadt ſind zu Anfang dieſes Stuͤcks
in Kupfer zu ſehen; der Kopf iſt eine Proſerpina. Die Koͤpfe auf dieſen
Gleiches Alterthum mit angefuͤhrten Muͤnzen ſcheinet der ſterbendeb Auf einem
geſchnittenen
Steine.
Othryades in dem Stoßiſchen Muſeo zu haben 1). Die Arbeit iſt nach der
Schrift auf demſelben Griechiſch, und ſtellet den ſterbenden Spartaner
Othryades, nebſt einem andern verwundeten Krieger, vor, wie jener, ſo wie
dieſer, ſich den toͤdtlichen Pfeil aus der Bruſt ziehet, und zugleich das
Wort „dem Siege„ 2) auf ſeinen Schild ſchreibet. Die Argiver und
Was die Werke der Bildhauerkunſt in dieſem aͤltern Stile betrift, ſo
fuͤhre ich, wie uͤberhaupt von andern Werken der Kunſt, keine an, als die
So wie man dieſes Werk fuͤr eine Griechiſche Arbeit haͤlt, ſo wuͤrden
auf der andern Seite die im vorigen Capitel angefuͤhrten drey ſchoͤne gemalte
irrdene Gefaͤße des Maſtrilliſchen Muſei zu Neapel, und eine Schaale in
dem Koͤniglichen Muſeo zu Portici, fuͤr Hetruriſch angeſehen worden ſeyn,
wenn nicht die Griechiſche Schrift auf denſelben das Gegentheil zeigete 4).
Von dieſem aͤlteren Stile wuͤrden deutlichere Kennzeichen zu geben
ſeyn, wenn ſich mehrere Werke in Marmor, und ſonderlich erhobene Ar-
Wir koͤnnen uͤberhaupt die Kennzeichen und Eigenſchaften dieſes aͤl-
tern Stils kuͤrzlich alſo begreifen: die Zeichnung war nachdruͤcklich, aber
hart; maͤchtig, aber ohne Gratie, und der ſtarke Ausdruck verminderte
die Schoͤnheit. Dieſes aber iſt ſtuffenweis zu verſtehen, da wir unter dem
aͤltern Stile den laͤngſten Zeitlauf der Griechiſchen Kunſt begreifen; ſo
daß die ſpaͤtern Werke von den erſteren ſehr verſchieden geweſen ſeyn werden.
Dieſer Stil wuͤrde bis in die Zeiten, da die Kunſt in Griechenland
bluͤhete, gedauert haben, wenn dasjenige keinen Widerſpruch litte, was
Athenaͤus vom Steſichorus vorgiebt 1), daß dieſer Dichter der erſte ge-
weſen, welcher den Hercules mit der Keule und mit dem Bogen vorge-
ſtellet: denn es finden ſich viele geſchnittene Steine mit einem ſo bewaffne-
Die Eigenſchaften dieſes aͤltern Stils waren unterdeſſen die Vorbe-
reitungen zum hohen Stil der Kunſt, und fuͤhreten dieſen zur ſtrengen
Richtigkeit und zum hohen Ausdruck: denn in der Haͤrte von jenem
offenbaret ſich der genau bezeichnete Umriß, und die Gewißheit der Kennt-
niß, wo alles aufgedeckt vor Augen liegt. Auf eben dieſem Wege wuͤrde
die Kunſt in neueren Zeiten, durch die ſcharfen Umriſſe, und durch die
nachdruͤckliche Andeutung aller Theile vom Michael Angelo, zu ihrer Hoͤ-
he gelanget ſeyn, wenn die Bildhauer auf dieſer Spur geblieben waͤren.
Denn wie in Erlernung der Muſic und der Sprachen, dort die Toͤne, und
hier die Sylben und Worte, ſcharf und deutlich muͤſſen angegeben werden,
um zur reinen Harmonie und zur fluͤßigen Ausſprache zu gelangen: eben
ſo fuͤhret die Zeichnung nicht durch ſchwebende, verlohrne und leicht ange-
deutete Zuͤge, ſondern durch maͤnnliche, obgleich etwas harte, und genau
begraͤnzte Umriſſe, zur Wahrheit und zur Schoͤnheit der Form. Mit einem
aͤhnlichen Stile erhob ſich die Tragoͤdie zu eben der Zeit, da die Kunſt den
Was insbeſondere die Ausarbeitung der Werke der Bildhauerey aus
dieſer Zeit betrifft, von welchen ſich in Rom nichts erhalten hat, ſo ſind
dieſelben vermuthlich mit dem muͤhſamſten Fleiße geendiget geweſen, wie
ſich aus einigen angefuͤhrten Hetruriſchen Werken, und aus ſehr vielen
der aͤlteſten geſchnittenen Steine, ſchließen laͤßt. Man koͤnnte dieſes auch
aus den Stuffen des Wachsthums der Kunſt in neuern Zeiten muthmaßen.
Die naͤchſten Vorgaͤnger der groͤßten Maͤnner in der Malerey haben ihre
Werke mit unglaublicher Geduld geendiget, und zum Theil durch Ausfuͤh-
rung der allerkleinſten Sachen, uͤber ihre Gemaͤlde, denen ſie die Groß-
heit nicht geben konnten, einen Glanz auszubreiten geſuchet; ja die groͤßten
Kuͤnſtler, Michael Angelo und Raphael, haben gearbeitet, wie ein Brit-
tiſcher Dichter lehret 1): „Entwirf mit Feuer, und fuͤhre mit Phlegma aus.„
Man merke zu Ende der Betrachtung uͤber dieſen erſten Stil, das
unwiſſende Urtheil eines Franzoͤſiſchen Malers uͤber die Kunſt, welcher
ſetzet 2), man nenne alle Werke Antiquen, von der Zeit Alexanders des
Großen bis auf den Phocas: die Zeit, von welcher er anrechnet, iſt ſo we-
nig richtig, als diejenige, mit welcher er endiget. Wir ſehen aus dem vo-
rigen, und es wird ſich im folgenden zeigen, daß noch itzo aͤltere Werke,
als von Alexanders Zeiten ſind; das Alter in der Kunſt aber hoͤret auf
vor dem Conſtantin. Eben ſo haben diejenigen, welche mit dem P. Mont-
faucon glauben 3), daß ſich keine Werke Griechiſcher Bildhauer erhalten
haben, als von der Zeit an, da die Griechen unter die Roͤmer kamen, viel
Unterricht noͤthig.
Endlich da die Zeiten der voͤlligen Erleuchtung und Freyheit iu Grie-
chenland erſchienen, wurde auch die Kunſt freyer und erhabner. Der aͤl-
A.
Deſſen Eigen-
ſchaften.tere Stil war auf ein Syſtema gebauet, welches aus Regeln beſtand, die
von der Natur genommen waren, und ſich nachher von derſelben entfernet
hatten, und Idealiſch geworden waren. Man arbeitete mehr nach der
Vorſchrift dieſer Regeln, als nach der Natur, die nachzuahmen war: denn
die Kunſt hatte ſich eine eigene Natur gebildet. Ueber dieſes angenomme-
ne Syſtema erhoben ſich die Verbeſſerer der Kunſt, und naͤherten ſich der
Wahrheit der Natur. Dieſe lehrete aus der Haͤrte und von hervorſprin-
genden und jaͤh abgeſchnittenen Theilen der Figur in fluͤßige Umriſſe zu
gehen, die gewaltſamen Stellungen und Handlungen geſitteter und weiſer
zu machen, und ſich weniger gelehrt, als ſchoͤn, erhaben und groß zu zeigen.
Durch dieſe Verbeſſerung der Kunſt haben ſich Phidias, Polycletus, Sco-
pas, Alcamenes und Myron beruͤhmt gemacht: der Stil derſelben kann
der Große genennet werden, weil außer der Schoͤnheit die vornehmſte Ab-
ſicht dieſer Kuͤnſtler ſcheinet die Großheit geweſen zu ſeyn. Hier iſt in der
Zeichnung das Harte von dem Scharfen wohl zu unterſcheiden, damit
man nicht z. E. die ſcharfgezogene Andeutung der Augenbranen, die man
beſtaͤndig in Bildungen der hoͤchſten Schoͤnheiten ſieht, fuͤr eine unnatuͤr-
liche Haͤrte nehme, welche aus dem aͤltern Stile geblieben ſey: denn dieſe
ſcharfe Bezeichnung hat ihren Grund in den Begriffen der Schoͤnheit, wie
oben bemerket worden.
Es iſt aber wahrſcheinlich, und aus einigen Anzeigen der Scribenten
zu ſchließen, daß der Zeichnung dieſes hohen Stils das Gerade einiger-
maßen noch eigen geblieben, und daß die Umriſſe dadurch in Winkel ge-
gangen, welches durch das Wort viereckt oder eckigt 1) ſcheinet ange-
gedeutet zu werden. Denn da dieſe Meiſter, wie Polycletus, Geſetzgeber
Es waͤre zu beweiſen, daß die alten Scribenten ſehr oft, wie die
neuern, von der Kunſt geurtheilet, und die Sicherheit der Zeichnung, die
richtig und ſtrenge angegebenen Figuren des Raphaels, haben vielen gegen
die Weichigkeit der Umriſſe, und gegen die rundlich und ſanft gehaltenen
Formen des Correggio, hart und ſteif geſchienen; welcher Meynung
uͤberhaupt Malvaſia, ein Geſchichtſchreiber der Bologneſiſchen Maler,
ohne Geſchmack, iſt. Eben ſo wie unerleuchteten Sinnen der Homeriſche
Numerus, und die alte Majeſtaͤt des Lucretius und Catullus, in Ver-
gleichung mit dem Glanze des Virgilius, und mit der ſuͤßen Lieblichkeit
des Ovidius, vernachlaͤßiget und rauh klinget. Wenn hingegen des Lu-
cianus Urtheil in der Kunſt guͤltig iſt, ſo war die Statue der Amazone
Soſandra, von der Hand des Calamis, unter die vier vorzuͤglichſten Figu-
ren Weiblicher Schoͤnheit zu ſetzen: denn zu Beſchreibung ſeiner Schoͤn-
heit nimmt er nicht allein den ganzen Anzug 4), ſondern auch die zuͤchtige
Mine, und ein behendes und verborgenes Laͤcheln von genannter Statue.
Unterdeſſen kann der Stil von einer Zeit in der Kunſt ſo wenig, als in der
Die vorzuͤglichſten, und man kann ſagen, die einzigen Werke in Rom
aus der Zeit dieſes hohen Stils ſind, ſo viel ich es einſehen kann, die oft
angefuͤhrte Pallas von neun Palme hoch, in der Villa Albani, und die
Niobe und ihre Toͤchter in der Villa Medicis. Jene Statue iſt der großen
Kuͤnſtler dieſer Zeit wuͤrdig, und das Urtheil uͤber dieſelbe kann um ſo
viel richtiger ſeyn, da wir den Kopf in ſeiner ganzen urſpruͤnglichen Schoͤn-
heit ſehen: denn es iſt derſelbe auch nicht durch einen ſcharfen Hauch ver-
letzet worden, ſondern er iſt ſo rein und glaͤnzend, als er aus den Haͤnden
ſeines Meiſters kam. Es hat dieſer Kopf bey der hohen Schoͤnheit, mit
welcher er begabet iſt, die angezeigten Kennzeichen dieſes Stils, und es zeiget
ſich in demſelben eine gewiſſe Haͤrte, welche aber beſſer empfunden, als be-
ſchrieben werden kann. Man koͤnnte in dem Geſichte eine gewiſſe Gratie
zu ſehen wuͤnſchen, die daſſelbe durch mehr Rundung und Lindigkeit er-
halten wuͤrde, und dieſes iſt vermuthlich diejenige Gratie, welche in dem
folgenden Alter der Kunſt Praxiteles ſeinen Figuren zu erſt gab, wie un-
ten angezeiget wird. Die Niobe und ihre Toͤchter ſind als ungezweifelte
Werke dieſes hohen Stils anzuſehen, aber eins von den Kennzeichen der-
ſelben iſt nicht derjenige Schein von Haͤrte, welche in der Pallas eine
Muthmaßung zur Beſtimmung derſelben giebt, ſondern es ſind die vor-
nehmſten Eigenſchaften zu Andeutung dieſes Stils, der gleichſam uner-
ſchaffene Begriff der Schoͤnheit, vornehmlich aber die hohe Einfalt, ſo wohl
in der Bildung der Koͤpfe, als in der ganzen Zeichnung, in der Kleidung,
und in der Ausarbeitung. Dieſe Schoͤnheit iſt wie eine nicht durch Huͤlfe
der Sinne empfangene Idea, welche in einem hohen Verſtande, und in einer
Zu einer deutlichern Beſtimmung der Kenntniſſe und der Eigen-III.
Der ſchoͤne
Stil.
ſchaften dieſes hohen Stils der großen Verbeſſerer der Kunſt, iſt nach
dem Verluſt ihrer Werke nicht zu gelangen. Von dem Stile
ihrer Nachfolger aber, welchen ich den ſchoͤnen Stil nenne, kann
man mit mehrerer Zuverlaͤßigkeit reden: denn einige von den ſchoͤn-
ſten Figuren des Alterthums ſind ohne Zweifel in der Zeit, in welcher
dieſer Stil bluͤhete, gemacht, und viele andere, von denen dieſes nicht zu
beweiſen iſt, ſind wenigſtens Nachahmungen von jenen. Der ſchoͤne
Stil der Kunſt hebet ſich an vom Praxiteles, und erlangete ſeinen hoͤchſten
Glanz durch den Lyſippus und Apelles, wovon unten die Zeugniſſe ange-
fuͤhret werden; es iſt alſo der Stil nicht lange vor und zur Zeit Alexanders
des Großen und ſeiner Nachfolger.
Die vornehmſte Eigenſchaft, durch welche ſich dieſer von dem hohenA.
Deſſen Eigen-
ſchaften.
Stile unterſcheidet, iſt die Gratie, und in Abſicht derſelben werden die zu-
letzt genannten Kuͤnſtler ſich gegen ihre Vorgaͤnger verhalten haben, wie
unter den Neuern Guido ſich gegen den Raphael verhalten wuͤrde. Die-
ſes wird ſich deutlicher in Betrachtung der Zeichnung dieſes Stils, und des
beſondern Theils derſelben, der Gratie, zeigen.
Was die Zeichnung allgemein betrifft, ſo wurde alles Eckigte ver-
mieden, was bisher noch in den Statuen großer Kuͤnſtler, als des Poly-
Ueberhaupt ſtelle man ſich die Figuren des hohen Stils gegen die
aus dem ſchoͤnen Stile vor, wie Menſchen aus der Helden Zeit, wie des
Homerus Helden und Menſchen, gegen geſittete Athenienſer in dem Flore
ihres Staats. Oder um einen Vergleich von etwas wirklichem zu machen,
ſo wuͤrde ich die Werke aus jener Zeit neben dem Demoſthenes, und die
aus dieſer nachfolgenden Zeit neben dem Cicero ſetzen: der erſte reißt uns
gleichſam mit Ungeſtuͤm fort; der andere fuͤhret uns willig mit ſich: jener
laͤßt uns nicht Zeit, an die Schoͤnheiten der Ausarbeitung zu gedenken; und
Zum zweyten iſt hier von der Gratie, als der Eigenſchaft des ſchoͤnenB.
Und ſonderlich
die Gratie.
Stils, insbeſondere zu handeln. Es bildet ſich dieſelbe und wohnet in den
Gebehrden, und offenbaret ſich in der Handlung, und Bewegung des Koͤr-
pers; ja ſie aͤußert ſich in dem Wurfe der Kleidung, und in dem ganzen
Anzuge: von den Kuͤnſtlern nach dem Phidias, Polycletus, und nach
ihren Zeitgenoſſen, wurde ſie mehr, als zuvor, geſucht und erreichet. Der
Grund davon muß in der Hoͤhe der Ideen, die dieſe bildeten, und in der
Strenge ihrer Zeichnung liegen, und es verdienet dieſer Punct unſere
beſondere Aufmerkſamkeit.
Gedachte große Meiſter des hohen Stils hatten die Schoͤnheit allein
in einer vollkommenen Uebereinſtimmung der Theile, und in einem erho-
benen Ausdrucke, und mehr das wahrhaftig Schoͤne, als das Liebliche, ge-
ſuchet. Da aber nur ein einziger Begriff der Schoͤnheit, welcher der hoͤch-
ſte und ſich immer gleich iſt, und jenen Kuͤnſtlern beſtaͤndig gegenwaͤrtig
war, kann gedacht werden, ſo muͤſſen ſich dieſe Schoͤnheiten allezeit dieſem
Bilde naͤhern, und ſich einander aͤhnlich und gleichfoͤrmig werden: dieſes
iſt die Urſache von der Aehnlichkeit der Koͤpfe der Niobe und ihrer Toͤchter,
welche unmerklich und nur nach dem Alter und dem Grade der Schoͤnheit
in ihnen verſchieden iſt. Wenn nun der Grundſatz des hohen Stils, wie
es ſcheinet, geweſen iſt, das Geſicht und den Stand der Goͤtter und Helden
rein von Empfindlichkeit, und entfernt von inneren Empoͤrungen, in
einem Gleichgewichte des Gefuͤhls, und mit einer friedlichen immer glei-
chen Seele vorzuſtellen, ſo war eine gewiſſe Gratie nicht geſucht, auch
nicht anzubringen. Dieſer Ausdruck einer bedeutenden und redenden
Stille der Seele aber erfordert einen hohen Verſtand: „Denn die Nach-
„ahmung des Gewaltſamen kann, wie Plato ſagt 1), auf verſchie
Mit ſolchen ſtrengen Begriffen der Schoͤnheit fing die Kunſt an, wie
wohl eingerichtete Staaten mit ſtrengen Geſetzen, groß zu werden. Die
naͤchſten Nachfolger der großen Geſetzgeber in der Kunſt, verfuhren nicht,
wie Solon mit den Geſetzen des Draco; ſie giengen nicht von jenen ab:
ſondern, wie die richtigſten Geſetze durch eine gemaͤßigte Erklaͤrung brauch-
barer und annehmlicher werden, ſo ſuchten dieſe die hohen Schoͤnheiten,
die an Statuen ihrer großen Meiſter wie von der Natur abſtracte Ideen,
und nach einem Lehrgebaͤude gebildete Formen waren, naͤher zur Natur zu
fuͤhren, und eben dadurch erhielten ſie eine groͤßere Mannigfaltigkeit. In
dieſem Verſtande iſt die Gratie zu nehmen, welche die Meiſter des ſchoͤnen
Stils in ihre Werke geleget haben.
Aber die Gratie, welche, wie die Muſen 1), nur in zween Namen 2)
bey den aͤlteſten Griechen verehret wurde, ſcheinet, wie die Venus, deren Ge-
ſpielen jene ſind, von verſchiedener Natur zu ſeyn. Die eine iſt, wie die himm-
liſche Venus, von hoͤherer Geburt, und von der Harmonie gebildet, und iſt
beſtaͤndig und unveraͤnderlich, wie die ewigen Geſetze von dieſer ſind. Die
zwote Gratie iſt, wie die Venus von der Dione geboren, mehr der Ma-
terie unterworfen: ſie iſt eine Tochter der Zeit, und nur eine Gefolginn
der erſten, welche ſie ankuͤndiget fuͤr diejenigen die der himmliſchen Gratie
nicht geweihet ſind. Dieſe laͤßt ſich herunter von ihrer Hoheit, und macht
ſich mit Mildigkeit, ohne Erniedrigung, denen, die ein Auge auf dieſelbe
werfen, theilhaftig: ſie iſt nicht begierig zu gefallen, ſondern nicht uner-
kannt zu bleiben. Jene Gratie aber, eine Geſellinn aller Goͤtter 3), ſcheinet
Dieſe Gratie in Werken der Kunſt ſcheinet ſchon der goͤttliche Dich-
ter gekannt zu haben, und er hat dieſelbe in dem Bilde der mit dem Vulca-
nus vermaͤhlten ſchoͤnen und leichtbekleideten Aglaia, oder Thalia 3),
vorgeſtellet, die daher anderswo deſſen Mitgehuͤlfinn genennet wird 4),
und arbeitete mit demſelben an der Schoͤpfung der Goͤttlichen Pandora 5).
Dieſes war die Gratie, welche Pallas uͤber den Ulyſſes ausgoß 6), und
von welcher der hohe Pindarus ſinget 7); dieſer Gratie opferten die
Kuͤnſtler des hohen Stils. Mit dem Phidias wirkete ſie in Bildung des
Olympiſchen Jupiters, auf deſſen Fußſchemmel dieſelbe neben dem Jupiter
auf dem Wagen der Sonne ſtand 8): ſie woͤlbete, wie in dem Urbilde des
Kuͤnſtlers, den ſtolzen Bogen ſeiner Augenbranen mit Liebe, und goß
Huld und Gnade aus uͤber den Blick ſeiner Majeſtaͤt. Sie kroͤnete mit
ihren Geſchwiſtern, und den Goͤttinnen der Stunden und der Schoͤnhei-
ten, das Haupt der Juno zu Argos 9), als ihr Werk, woran ſie ſich er-
kannte, und an welchem ſie dem Polycletus die Hand fuͤhrete. In der
Soſandra des Calamis laͤchelte ſie mit Unſchuld und Verborgenheit; ſie
Die Kuͤnſtler des ſchoͤnen Stils geſelleten mit der erſten und hoͤchſten
Gratie die zwote, und ſo wie des Homerus Juno den Guͤrtel der Venus
nahm, um dem Jupiter gefaͤlliger und liebenswuͤrdiger zu erſcheinen, ſo
ſuchten dieſe Meiſter die hohe Schoͤnheit mit einem ſinnlichern Reize zu be-
gleiten, und die Großheit durch eine zuvorkommende Gefaͤlligkeit gleichſam
geſelliger zu machen. Dieſe gefaͤlligere Gratie wurde zuerſt in der Malerey
erzeuget, und durch dieſe der Bildhauerey mitgetheilet. Parrhaſius,
der Meiſter, iſt durch dieſelbe unſterblich, und der erſte, dem ſie ſich geof-
fenbaret hat; und einige Zeit nachher erſchien ſie auch in Marmor und in
Erzte. Denn von dem Parrhaſius, welcher mit dem Phidias zu gleicher
Zeit lebte, bis auf den Praxiteles, deſſen Werke ſich, ſo viel man weis,
durch eine beſondere Gratie 1) von denen, welche vor ihm gearbeitet wor-
den, unterſchieden, iſt ein Zwiſchenraum von einem halben Jahrhunderte.
Es iſt merkwuͤrdig, daß der Vater dieſer Gratie in der Kunſt, und
Apelles 2), welchen ſich dieſelbe voͤllig eigen gemacht hat, und der eigent-
liche Maler derſelben kann genennet werden, ſo wie er dieſelbe insbeſondere
allein, ohne ihre zwo Geſpiellinnen gemalet 3), unter dem wolluͤſtigen Joni-
ſchen Himmel, und in dem Lande geboren ſind, wo der Vater der Dichter
Das Mannigfaltige und die mehrere Verſchiedenheit des Ausdrucks
that der Harmonie und der Großheit in dem ſchoͤnen Stile keinen Eintrag:
die Seele aͤußerte ſich nur wie unter einer ſtillen Flaͤche des Waſſers, und
trat niemals mit Ungeſtuͤm hervor. In Vorſtellung des Leidens bleibt
die groͤßte Pein verſchloſſen, wie im Laocoon, und die Freude ſchwebet
wie eine ſanfte Luft, die kaum die Blaͤtter ruͤhret, auf dem Geſichte einer
Bacchante, auf Muͤnzen der Inſel Naxus. Die Kunſt philoſophirte mit
den Leidenſchaften, wie Ariſtoteles von der Vernunft ſaget.
Haͤtte ſich der hohe Stil der Kunſt nicht bis auf die unausgefuͤhrteC.
Von der
Kunſt in Kin-
dern.
Form junger Kinder herunter gelaſſen, und haͤtten die Kuͤnſtler dieſes
Stils, deren vornehmſte Betrachtung auf die vollkommenen Gewaͤchſe ge-
richtet war, ſich in der uͤberfluͤßigen Fleiſchigkeit nicht gezeiget, wie wir
gleichwohl nicht wiſſen, ſo iſt hingegen gewiß, daß ihre Nachfolger im
ſchoͤnen Stile, da ſie das Zaͤrtliche und Gefaͤllige geſuchet, auch die kindliche
Natur einen Vorwurf ihrer Kunſt ſeyn laſſen. Ariſtides, welcher eine
todte Mutter mit ihrem ſaͤugenden Kinde an der Bruſt malete 1), wird
auch ein mit Milch genaͤhrtes Kind gemacht haben. Die Liebe iſt auf den
aͤlteſten geſchnittenen Steinen nicht als ein junges Kind, ſondern in der Na-
tur eines Knabens gebildet, wie dieſelbe auf einem ſchoͤnen Steine des
Commendators Vettori zu Rom erſcheinet 2). Nach der Form der Buch-
ſtaben in dem Namen des Kuͤnſtlers, ΦΡϒΓΙΛΛοΣ, iſt es einer der aͤl-
Dieſer ſchoͤne Stil der Griechiſchen Kunſt hat noch eine geraume
Zeit nach Alexander dem Großen in verſchiedenen Kuͤnſtlern, die bekannt
ſind, gebluͤhet, und man kann dieſes auch aus Werken in Marmor, welche
im zweyten Theile angefuͤhret werden, ingleichen aus Muͤnzen, ſchließen.
Da nun die Verhaͤltniſſe und die Formen der Schoͤnheit von denIV.
Der Stil der
Nachahmer,
und die Abnah-
me und Fall
der Kunſt,
angefangen
Kuͤnſtlern des Alterthums auf das hoͤchſte ausſtudiret, und die Umriſſe
der Figuren ſo beſtimmt waren, daß man ohne Fehler weder herausgehen,
noch hinein lenken konnte, ſo war der Begriff der Schoͤnheit nicht hoͤher zu
treiben. Es mußte alſo die Kunſt, in welcher, wie in allen Wirkungen
der Natur, kein feſter Punct zu denken iſt, da ſie nicht weiter hinausgieng,A.
Durch die
Nachahmung.
zuruͤck gehen. Die Vorſtellungen der Goͤtter und Helden waren in allen
moͤglichen Arten und Stellungen gebildet, und es wurde ſchwer, neue zu
erdenken, wodurch alſo der Nachahmung der Weg geoͤffnet wurde. Dieſe
ſchraͤnket den Geiſt ein, und wenn es nicht moͤglich ſchien, einen Praxite-
les und Apelles zu uͤbertreffen, ſo wurde es ſchwer, dieſelben zu erreichen,
und der Nachahmer iſt allezeit unter dem Nachgeahmten geblieben. Es wird
auch der Kunſt, wie der Weltweisheit, ergangen ſeyn, daß, ſo wie hier,
alſo auch unter den Kuͤnſtlern Eclectici oder Sammler aufſtunden, die, aus
Mangel eigener Kraͤfte, das einzelne Schoͤne aus vielen in eins zu ver-
einigen ſucheten. Aber ſo wie die Eclectici nur als Copiſten von
Weltweiſen beſonderer Schulen anzuſehen ſind, und wenig oder nichts
urſpruͤngliches hervorgebracht haben, ſo war auch in der Kunſt, wenn man
eben den Weg nahm, nichts ganzes, eigenes und uͤbereinſtimmendes zu
erwarten; und wie durch Auszuͤge aus großen Schriften der Alten, dieſe
verloren giengen, ſo werden durch die Werke der Sammler in der Kunſt, die
großen urſpruͤnglichen Werke vernachlaͤßiget worden ſeyn. Die Nachahmung
befoͤrderte den Mangel eigener Wiſſenſchaft, wodurch die Zeichnung furcht-
ſam wurde, und was der Wiſſenſchaft abgieng, ſuchte man durch FleißB.
Durch Fleiß
in Nebendin-
gen.
zu erſetzen, welcher ſich nach und nach in Kleinigkeiten zeigete, die in
Die Kuͤnſtler fiengen nicht lange vor und unter den Kaiſern an, in
Marmor ſich ſonderlich auf Ausarbeitung freyhaͤngender Haarlocken zu
legen, und ſie denteten auch die Haare der Augenbranen an, aber nur an
Portrait-Koͤpfen, welches vorher in Marmor gar nicht, wohl aber in Erzt
geſchah. An einem der ſchoͤnſten Koͤpfe eines jungen Menſchen von Erzt,
in Lebensgroͤße, (welches ein voͤlliges Bruſtbild iſt) in dem Koͤniglichen
Muſeo zu Portici, welcher einen Held vorzuſtellen ſcheinet, von einem
Athenienſiſchen Kuͤnſtler, Apollonius, des Archias Sohn 3), gearbei-
tet, ſind die Augenbranen auf dem ſcharfgefaltenen Augenknochen ſanft
eingegraben. Dieſes Bruſtbild aber, nebſt dem Weiblichen Bruſtbilde von
gleicher Groͤße, ſind ohne Zweifel in guter Zeit der Kunſt gemacht. Aber
Der Verfall der Kunſt mußte nothwendig durch Vergleichung mitC.
Muthmaßung
uͤber die Be-
muͤhung eini-
ger Kuͤnſtler,
aus dem einge-
riſſenen Ver-
derbniß in der
Kunſt zuruͤck
zu kehren.
den Werken der hoͤchſten und ſchoͤnſten Zeit merklich werden, und es iſt zu
glauben, daß einige Kuͤnſtler geſuchet haben, zu der großen Manier ihrer
Vorfahren zuruͤck zu kehren. Auf dieſem Wege kann es geſchehen ſeyn,
ſo wie die Dinge in der Welt vielmals im Cirkel gehen, und dahin zuruͤck
kehren, wo ſie angefangen haben, daß die Kuͤnſtler ſich bemuͤheten, den
aͤltern Stil nachzuahmen, welcher durch die wenig ausſchweifenden Um-
riſſe der Aegyptiſchen Arbeit nahe kommt. Dieſe Muthmaßung veranlaſſet
ϹΟΛωΝ
ΔΙΔϒΜΟϒ
ΤϒΧΗΤΙ
ϵΠΟΗϹϵ
ΜΝΗΜΗϹ
ΧΑΡΙΝ.
Einen dieſem entgegen geſetzten Stil koͤnnte man in einigen erhobenen
Arbeiten finden, welche wegen einiger Haͤrte und Steife der Figuren fuͤr
Hetruriſch, oder fuͤr alt Griechiſch, zu halten waͤren, wenn es andere Anzei-
gen erlaubeten. Ich will zum Beyſpiel eins von denſelben in der Villa
Albani anfuͤhren, welches uͤber der Vorrede dieſer Schrift in Kupfer ge-
ſtochen ſtehet. Dieſes Werk ſtellet vier Weibliche bekleidete Goͤttinnen
gleichſam in Proceßion vor, unter welchen die letztere einen langen Zepter
traͤgt, die mittlere, welches Diana iſt, hat den Bogen und den Koͤcher
auf der Schulter haͤngen, und traͤgt eine Fackel; ſie faſſet an den Mantel
der erſten, welches eine Muſe iſt, und auf dem Pſalter ſpielet, und mit
der einen Hand eine Schaale haͤlt, in welche eine Victoria, neben einen
Altar ſtehend, eine Libation ausgießt. Dem erſten Anblicke nach koͤnnte
Man koͤnnte auch die Klage des Petronius auf die haͤufigen Figuren
Aegyptiſcher Gottheiten deuten, welches damals der herrſchende Aberglau-
be in Rom war, ſo daß die Maler, wie Juvenalis ſagt, von Bildern der
Iſis lebeten. Durch dieſe Arbeit der Kuͤnſtler in dergleichen Figuren,
koͤnnte ſich ein Stil, welcher den Aegyptiſchen Figuren aͤhnlich war, auch
in andern Werken eingeſchlichen haben. Es finden ſich noch itzo einige
Statuen der Iſis voͤllig auf Hetruriſche Art gekleidet, die aus offenbaren
Zeichen von der Kaiſer Zeiten ſind; ich kann unter andern eine in Lebens-
groͤße im Pallaſte Barberini anfuͤhren. Dieſe Meynung wird diejenigen
nicht befremden, welche wiſſen, daß durch einen einzigen Menſchen, wie
Bernini iſt, ein Verderbniß in der Kunſt bis itzo eingefuͤhret worden; um
ſo viel mehr koͤnnte dieſes durch viele, oder durch den groͤßten Theil der
Kuͤnſtler, geſchehen ſeyn, die in Aegyptiſchen Figuren arbeiteten.
Man kann aber hier nicht behutſam genug gehen, in BeurtheilungD.
Behutſamkeit
im Urtheilen
uͤber die Origi-
nale, oder ſchon
vor Alters
nachgeahmte
Werke.
des Alters der Arbeit; und eine Figur, welche Hetruriſch, oder aus der aͤl-
tern Zeit der Kunſt unter den Griechen, ſcheinet, iſt es nicht allezeit. Es
kann dieſelbe eine Copie oder Nachahmung aͤlterer Werke ſeyn, welche vie-
Q· AQVILIVS· DIONYSIVS· ET·
NONIA· FAVSTINA· SPEM· RE
STITVERVNT.
Eben ſo verhaͤlt es ſich mit den ſogenannten Koͤpfen des Plato, welche
nichts anders, als Koͤpfe von Hermen, ſind, denen man mehrentheils eine
Geſtalt gegeben, wie man ſich etwa die Steine, auf welche die erſten Koͤpfe
geſetzet wurden, vorſtellete: es haͤngen auf beyden Seiten insgemein Haar-
ſtrippen herunter, wie an den Hetruriſchen Figuren. Der ſchoͤnſte von ſol-
chen Koͤpfen in Marmor, gieng etwa vor fuͤnf Jahren aus Rom nach Si-
cilien. Vollkommen aͤhnlich und gleich iſt demſelben der Kopf einer Maͤnn-
lichen bekleideten Statue von neun Palmen hoch, welche im Fruͤhlinge des
1761. Jahres, nebſt vier Weiblichen angefuͤhrten Caryatiden, bey Monte
Porzio (wo, beſage einiger vorher entdeckten Inſchriften, eine Villa des
Hauſes Portia war) gefunden wurde. Die Statue hat ein Unterkleid
von leichtem Zeuge, welches die gehaͤuften kleinen Falten anzeigen, in welche
es bis auf die Fuͤße herunter haͤngt, und uͤber daſſelbe einen Mantel von
Tuch, unter dem rechten Arme uͤber die linke Schulter geſchlagen, ſo daß
der linke Arm, welcher auf die Huͤfte geſtuͤtzet iſt, bedeckt bleibet. Auf
dem Rande des uͤber die Schulter geworfenen Theils des Mantels ſtehet
der Name ϹᾺΡΔᾺΝᾺΠᾺλλΟϹ, geſchrieben mit zwey Lamda, (λ)
wider die gewoͤhnliche Schreibart. Dieſer Buchſtabe aber findet ſich auch
anderwerts uͤberfluͤßig und gedoppelt, wie auf einer ſeltenen Muͤnze 1)
der Stadt Magneſia in Erzt, mit der Inſchrift: ΜΑΓΝΗΤ· ΠΟΛΛΙΣ,
Daß der Stil der Kunſt in den letzten Zeiten von dem alten ſehr ver-
ſchieden geweſen, deutet unter andern Pauſanias an, wenn er ſagt 2), daß
eine Prieſterinn der Leucippiden, das iſt, der Phoebe, und der Hilaira,
von einer von beyden Statuen, weil ſie gemeynet, dieſelbe ſchoͤner zu
machen, den alten Kopf abnehmen, und ihr einen neuen Kopf an deſſen
Da ſich endlich die Kunſt immer mehr zu ihrem Fall neigete, und daF.
Von der gro-
ßen Menge
Portraitkoͤpfe
gegen wenig
Statuen aus
dieſer Zeit.
auch, wegen der Menge alter Statuen, weniger, in Vergleichung der vori-
gen Zeit, gemachet wurden, ſo war der Kuͤnſtler vornehmſtes Werk, Koͤpfe
und Bruſtbilder, oder was man Portraits nennet, zu machen, und die
letzte Zeit bis auf den Untergang der Kunſt hat ſich vornehmlich hierinn
gezeiget. Daher muß es nicht ſo außerordentlich, wie es vielen vorkommt,
ſcheinen, ertraͤgliche, ja zum Theil ſchoͤne Koͤpfe des Macrinus, des Septi-
mius Severus, und des Caracalla, wie der Farneſiſche iſt, zu ſehen: denn
der Werth deſſelben beſtehet allein im Fleiße. Vielleicht haͤtte Lyſippus den
Kopf des Caracalla nicht viel beſſer machen koͤnnen; aber der Meiſter deſſel-
ben konnte keine Figur, wie Lyſippus, machen; dieſes war der Unterſchied.
Man glaubete eine beſondere Kunſt in ſtarken hervorliegenden Adern,G.
Niedrige Be-
griffe der
Schoͤnheit in
der letzten Zeit.
wider den Begriff der Alten, zu zeigen, und an dem Bogen Kaiſers Septi-
mius hat man ſolche Adern auch an den Haͤnden Weiblicher Idealiſcher
Figuren, wie die Victorien ſind, welche Tropheen tragen, nicht wollen
mangeln laſſen; als wenn die Staͤrke, welche vom Cicero als eine allge-
meine Eigenſchaft vollkommener Haͤnde angegeben wird, ſich auch auf
Weibliche Haͤnde erſtreckte, und auf vorbeſagte Weiſe muͤßte ausgedruckt
werden. An den Stuͤcken der Coloſſaliſchen Statuen im Campidoglio,
welche von einem Apollo ſeyn ſollen, ſind die Adern oben ungemein ſanft
angedeutet.
Die mehreſten Begraͤbnißurnen ſind aus dieſer letzten Zeit der Kunſt, und
alſo auch die mehreſten erhobenen Arbeiten: denn dieſe ſind von ſolchen vier-
eckigt laͤnglichen Urnen abgeſaͤget. Einige erhobene Werke, die beſonders
gearbeitet ſind, unterſcheiden ſich durch einen erhobenen Rand oder Vor-
ſprung umher. Die mehreſten Begraͤbnißurnen wurden voraus und auf
den Kauf gemacht, wie die Vorſtellungen auf denſelben zu glauben veran-
laſſen, als welche mit der Perſon des Verſtorbenen, oder mit der Inſchrift,
nichts zu ſchaffen haben. Unter andern iſt eine ſolche beſchaͤdigte Urne in
der Villa Albani; auf deren vordern Seite, in drey Felder getheilet, iſt auf
dem zur Rechten Ulyſſes an den Maſtbaum ſeines Schiffs gebunden vorge-
ſtellet, aus Furcht vor dem Geſange der Sirenen, von welchen die eine
die Leyer ſpielet, die andere die Floͤte, und die dritte ſinget, und haͤlt ein
gerolletes Blatt in der Hand. Sie haben Voͤgelfuͤße, wie gewoͤhnlich;
das beſondere aber iſt, daß ſie alle drey einen Mantel umgeworfen haben.
Zur linken ſitzen Philoſophen in Unterredung. Auf dem mittlern Felde
iſt folgende Inſchrift, welche nicht im geringſten auf die Vorſtellung zielet,
und iſt noch nicht bekannt gemacht:
ΑΘΑΝΑΘωΝ ΜϵΡΟΠωΝ
ΟϒΔϵΙϹ· ϵΦϒ· ΤΟϒΔϵ· ϹϵΒΗΡΑ
ΘΗϹϵϒϹ· ΑΙΑΚΙΔΑΙ
ΜΑΡΤϒΡϵϹ· ϵΙϹΙ· ΛΟΓΟϒ
ΑϒΧΩ· ϹωΦΡΟΝΑ· ΤϒΝΒΟϹ· ϵ
ΜΑΙϹ· ΛΑΓΟΝϵϹϹΙ· ϹυΒΗΡΑΝ
ΚΟϒΡΗΝ· ϹΤΡϒΜΟΝΙΟϒ· ΠΑΙ
ΔΟϹ· ΑΜϒΜΟΝ ϵΧωΝ.
ΟΙΗΝ· ΟϒΚ· ΗΝϵΙΚϵ· ΠΟΛϒϹ
ΒΙΟϹ. ΟϒΔϵ. ΤΙϹ· ΟϒΠω
ϵϹΧϵ. ΤΑΦΟϹ· ΧΡΗϹΤΗΝ
ΑΛΛΟϹ· ϒΦ ΗϵΛΙωΙ
Es bleibet im uͤbrigen dem Alterthume bis zum Falle der Kunſt derI.
Von dem gu-
ten Geſchma-
cke, welcher ſich
auch in dem
Verfalle der
Kunſt erhal-
ten hat.
Ruhm eigen, daß es ſich ſeiner Groͤße bewußt geblieben: der Geiſt ihrer
Vaͤter war nicht gaͤnzlich von ihnen gewichen, und auch mittelmaͤßige
Werke der letzten Zeit ſind noch nach den Grundſaͤtzen der großen Meiſter
gearbeitet. Die Koͤpfe haben den allgemeinen Begriff von der alten
Schoͤnheit behalten, und im Stande, Handlung und Anzuge der Figu-
ren offenbaret ſich immer die Spur einer reinen Wahrheit und Einfalt.
Die gezierte Zierlichkeit, eine erzwungene und uͤbel verſtandene Gratie,
die uͤbertriebene und verdrehete Gelenkſamkeit, wovon auch die beſten
Werke neuerer Bildhauer ihr Theil haben, hat die Sinne der Alten nie-
mals geblendet. Ja wir finden, wenn man aus dem Haarputze ſchlieſ-
ſen kann, einige treffliche Statuen aus dem dritten Jahrhunderte, welche
als Copien anzuſehen ſind, die nach aͤltern Werken gearbeitet worden.
Von dieſer Art ſind zwo Venus in Lebensgroͤße in dem Garten hinter
dem Pallaſte Farneſe, mit ihren eigenen Koͤpfen; die eine mit einem
ſchoͤnen Kopfe der Venus, die andere mit einem Kopfe einer Frau vom
Stande, aus gedachtem Jahrhunderte, und beyde Koͤpfe haben einerley
Haaraufſatz. Eine ſchlechtere Venus, von eben der Groͤße, iſt im Bel-
vedere, deren Haarputz jenen aͤhnlich iſt, und dem Weiblichen Geſchlechte
aus dieſer Zeit eigen war. Ein Apollo, in der Villa Negroni, in dem
Alter und in der Groͤße eines jungen Menſchen von funfzehen Jahren,
kann unter die ſchoͤnen jugendlichen Figuren in Rom gezaͤhlet werden; aber
der eigene Kopf deſſelben ſtellet keinen Apollo vor, ſondern etwa einen
Kaiſerlichen Prinzen aus eben der Zeit. Es fanden ſich alſo noch einige
Kuͤnſtler, welche aͤltere und ſchoͤne Figuren ſehr gut nach zu arbeiten
verſtanden.
Ich ſchließe das dritte Stuͤck dieſes Capitels mit einem ganz außer-
ordentlichen Denkmale im Campidoglio aus einer Art von Baſalt. Es
ſtellet einen großen ſitzenden Affen vor, deſſen vordere Fuͤße auf den Knien
der hinteren Fuͤße ruhen, und wovon der Kopf verlohren gegangen iſt.
Auf der Baſe dieſer Figur ſtehet auf der rechten Seite in Griechiſcher
Schrift eingehauen: „Phidias und Ammonius, Soͤhne des Phi-
dias, haben es gemacht 1).„ Dieſe Inſchrift, welche von wenigen
bemerket worden, war in dem geſchriebenen Verzeichniſſe, aus welchem
Reineſius dieſelbe genommen, leichthin angegeben, ohne das Werk an-
zuzeigen, woran ſie ſtehet, und koͤnnte ohne offenbare Kennzeichen ihres
Alterthums fuͤr untergeſchoben angeſehen werden. Dieſes dem Scheine
nach veraͤchtliche Werk, kann durch die Schrift auf demſelben Aufmerk-
ſamkeit erwecken, und ich will meine Muthmaßung mittheilen.
Es hatte ſich eine Colonie von Griechen in Africa niedergelaſſen,
die Pithecuſaͤ in ihrer Sprache hießen, von der Menge Affen in dieſen
Gegenden. Diodorus ſagt 2), daß dieſes Thier heilig von ihnen gehal-
ten, und, wie die Hunde in Aegypten, verehret worden. Die Affen
liefen frey in ihre Wohnungen, und nahmen, was ihnen gefiel; ja dieſe
Griechen nenneten ihre Kinder nach denſelben, weil ſie den Thieren, wie
ſonſt den Goͤttern, gewiſſe Ehrenbenennungen werden beygeleget haben.
Ich bilde mir ein, daß der Affe im Campidoglio ein Vorwurf der Ver-
ehrung unter den Pithecuſiſchen Griechen geweſen ſey; wenigſtens ſehe
ich keinen andern Weg, ein ſolches Ungeheuer in der Kunſt, mit Namen
Griechiſcher Bildhauer zu reimen: Phidias und Ammonius werden dieſe
Kunſt unter dieſen Barbariſchen Griechen geuͤbet haben. Da Agathocles,
Koͤnig in Sicilien, die Carthaginenſer in Africa heimſuchete, drang deſſen
Um das obige dieſes dritten Stuͤcks zu wiederholen, und zuſammenL.
Widerholung
des Inhalts
dieſes Stuͤcks.
zu faſſen, ſo wird man in der Kunſt der Griechen, ſonderlich in der Bild-
hauerey, vier Stuffen des Stils ſetzen, nemlich den geraden und harten,
den großen und eckigten, den ſchoͤnen und fließenden, und den Stil
der Nachahmer. Der erſte wird mehrentheils gedauert haben bis auf
1)
Endlich folget, nach Anzeige der Urſachen des Vorzuges der GriechiſchenViertes Stuͤck.
Von dem
Mechaniſchen
Theile der
Griechiſchen
Bildhauerey.
Kunſt, und zweytens des Anfangs und des Weſentlichen derſelben,
nebſt der Unterſuchung des Wachsthums und des Falls der Kunſt, das
vierte Stuͤck dieſes Capitels, welches die Betrachtung des Mechaniſchen
Theils derſelben enthaͤlt. Dieſer Theil der Kunſt begreift erſtlich die Ma-I.
Von der ver-
ſchiedenen
Materie, in
welcher die
Griechiſchen
Bildhauer ge-
arbeitet haben.
terie, in welcher die Griechiſchen Bildhauer gearbeitet haben, und zum
zweyten die Art der Ausarbeitung ſelbſt.
Von der verſchiedenen Materie zu Statuen der Griechen ſo wohl, als
anderer Voͤlker, iſt uͤberhaupt im erſten Capitel eine hiſtoriſche Anzeige ge-
geben worden; hier iſt insbeſondere von dem Marmor zu reden. GarofaloA.
Vom Marmor
und deſſen Ar-
ten.
hat in einem beſondern Werke von den verſchiedenen Arten Marmor, deren
die alten Scribenten gedenken, mit umſtaͤndlicher Anfuͤhrung aller Stellen,
welche er finden koͤnnen, nebſt ihrer Ueberſetzung, gehandelt, und deſſen
Arbeit wird vornehmlich von denen geſchaͤtzet, die bloß auf die Beleſenheit
gehen; mit aller Muͤhe aber, die er ſich gegeben hat, lehret er nicht, wor-
inn der Werth des ſchoͤnſten Marmors beſtehe, und es ſind demſelben viel
merkwuͤrdige Stellen alter Scribenten unbekannt geblieben.
Es iſt bekannt, daß die Antiquarii, wenn ſie den Werth einer Sta-
tue, oder ihre Materie, erheben wollen, ſagen, daß ſie von Pariſchem
Marmor ſey, und Ficoroni zeiget nicht leicht eine Statue oder eine Saͤule
an, die er nicht fuͤr Pariſchen Marmor haͤlt. Dieſes iſt aber wie ein an-
genommenes und geſchwornes Handwerks-Wort, und wenn es etwa zu-
Die vorzuͤglichſten Arten des Griechiſchen weißen Marmors ſind der Pa-
riſche, von den Griechen auch λύγδινος (von dem Gebuͤrge Lygdos in der
Inſel Paros 2) genannt, und der Pentheliſche, deſſen Plinius 3) keine
Meldung thut, welcher bey Athen gebrochen wurde; und aus dieſem wa-
ren zehen Figuren gegen eine aus jenem gearbeitet, wie die Anzeigen des
Pauſanias darthun koͤnnen. Den Unterſcheid dieſer beyden Arten aber
wiſſen wir nicht eigentlich.
Es giebt weißen Marmor von kleinen und großen Koͤrnern, das iſt,
aus feinen und groͤbern Theilen zuſammengeſetzet: je feiner das Korn iſt,
deſto vollkommener iſt der Marmor; ja es finden ſich Statuen, deren Mar-
mor aus einer milchigten Maſſe oder Teige gegoſſen ſcheinet, ohne Schein
von Koͤrnern, und dieſer iſt ohne Zweifel der ſchoͤnſte. Da nun der Pa-
riſche der ſeltenſte war, ſo wird derſelbe dieſe Eigenſchaft gehabt haben.
Dieſer Marmor hat außer dem zwo Eigenſchaften, welche dem ſchoͤnſten
Carrariſchen nicht eigen ſind: die eine iſt deſſen Mildigkeit, das iſt, er
laͤßt ſich arbeiten wie Wachs, und iſt der feinſten Arbeit in Haaren, Federn
und dergleichen faͤhig, da hingegen der Carrariſche ſproͤde iſt, und aus-
ſpringt, wenn man zu viel in demſelben kuͤnſteln will; die andere Eigen-
ſchaft iſt deſſen Farbe, welche ſich dem Fleiſche naͤhert, da der Carrariſche
ein blendend weiß hat. Aus dem ſchoͤnſten Marmor iſt das erhobene
Bruſtbild des Antinous, etwas uͤber Lebensgroͤße, in der Villa Albani.
Es iſt alſo irrig, wenn Iſidorus vorgiebt 4), der Pariſche Marmor
werde nur in Stuͤcken gebrochen, von der Groͤße, welche zu Gefaͤßen dienen
Von der Art der Ausarbeitung iſt zu erſt allgemein, und hernachII.
Von der
Ausarbeitung
der Bildhauer.
insbeſondere von der Materie, dem Elfenbeine, dem Steine, und ſo viel
man von der Arbeit in Erzt wiſſen kann, zu reden. Was die Ausarbei-A.
Ueberhaupt.
tung uͤberhaupt betrifft, ſo iſt uns von einer beſondern Art, in welcher die
Griechiſchen Bildhauer verſchieden von den neuern Kuͤnſtlern, und von
unſerer Vorſtellung, koͤnnen gearbeitet haben, nichts beſonders bekannt;
gewiß aber iſt, daß ſie zu ihren Werken Modelle gemacht. Ein beruͤhm-
ter Scribent glaubet 2), Diodorus habe das Gegentheil anzeigen wollen,
wo derſelbe ſagt, daß die Aegyptiſchen Kuͤnſtler nach einem richtigen Maaße
gearbeitet, die Griechen aber nach dem Augenmaaße geurtheilet haben.
Das Gegentheil von dieſer Meynung kann ein geſchnittener Stein im
Stoßiſchen Muſeo darthun 3), auf welchem Prometheus den Menſchen, wel-
chen er bildet, mit dem Bleye ausmißt. Man weis, wie hoch die Mo-
delle des beruͤhmten Arceſilaus, welcher wenige Jahre vor dem Diodorus
gebluͤhet hat, geſchaͤtzet wurden; und wie viel Modelle von gebranntem
Thone haben ſich erhalten, und werden noch taͤglich gefunden! Der Bild-
hauer muß mit Maaß und Zirkel arbeiten; der Maler aber ſoll das Maaß
im Auge haben.
Die mehreſten Statuen von Marmor ſind aus einem Stuͤcke gear-
beitet, und Plato giebt ſeiner Republik ſo gar ein Geſetz, die Statuen
Ueber die Ausarbeitung der Materie iſt erſtlich des Elfenbeins zu ge-
a Von der
Arbeit in
Elfenbein.denken. Elfenbein zu Statuen ſcheinet auf der Drehbank gearbeitet zu
ſeyn, und da Phidias ſich vornehmlich in dieſer Arbeit hervorgethan, wel-
cher die Kunſt, die bey den Alten Torevtice, d. i. das Drechſeln, heißt,
erfunden, ſo koͤnnte dieſes keine andere Kunſt ſeyn, als diejenige, welche
das Geſicht, die Haͤnde, und die Fuͤße ausdrechſelte. Auf der Drehbank
arbeitete man auch das Schnitzwerk an Gefaͤßen, wie dasjenige von dem
goͤttlichen Alcimedon beym Virgilius war, welches als ein Preiß unter
zween Schaͤfer ausgeſetzet wurde.
Die Ausarbeitung, in Abſicht auf den Stein, gehet vornehmlich den
aa In Mar-
mor.Marmor, den Baſalt, und den Porphyr an. Figuren von Marmor wur-
den entweder mit dem bloßen Eiſen geendiget, ohne ſie zu glaͤtten, oder
ſie wurden, wie itzo geſchieht, geglaͤttet. Es iſt nicht zu ſagen, ob dieſes
oder jenes aͤlter ſey, da die aͤlteſten Aegyptiſchen Figuren aus den haͤrteſten
Die mehreſten Statuen in Marmor aber wurden geglaͤttet, und man
wird ohngefaͤhr auf eben die Art, wie itzo, verfahren ſeyn. Einer von den
Steinen, welcher zur Glaͤttung dienete, kam aus der Inſel Naxus 1), und
Pindarus ſagt, er ſey der beſte hierzu 2). Alle Statuen werden, wie bey
den Alten 3), noch itzo mit Wachs geglaͤttet: aber dieſes Wachs wird voͤllig
abgerieben, und bleibet nicht, wie ein Firniß, eine Oberhaut auf demſelben.
Die unten angefuͤhrten Stellen ſind von allen irrig vom Abputzen der Sta-
tuen verſtanden worden.
Der ſchwarze Marmor kam ſpaͤter, als der weiße, in Gebrauch: die
haͤrteſte und feinſte Art deſſelben, wird insgemein Paragone, Probier-
ſtein, genannt. Von ganzen Griechiſchen Figuren aus dieſem Steine, ha-
ben ſich erhalten ein Apollo in der Gallerie Farneſe, der ſo genannte Gott
Aventinus im Campidoglio, beyde groͤßer, als die Natur, zween Centaure
des Hrn. Cardinals Furietti, von Ariſteas und Papias, aus Aphrodi-
In Baſalt, ſowohl in dem eiſenfaͤrbigen, als in dem gruͤnlichen, ha-bb In Ba-
ſalt.
ben ſich die Griechiſchen Bildhauer zu zeigen geſucht; es hat ſich aber von
ganzen Statuen keine einzige erhalten. Ein Sturz von einer Maͤnnlichen
Figur in Lebensgroͤße, in der Villa Medicis, iſt uͤbrig, und dieſer Reſt zeu-
get von einer der ſchoͤnſten Figuren aus dem Alterthume; man kann den-
ſelben ſo wohl in Abſicht der Wiſſenſchaften, als der Arbeit, nicht ohne Ver-
wunderung betrachten. Die uͤbrig gebliebenen Koͤpfe von dieſem Steine
veranlaſſen zu glauben, daß nur beſonders geſchickte Kuͤnſtler ſich an den-
ſelben gemacht haben: denn es ſind dieſelben in dem ſchoͤnſten Stile, und auf
das feinſte geendiget. Außer dem Kopfe des Scipio, von welchem ich im
zweyten Theile Meldung thue, iſt im Pallaſte Veroſpi ein Kopf eines
jungen Helden, und ein Weiblicher Idealiſcher Kopf, auf eine alte be-
kleidete Bruſt von Porphyr geſetzt, in der Villa Albani; das ſchoͤnſte aber
unter dieſen Koͤpfen wuͤrde der von einem jungen Menſchen, in Lebens-
groͤße, ſeyn, welchen der Verfaſſer beſitzet, woran aber nur die Augen,
nebſt der Stirn, das eine Ohr und die Haare unverſehrt geblieben ſind.
Die Arbeit der Haare an dieſem ſo wohl, als an dem Veroſpiſchen Kopfe,
iſt verſchieden von der an den Maͤnnlichen Koͤpfen in Marmor, das iſt,
ſie ſind nicht, wie an dieſen, in freye Locken geworfen, oder mit dem Bohrer
getrieben, ſondern wie kurz geſchnittene und fein gekaͤmmete Haare vorge-
ſtellet, ſo wie ſie ſich an einigen Maͤnnlichen Idealiſchen Koͤpfen in Erzt
finden, wo gleichſam jedes Haar insbeſondere angedeutet worden. An
Koͤpfen in Erzt, welche nach dem Leben gemacht ſind, iſt die Arbeit der
Haare verſchieden, und Marcus Aurelius zu Pferde, und Septimius Se-
verus zu Fuß, dieſer im Pallaſte Barberini, haben die Haare lockigt,
wie ihre Bildniſſe in Marmor. Der Hercules im Campidoglio, hat die
Von der Arbeit in Porphyr iſt zum dritten beſonders zu reden.
Hierinn ſind unſere Kuͤnſtler weit unter den Alten, nicht, daß jene den
Porphyr gar nicht zu arbeiten verſtaͤnden, wie insgemein von unwiſſenden
flattrigen Scribenten vorgegeben wird 1), ſondern darinn, daß die Alten
hier mit groͤßerer Leichtigkeit, und mit uns unbekannten Vortheilen, zu
Werke gegangen ſind. Daß die alten Kuͤnſtler beſondere Vortheile in die-
ſer Arbeit erlanget gehabt, zeigen ihre Gefaͤße in Porphyr, welche wirklich
auf der Bank ausgedrehet ſind. Der Herr Cardinal Alexander Albani
beſitzet die ſchoͤnſten in der Welt, und zwey unter denſelben ſind uͤber zween
Roͤmiſche Palme hoch, von welchen das eine vom Pabſt Clemens XI. mit
dreytauſend Scudi bezahlet worden. Die heutigen Kuͤnſtler, ſo weit ſie in
Bearbeitung des Porphyrs gelanget ſind, haben das Waſſer nicht, welches
Coſmus, Großherzog von Toſcana, ſoll erfunden haben 2), die Eiſen zu
haͤrten, ſie verſtehen aber dennoch dieſen Stein zu baͤndigen. Es ſind
auch in neuern Zeiten nicht allein große Werke in Porphyr gearbeitet, wie
der ſchoͤne Deckel der herrlich großen alten Urne, in der Capelle Corſini,
zu St. Johann Lateran, iſt, ſondern auch verſchiedene Bruſtbilder der
Kaiſer, unter welchen die Koͤpfe der zwoͤlf erſten Kaiſer in der Gallerie
Man merke hier, daß ſich an Statuen von Porphyr weder Kopf, noch
Haͤnde und Fuͤße, aus eben demſelben Steine finden, ſondern ſie haben dieſe
aͤußeren Theile von Marmor. In der Gallerie das Pallaſtes Chigi, welche
itzo in Dreßden iſt, war ein Kopf des Caligula in Porphyr; er iſt aber neu,
und nach dem von Baſalt im Campidoglio gemacht; in der Villa Borghe-
ſe iſt ein Kopf des Veſpaſianus, welcher ebenfalls neu iſt. Es finden ſich
zwar vier Figuren, von welchen zwo und zwo zuſammen ſtehen, aus einem
Stuͤcke, am Eingange des Pallaſtes des Doge zu Venedig, welche ganz
und gar aus Porphyr ſind; es iſt aber eine Arbeit der Griechen aus der ſpaͤ-
tern oder mittlern Zeit, und Hieronymus Magius muß ſich ſehr wenig
auf die Kunſt verſtanden haben, wenn er vorgiebt, daß es Figuren des
Harmodion und Ariſtogiton, der Befreyer von Athen, ſeyn 1).
Was endlich die Arbeit in Erzt betrifft, ſo waren ſchon lange vorc Von der
Arbeit in Erzt.
aa An ſich
ſelbſt.
dem Phidias viele Statuen darinn gearbeitet, und Phradmon, welcher
Mit Loͤthen arbeitete man an den Haaren, und an freyhaͤngenden Lo-
cken, wie man an einem der aͤlteſten Koͤpfe aus dem ganzen Alterthume, in
dem Herculaniſchen Muſeo zu Portici, ſieht. Es iſt derſelbe ein Weib-
liches Bruſtbild, und hat vorwerts uͤber der Stirn bis an die Ohren funf-
Die beſten Statuen in Erzt ſind unter andern drey in eben dieſemc c Von den
beſten Statuen
in Erzt.
Muſeo, und zwar in Lebensgroͤße: ein junger ſitzender und ſchlafender Sa-
tyr, welcher den rechten Arm uͤber den Kopf geleget, und den linken haͤngen
hat: ein alter trunkener Satyr auf einem Schlauche liegend, uͤber welchen
eine Loͤwenhaut geworfen iſt. Er ſtuͤtzet ſich mit dem linken Arme, und
ſchlaͤgt mit der erhobenen rechten Hand ein Knipgen, wie die Statue des
Sardanapalus zu Anchialus 1), zum Zeichen der Freude, wie noch itzo im
Tanzen gewoͤhnlich iſt. Die vorzuͤglichſte unter den dreyen iſt ein ſitzender
Mercurius, welcher das linke Bein zuruͤck geſetzet hat, und ſich mit der
rechten Hand ſtuͤtzet, mit vorwerts gekruͤmmetem Leibe. Unter den Fuß-
ſohlen iſt der Heft der Riemen von den angebundenen Fluͤgeln, wie eine
Roſe, geſtaltet, anzudeuten, daß dieſe Gottheit nicht zu gehen, ſondern zu
fliegen habe. Von dem Caduceo iſt in der linken Hand nur ein Ende ge-
Viele oͤffentliche Statuen von Erzt wurden vergoldet, wie das Gold
α Allgemein.noch itzo zeiget, welches ſich erhalten hat an der Statue des Marcus Aure-
lius zu Pferde, an den Stuͤcken von vier Pferden und einem Wagen, die
auf dem Herculaniſchen Theater ſtanden, ſonderlich an dem Hercules im
Campidoglio 1). Die Dauerhaftigkeit der Vergoldung an Statuen, welche
viele hundert Jahre unter der Erde verſchuͤttet gelegen, beſtehet in den ſtar-
ken Goldblaͤttern: denn das Gold wurde bey weiten nicht ſo duͤnne, als bey
uns, geſchlagen, und Buonarroti 2) zeiget den großen Unterſchied des
Verhaͤltniſſes. Daher ſieht man in zwey verſchuͤtteten Zimmern des Pal-
laſtes der Kaiſer, auf dem Palatino in der Villa Farneſe, die Zierrathen
von Golde ſo friſch, als wenn dieſelben neulich gemacht worden; ohngeach-
tet dieſe Zimmer wegen des Erdreichs, womit ſie bedecket ſind, ſehr feucht
ſeyn: die Himmelblauen und Bogenweis gezogenen Binden mit kleinen Figu-
ren in Golde koͤnnen nicht ohne Verwunderung geſehen werden. Auch in
den Truͤmmern zu Perſepolis 3) hat ſich noch die Vergoldung erhalten.
In Feuer vergoldet man auf zweyerley Art, wie bekannt iſt; die eine
Art heißt Amalgema, die andere nennet man in Rom allo Spadaro, d. i.
nach Schwerdfeger Art. Dieſe geſchieht mit aufgelegten Goldblaͤttern,
jene Art aber iſt ein aufgeloͤſetes Gold in Scheidewaſſer. In dieſes von
Gold ſchwangere Waſſer wird Queckſilber gethan, und alsdenn wird es
auf ein gelindes Feuer geſetzet, damit das Scheidewaſſer verrauche, und
das Gold vereiniget ſich mit dem Queckſilber, welches zu einer Salbe wird.
Mit dieſer Salbe wird das Metall, wenn es vorher ſorgfaͤltig gereinigt
worden, gegluͤhet beſtrichen, und dieſer Anſtrich erſcheinet alsdenn ganz
ſchwarz; von neuem aber aufs Feuer gelegt, bekommt das Gold ſeinen
Glanz. Dieſe Vergoldung iſt gleichſam dem Metalle einverleibet, war
aber den Alten nicht bekannt; ſie vergoldeten nur mit Blaͤttern, nach dem
Auf dem Marmor wurde das Gold mit Eyerweiß aufgetragen, wel-γ Von der
Vergoldung
auf Marmor.
ches itzo mit Knoblauch geſchieht, womit der Marmor gerieben wird,
und alsdenn uͤberziehet man den Marmor mit duͤnnem Gipſe, auf welchen
die Vergoldung getragen wird. Einige bedienen ſich der Milch der Fei-
gen, welche ſich zeiget, wenn ſich die Feige, die zu reifen anfaͤngt, von
dem Stengel abloͤſet. An einigen Statuen von Marmor finden ſich noch
itzo Spuren von Vergoldung an den Haaren, wie oben gedacht worden,
und vor vierzig Jahren fand ſich das Untertheil eines Kopfs, welcher
einem Laocoon aͤhnlich war, mit Vergoldung; dieſe aber iſt nicht auf
Gips, ſondern unmittelbar auf den Marmor geſetzt.
Zur Arbeit in Erzt gehoͤren auch die Muͤnzen, deren Gepraͤge unterd Von der
Arbeit auf
Muͤnzen.
den Griechen verſchieden iſt, nach dem verſchiedenen Alter der Kunſt.
In den aͤlteſten Zeiten iſt es flach, und in dem Flore der Kunſt ſo wohl,
als in den folgenden Zeiten, mehr erhoben; dort zum theil ſehr fleißig,
hier groß ausgefuͤhret. Von den aͤlteſten Muͤnzen mit zween Stempeln
habe ich oben zu Anfang des dritten Stuͤcks dieſes Capitels geredet.
Ich fuͤge hier eine noch nicht bekannt gemachte Inſchrift in der Villa
Albani bey, in welcher der Vergoldung der Muͤnzen gedacht wird:
D. M.
FECIT. MINDIA. HELPIS. IVLIO. THALLO
MARITO. SVO. BENE. MERENTI. QVI. FECIT.
Sic
OFFICINAS. PLVMBARIAS. TRASTIBERINA.
ET. TRICARI. SVPERPOSITO. AVRI. MONETAE.
NVMVLARIORVM. QVI. VIXIT. ANN. XXXII. M. VI.
ET. C.IVLIO. THALLO. FILIO. DVLCISSIMO. QVI. VIXIT.
Sic
MESES. IIII. DIES. XI. ET. SIBI. POSTERISQVE. SVIS.
Auf dieſes vierte Stuͤck, nemlich die Betrachtung des Mechaniſchen
Theils der Kunſt, folget in dem fuͤnften und letzten Stuͤcke dieſes
Capitels die Abhandlung von der Malerey der Alten, von welcher wir zu
unſern Zeiten mit mehr Kenntniß und Unterricht, als vorher geſchehen
Alle dieſe Gemaͤlde ſind, außer vier auf Marmor gezeichneten Stuͤcken,
auf der Mauer gemalet, und obgleich Plinius ſagt 1), daß kein beruͤhmter
Maler auf der Mauer gemalet habe, ſo dienet eben dieſes ungegruͤndete
Vorgeben deſſelben mit zum Beweis von der Vortrefflichkeit der beſten
Werke im Alterthume, da einige von denen, welche uͤbrig geblieben ſind,
und gegen ſo viel geruͤhmte Meiſterſtuͤcke geringe ſeyn wuͤrden, große Schoͤn-
heiten der Zeichnung und des Pinſels haben.
Die erſten Gemaͤlde wurden auf der Mauer gemalet, und ſchon bey
den Chaldaͤern wurden die Zimmer ausgemalet, wie wir bey dem Prophe-
ten leſen 2), welches nicht, wie jemand meynet, von aufgehaͤngten
Gemaͤlden zu verſtehen iſt 3). Polygnotus, Onatas, Pauſias, und andere
beruͤhmte Griechiſche Maler, zeigeten ſich in Auszierung verſchiedener Tem-
pel und oͤffentlicher Gebaͤude; Apelles ſelbſt ſoll zu Pergamus einen Tempel
ausgemalet haben 4). Es gereichete zur Befoͤrderung der Kunſt, daß,
weil ausgeſchlagene Zimmer mit Tapeten nicht uͤblich waren, die Zimmer
bemalet wurden: denn die Alten liebeten nicht die Waͤnde bloß anzuſehen,
und wo es zu koſtbar war, dieſelben mit Figuren anzufuͤllen, wurden ſie in
verſchiedene angeſtrichene Felder durch ihre Leiſten eingetheilet.
Die gegenwaͤrtigen alten Gemaͤlde in Rom ſind, die ſogenannte Ve-
nus und die Roma im Pallaſte Barberini, die Aldrovandiniſche Hochzeit,
der vermeynte Marcus Coriolanus, ſieben Stuͤcke in der Gallerie des Col-
A.
Die ehemals
in Rom entde-
cket worden.legii S. Ignatii, und eins, welches der Herr Cardinal Alexander Albani
beſitzet.
Die zwey erſtern Gemaͤlde ſind in Lebensgroͤße: die Roma ſitzet, und
die Venus liegt; der Kopf derſelben, nebſt dem Amorini und andern Neben-
werken, wurde von Caro Maratta ergaͤnzet. Es wurde dieſe Figur ge-
funden, da man den Grund zu dem Pallaſte Barberini grub, und man
glaubet, daß die Roma eben daſelbſt gefunden worden. Bey der Copie
dieſes Gemaͤldes, welches Kaiſer Ferdinand III. machen ließ, fand ſich
eine ſchriftliche Nachricht, daß es im Jahr 1656. nahe an dem Battiſterio
Conſtantini entdecket worden 1); und aus dieſem Grunde haͤlt man es fuͤr
eine Arbeit aus dieſer Zeit. In einem ungedruckten Briefe des Commen-
dator del Pozzo an Nic. Heinſius erſehe ich, daß dieſes Gemaͤlde ein
Jahr vorher, nemlich 1655. den ſiebenden April gefunden worden; es
wird aber nicht gemeldet, an welchem Orte: La Chauſſe hat daſſelbe be-
ſchrieben 2). Ein anderes Geinaͤlde, das triumphirende Rom ge-
nannt 3), welches aus vielen Figuren beſtand, und in eben dem Pallaſte
war, iſt nicht mehr vorhanden. Das ſogenannte Nymphaͤum, an eben
dem Orte 4), hat der Moder vertilget, und ich muthmaße, daß es jenem
ebenfalls alſo ergangen ſey.
Die beyden letzten Gemaͤlde beſtehen aus Figuren von etwa zween
Palmen hoch. Die ſogenannte Hochzeit wurde nicht weit von S. Maria
Maggiore, in der Gegend, wo ehemals des Maͤcenas Gaͤrten waren, ent-
decket 5). Das andere, nemlich der Coriolanus, iſt nicht unſichtbar ge-
worden, wie Duͤ Bos vorgiebt 6), ſondern man ſieht es noch itzo in dem
Gewoͤlbe der Baͤder des Titus, wo ehemals der Laocoon ſtand in einer
großen Niſche, welche bis an deſſen Bogen verſchuͤttet iſt.
Die ſieben Gemaͤlde bey den Jeſuiten ſind aus einem Gewoͤlbe an
dem Fuße des Palatiniſchen Berges, auf der Seite des Circus Maxi-
mus, abgenommen. Die beſten Stuͤcke unter denſelben ſind ein Satyr,
welcher aus einem Horne trinkt, zween Palme hoch, und eine kleine Land-
ſchaft mit Figuren, einen Palm groß, welche alle Landſchaften zu Portici
uͤbertrifft. Das achte Gemaͤlde bekam der Abt Franchini, damaliger
Großherzoglich Toſcaniſcher Miniſter in Rom; von demſelben erhielt es
der Cardinal Paßionei, und nach deſſen Tode der Herr Cardinal Alexan-
der Albani; es ſtellet ein Opfer von drey Figuren vor, und iſt in dem An-
hange der alten Gemaͤlde des Bartoli von Morghen geſtochen. In der
Mitten ſtehet auf einer Baſe eine kleine ungekleidete Maͤnnliche Figur,
welche mit dem erhobenen linken Arm einen Schild haͤlt, und in der rechten
einen kurzen Streitkolben mit vielen Spitzen umher beſetzet, von eben der
Art, wie vor Alters auch in Deutſchland in Gebrauch waren. Auf dem
Boden neben der Baſe ſtehet auf einer Seite ein kleiner Altar, und auf
der andern ein Gefaͤß, welche beyde rauchen. Auf beyden Steiten ſtehet
eine Weibliche bekleidete Figur mit einem Diadema, und die zur linken
Hand traͤgt eine Schuͤſſel mit Fruͤchten.
Die Stuͤcke kleiner Gemaͤlde, welche in der Villa Farneſe in den Truͤm-
mern des Pallaſtes der Kaiſer entdecket, und nach Parma gebracht wurden,
ſind durch den Moder vertilget. Es blieben dieſelben, wie die andern
Schaͤtze der Gallerie zu Parma, welche nach Neapel geſchafft wurden, an
zwanzig Jahre in ihren Kaſten in feuchten Gewoͤlbern ſtehen, und da man
ſie hervor zog, fand man nichts, als Stuͤcke Mauer, auf welchen die Ge-
maͤlde geweſen waren, und dieſe ſieht man auf dem unvollendeten Koͤnig-
lichen Schloſſe Capo di Monte zu Neapel. Unterdeſſen waren ſie ſehr
mittelmaͤßig, und der Verluſt iſt nicht ſehr groß. Eine gemalte Caryatide
mit dem Gebaͤlke, welches ſie traͤgt, die auch in beſagten Ruinen gefunden
Die Gemaͤlde in dem Grabmale des Ceſtius 2) ſind verſchwunden,
und die Feuchtigkeit hat dieſelben verzehret, und von denen in dem Ovidi-
ſchen Grabmale (welches auf der Via Flaminia anderthalb Meilen von
Rom entfernet war) iſt von verſchiedenen Stuͤcken nur der Oedipus, nebſt
dem Sphinx, uͤbrig 3), welches Stuͤck in der Wand eines Saals der Villa
Altieri eingeſetzet iſt. Bellori redet noch von zwey andern Stuͤcken in
dieſer Villa, welche itzo aber nicht mehr vorhanden ſind; der Vulcanus,
nebſt der Venus, auf der andern Seite jenes Gemaͤldes, iſt eine neue
Arbeit.
Im ſechzehenden Jahrhunderte waren noch Gemaͤlde in den Truͤm-
mern der Baͤder des Diocletianus zu ſehen 4). Ein Stuͤck eines alten
Gemaͤldes im Pallaſte Farneſe, welches Duͤ Bos angiebt 5), iſt in Rom
ganz und gar unbekannt.
Die groͤßten Herculaniſchen Gemaͤlde ſind auf der Mauer hohlerB.
Die Hercula-
niſchen Ge-
maͤlde.
Niſchen eines runden maͤßig großen Tempels, vermuthlich des Hercules,
geweſen, und dieſe ſind, Theſeus nach Erlegung des Minotaurs, die Ge-
burt des Telephus, Chiron und Achilles, und Pan und Olympus. The-
Es waͤre zu wuͤnſchen, daß vier Zeichnungen daſelbſt auf Marmor,
unter welchen eine mit dem Namen des Malers und der Figuren, welche ſie
vorſtellen, bezeichnet iſt, von der Hand eines großen Meiſters waͤren:
der Kuͤnſtler heißt Alexander, und war von Athen. Es ſcheinet, daß die
andern drey Stuͤcke ebenfalls von deſſen Hand ſeyn; ſeine Arbeit aber
giebt keinen großen Begriff von ihm: die Koͤpfe ſind gemein, und die Haͤn-
Das allerſchoͤnſte unter dieſen Gemaͤlden ſind die Taͤnzerinnen, Bac-
chanten, ſonderlich aber die Centauren, nicht voͤllig eine Spanne hoch,
auf ſchwarzem Grunde gemalet, in welchen man die Hand eines gelehrten
und zuverſichtlichen Kuͤnſtlers erkennet. Bey dem allen wuͤnſchte man
mehr ausgefuͤhrte Stuͤcke zu finden: denn jene ſind mit großer Fertigkeit,
wie mit einem Pinſelſtriche, hingeſetzet, und dieſer Wunſch wurde zu Ende
des Jahres 1761. erfuͤllet.
In einem Zimmer der alten verſchuͤtteten Stadt Stabia, etwa achtC.
Beſchreibung
der zu letzt ge-
fundenen Ge-
maͤlde daſelbſt.
Italieniſche Meilen von Portici, welches bey nahe ganz ausgeraͤumet war,
fuͤhleten die Arbeiter unten an der Mauer noch feſtes Erdreich, und da man
mit der Hacke hineinſchlug, entdeckten ſich vier Stuͤcke Mauerwerk, aber
zwey waren durch die Hiebe zerbrochen. Dieſes waren vier anderwerts
mit ſammt der Mauer ausgeſchnittene Gemaͤlde, welche ich genau beſchrei-
ben werde: ſie waren an der Mauer angelehnt, und zwey und zwey mit
der Ruͤckſeite an einander gelegt, ſo daß die gemalte Seite auswerts blieb.
Vermuthlich waren dieſelben aus Griechenland, oder aus Groß-Griechen-
land, geholet, und man wird im Begriffe geſtanden ſeyn, dieſelben an ihren
Ort zu ſetzen, und ſie in die Mauer einzufuͤgen. Dieſe vier Gemaͤlde ha-
ben ihre gemalte Einfaſſung mit Leiſten von verſchiedener Farbe. Der
aͤußere iſt weiß, der mittlere violet, und der dritte gruͤn, und dieſer Leiſten
iſt mit braunen Linien umzogen; alle drey Leiſten zuſammen ſind in der
Breite der Spitze des kleinen Fingers; an dieſen gehet ein fingerbreiter
Das erſte Gemaͤlde beſtehet aus vier Weiblichen Figuren: die vor-
nehmſte iſt mit dem Geſichte vorwerts gekehret, und ſitzet auf einem Seſſel;
mit der rechten Hand haͤlt ſie ihren Mantel, oder Peplon, welcher uͤber
das Hintertheil des Kopfs geworfen iſt, von dem Geſichte abwerts, und
dieſes Tuch iſt violet, mit einem Rande von Meergruͤner Farbe; der Rock
iſt Fleiſchfarbe. Die linke Hand haͤlt ſie auf die Achſel eines ſchoͤnen jungen
Maͤdgens gelehnet, welche neben ihr im weißen Gewande ſteht, und ſich
mit der rechten Hand das Kinn unterſtuͤtzet; ihr Geſicht ſtehet im Profil.
Die Fuͤße hat jene Figur auf einem Fußſchemmel, zum Zeichen ihrer Wuͤrde,
geſetzet. Neben ihr ſtehet eine ſchoͤne Weibliche Figur, mit dem Geſichte
vorwerts gekehret, die ſich die Haare aufſetzen laͤßt; die linke Hand hat ſie
in ihren Buſen geſteckt, und die rechte Hand herunter haͤngen, mit deren
Fingern ſie eine Bewegung macht, als wollte jemand einen Accord auf
dem Claviere greifen. Ihr Rock iſt weiß, mit engen Ermeln, welche bis
an die Knoͤchel der Hand reichen; ihr Mantel iſt violet, mit einem geſtick-
ten Saum, einen Daum breit. Die Figur, welche ihr den Haarputz macht,
ſtehet hoͤher, und iſt in Profil gekehret, doch ſo, daß man von dem Auge
des abgewandten Theils die Spitzen der Augenbrane ſieht, und an dem
andern Auge ſind die Haͤrchen der Augenbrane deutlicher, als an andern
Figuren, angezeiget. Ihre Aufmerkſamkeit lieſt man in ihrem Auge und
auf den Lippen, welche ſie zuſammen druͤcket. Neben ihr ſtehet ein kleiner
niedriger Tiſch mit drey Fuͤßen, fuͤnf Zolle hoch, ſo daß derſelbe bis an die
Mitte der Schenkel der naͤchſten Figur reichet, mit einem zierlich ausge-
pfalzten Tiſchblatte, auf welchem ein kleines Kaͤſtgen iſt, und uͤberher ge-
worfene Lorbeerzweige; neben bey liegt eine violette Binde, etwa um die
Haare der geputzten Figur zu legen. Unter dem Tiſchgen ſteht ein zierli-
ches hohes Gefaͤß, welches nahe bis an das Blatt reichet, mit zween Hen-
Das zweyte Gemaͤlde ſcheinet einen Tragiſchen Poeten vorzuſtellen, wel-
cher ſitzet, mit vorwerts gewandtem Geſichte, und in einem langen weißen
Rocke bis auf die Fuͤße, wie ihn die Perſonen des Trauerſpiels trugen 1),
mit engen Ermeln bis an die Knoͤchel der Hand. Es zeiget derſelbe ein
Alter etwa von funfzig Jahren, und iſt ohne Bart 2). Unter der Bruſt
liegt ihm eine gelbe Binde, von der Breite des kleinen Fingers, welches eine
Deutung auf die Tragiſche Muſe haben kann, die mehrentheils einen brei-
teren Guͤrtel, als andere Muſen, hat; wie im zweyten Stuͤcke dieſes Capi-
tels angezeiget worden. Mit der Rechten haͤlt er einen ſtehenden langen
Stab, in der Laͤnge eines Spießes, (haſta pura) woran oben ein Beſchlag,
eines Fingers breit, mit gelb angedeutet iſt, ſo wie ihn Homerus auf ſei-
ner Vergoͤtterung haͤlt 3). Mit der linken Hand hat er einen Degen ge-
faſſet, welcher ihm quer uͤber den Schenkeln liegt, die mit einem rothen Tu-
che, aber von colore cangiante, bedecket ſind, welches zugleich uͤber das
Geſaͤß des Stuhls herunter faͤllt; das Geheng des Degens iſt gruͤn. Der
— — — ἦν γὰρ ἰδέϑαι,
Οἷά τέ τον ϑυμέλῃσιν ἐν Ἀτϑἰσι ϑύρσα τινάσσων.
Das dritte Gemaͤlde beſtehet aus zwo nackten Maͤnnlichen Figuren
mit einem Pferde. Die eine ſitzet, und iſt vorwerts gekehret, jung und
voll Feuer und Kuͤhnheit im Geſichte, und voll Aufmerkſamkeit auf die Rede
der andern Figur; es ſcheinet Achilles zu ſeyn. Das Geſaͤß ſeines Stuhls
iſt mit blutrothem Tuche, oder mit Purpur, belegt, welches zugleich auf
den rechten Schenkel geworfen iſt, wo die rechte Hand ruhet: roth iſt auch
der Mantel, welcher ihm hinterwerts herunter haͤnget. Die rothe Farbe
Das vierte Gemaͤlde iſt von fuͤnf Figuren. Die erſte iſt eine ſitzende
Weibliche Figur, mit einer entbloͤßten Schulter, und mit Epheu und mit
Blumen gekroͤnet, und haͤlt in der rechten Hand eine aufgerollete Schrift.
Sie iſt violet gekleidet, und ihre Schuhe ſind gelb, wie an der Figur des
erſten Gemaͤldes, die ſich den Kopf putzen laͤßt. Gegen ihr uͤber ſitzet eine
junge Harfenſchlaͤgerinn, welche mit der linken Hand die Harfe ſchlaͤgt, die
fuͤnfthalb Zoll hoch iſt, und in der rechten Hand haͤlt ſie einen Stimm-
hammer, welcher oben zween Haaken hat, faſt in der Geſtalt eines Grie-
chiſchen Υ, nur daß die Haaken ſich kruͤmmen, wie man deutlicher an ei-
nem ſolchen Stimmhammer von Erzt in dieſem Muſeo ſieht, deſſen Haa-
Ich bin in Beſchreibung dieſer Gemaͤlde nach dem Grundſatze verfah-
ren, daß man ſchreiben ſollte, oder nicht, was wir wuͤnſchten, daß die Alten
geſchrieben, oder nicht geſchrieben haͤtten: denn wir wuͤrden es dem Pauſa-
nias Dank wiſſen, wenn er uns von vielen Werken beruͤhmter Maler eine
ſo umſtaͤndliche Beſchreibung, als von des Polygnotus Gemaͤlden zu Del-
phos, gegeben haͤtte.
In Rom ſelbſt iſt, nach gemeldeten Entdeckungen in der Villa Farneſe,
von alten Gemaͤlden nichts beſonders zum Vorſchein gekommen. Im
Fruͤhlinge 1760. da man in der Villa Albani, zu einem gewoͤlbten Abfluß
des Waſſers den Grund grub, fanden ſich in der Erde verſchiedene Stuͤcke
abgeriſſener oder abgefallener Bekleidung der Mauren, vermuthlich von
einem alten Grabmale, auf welchen theils Zierrathen, theils Figuren, auf
trockenem Kalke gemalet waren. Auf den zwo beſten Suͤcken iſt auf rothen
Grunde ein Amorino zu ſehen, mit einem fliegenden blaͤulichen Gewande,
welcher auf einem gruͤnen Meerthiere reitet. Auf dem andern Stuͤcke hat
ſich ein ſchoͤner Leib einer kleinen Weiblichen ſitzenden Figur, nebſt der rech-
ten Hand, erhalten, an welcher der ſogenannte Goldfinger einen Ring hat.
Ueber dieſen Arm und uͤber den Unterleib iſt ein roͤthliches Gewand gewor-
fen. Dieſe beyde Stuͤcke beſitzet der Verfaſſer.
Von den Gemaͤlden, welche in den Graͤbern bey Corneto, ohnweit
Civitavecchia, waren, finden ſich einige in Kupfer geſtochen angegeben 1);
itzo aber iſt von denſelben nichts mehr zu ſehen, außer einer Spur von einer
Weiblichen Figur in Lebensgroͤße, weche einen Kranz um den Kopf hat.
Einige hat die Luft verzehret, nachdem man ein Grab eroͤffnet, andere ſind
mit der Hacke abgehauen worden, in der Meynung, etwa hinter dem Ge-
maͤlde einen Schatz zu finden. In dieſer Gegend, die von den alten He-
truriern, welche Tarquinier hießen, bewohnet wurde, ſind viele tauſend
Huͤgel, welches eben ſo viel Graͤber ſind, in Stein, welcher ein Tufo iſt,
gehauen: der Eingang zu denſelben iſt verſchuͤttet, und es iſt nicht zu zwei-
feln, wenn jemand die Koſten auf Eroͤffnung einiger derſelben verwenden
wollte, daß man nicht allein Hetruriſche Inſchriften, ſondern auch Gemaͤl-
de auf den uͤbertragenen Mauern finden wuͤrde.
Nachdem man in langer Zeit keine alte voͤllig erhaltene Gemaͤlde in
und um Rom entdecket hatte, und wenig Hoffnung darzu uͤbrig ſchien,
kam im September des 1760. Jahres ein Gemaͤlde zum Vorſchein, des-
gleichen niemals noch bisher geſehen worden, und welches die Herculani-
ſchen Gemaͤlde, die damals bekannt waren, ſo gar verdunkelt. Es iſt ein
ſitzender Jupiter, mit Lorbeer gekroͤnet, (zu Elis hatte er einen Kranz von
Blumen 2) im Begriffe, den Ganymedes zu kuͤſſen, welcher ihm mit der rechten
Hand eine Schaale, mit erhobener Arbeit gezieret, vorhaͤlt, und in der linken
ein Gefaͤß, woraus er den Goͤttern Ambroſia reichete. Das Gemaͤlde iſt
acht Palme hoch, und ſechs breit, und beyde Figuren ſind in Lebensgroͤße,
Ganymedes in der Groͤße eines ſechzehenjaͤhrigen Alters. Dieſer iſt ganz
nackend, und Jupiter bis auf den Unterleib, welcher mit einem weißen Ge-
wande bedecket iſt; die Fuͤße haͤlt derſelbe auf einem Fußſchemmel. Der
Liebling des Jupiters iſt ohne Zweifel eine der allerſchoͤnſten Figuren, die
aus dem Alterthume uͤbrig ſind, und mit dem Geſichte deſſelben finde
Dieſes Gemaͤlde entdeckte ein Fremder, welcher ſich etwa vier Jahre
vorher wohnhaft zu Rom niedergelaſſen hatte, der Ritter Diel von Mar-
ſilly, aus der Normandie, ehemals Lieutenant von der Garde Grenadiers
des Koͤnigs in Frankreich. Er ließ daſſelbe von dem Orte, wo es ſtand,
heimlich von der Mauer abnehmen, und da das Geheimniß dieſer Entde-
ckung nicht erlaubete, die Mauer zu ſagen, und mit derſelben das Ge-
maͤlde ganz zu erhalten, ſo nahm er die oberſte Bekleidung der Mauer ſtuͤck-
weis ab, und brachte auf dieſe Art dieſen ſeltenen Schatz in viel Stuͤcken
nach Rom. Er bedienete ſich, aus Furcht verrathen zu werden, und alle
Anſpruͤche zu vermeiden, eines Maurers, welcher in ſeinem Hauſe arbei-
tete, von welchem er eine Lage von Gips in der Groͤße des Gemaͤldes ma-
chen ließ, und auf dieſem Grunde fuͤgte er ſelbſt die Stuͤcke aneinander.
Einige Zeit nachher ließ der Beſitzer dieſes Gemaͤldes zwey andere
insgeheim nach Rom kommen, ebenfalls in abgeloͤſeten Stuͤcken, deren
Zuſammenſetzung aber durch Kunſtverſtaͤndige beſorget wurde. Dieſe
zwey Stuͤcke ſind kleiner, und die Figuren zween Palme hoch. Das eine
ſtellet drey tanzende Weibliche Figuren, wie in Froͤlichkeit nach der Wein-
leſe, vor, welche ſich angefaſſet haben, und ein ſchoͤn geſtelletes Gruppo
machen: ſie heben alle dreye das rechte Bein auf, wie in einem abgemeſſe-
nen Tanze. Sie ſind nur im Unterkleide, welches ihnen bis auf die Knie
gehen wuͤrde, im Springen aber bleibt ein Theil des Schenkels entbloͤßt,
ſo wie es die Bruſt iſt, unter welcher das Unterkleid an zwo Figuren mit
einem Guͤrtel angelegt iſt. Das obere Gewand, oder Peplon, haben zwo
derſelben uͤber die Achſel geworfen, und es flieget an der einen Figur, in
geſchlaͤngelte Falten, nach Art Hetruriſcher Gewaͤnder, geworfen: die
dritte Figur iſt ohne dieſes Gewand. Eine Maͤnnliche Figur, mit be-
Das zweyte Gemaͤlde von gleicher Groͤße ſtellet die Fabel des Eri-
chthonius vor. Pallas, welche dieſes Kind heimlich erziehen wollte, gab
daſſelbe in einem Korbe verſchloſſen der Pandroſo, des Cecrops, Koͤnigs
von Athen, Tochter, in Verwahrung. Die zwo Schweſtern derſelben, wel-
che das anvertrauete Pfand zu ſehen, ſich nicht enthalten konnten, beweg-
ten jene, den Korb zu eroͤffnen, und ſie ſahen mit Erſtaunen ein Kind, wel-
ches an ſtatt der Beine Schlangenſchwaͤnze hatte. Die Goͤttinn beſtrafte
dieſe Neugier mit Raſerey an den Toͤchtern des Cecrops, welche ſich von
dem Felſen der Burg zu Athen ſtuͤrzeten; Erichthonius aber wurde in ih-
rem Tempel daſelbſt erzogen. So erzaͤhlet Apollodorus dieſe Fabel 1).
Der Tempel iſt auf der rechten Seite des Gemaͤldes durch ein einfaͤltiges
Portal angedeutet, und ſtehet auf einem Felſen 2): vor dem Tempel ſte-
het ein großer runder Korb, in Geſtalt einer Ciſta Myſtica, deſſen De-
ckel ein wenig eroͤffnet iſt, und aus demſelben kriechen wie zwo Schlangen
hervor, welches die Fuͤße des Erichthonius ſind. Pallas, mit ihrem
Spieße in der linken Hand, fuͤhret die rechte Hand zu dem Deckel des Kor-
Der Beſitzer derſelben ſtarb ſchleunig im Monate Auguſt 1761. ohne
jemanden von ſeinen Bekannten den Ort der Entdeckung eroͤffnet zu haben,
welcher noch itzo, da ich dieſes ſchreibe, (im April 1762.) unbekannt iſt,
aller Nachforſchung ohngeachtet, die man angewandt. Nach deſſen Tode
hat ſich in einer Quittung von dreytauſend fuͤnfhundert Scudi gefunden,
daß derſelbe aus eben dem Orte drey andere Gemaͤlde, unter welchen zwey
von Figuren in Lebensgroͤße waren, weggeholet: das eine ſtellete Apollo
mit ſeinem geliebten Hiacynthus vor. Weiter iſt nichts von denſelben be-
kannt geworden, und die Gemaͤlde ſind vermuthlich nach Engeland gegan-
gen, nebſt dem ſiebenten, wovon ich ebenfalls nur die Zeichnung geſehen,
welches vor viertauſend Scudi verkauft worden: es iſt daſſelbe zu Anfang
des zweyten Theils vorgeſtellet. Die vornehmſte Figur iſt Neptunus, in
Lebensgroͤße, wie die andern Figuren, nackend bis auf das Mittel: vor
demſelben ſtehet Juno mit Minen und Gebehrden einer bittenden Erzaͤh-
lung, mit einem kurzen Zepter in der Hand, in der Laͤnge, wie ihn die
Juno anderswo 1), und eine Herculaniſche Figur haͤlt 2). Neben derſel-
ben ſtehet Pallas, welche das Geſicht nach jener gewandt hat, und auf-
merkſam zuhoͤret. Hinter dem Stuhle des Neptunus ſtehet eine andere
junge Weibliche Figur, welche in ihrem Mantel eingewickelt iſt, und vol-
ler Betrachtung das Geſicht mit der rechten Hand geſtuͤtzet hat, welche
Was zum zweyten die Zeit betrifft, in welcher die ſo wohl in und um
Rom, als im Herculano gefundene Gemaͤlde gemacht worden, ſo iſt von
den mehreſten von jenen darzuthun, daß ſie von der Kaiſer Zeiten ſind,
und von andern giebt eben dieſes der Augenſchein: denn ſie ſind in den
verſchuͤtteten Kammern des Pallaſtes der Kaiſer, oder in den Baͤdern des
Titus, gefunden worden. Die Barberiniſche Roma iſt augenſcheinlich von
ſpaͤterer Zeit, und die im Ovidiſchen Grabmale waren, ſind, wie dieſes, von der
Zeit der Antoniner, welches die daſelbſt gefundenen Inſchriften darthun.
Die Herculaniſchen (die vier zuletzt gefundenen ausgenommen) ſind ver-
muthlich nicht aͤlter, als jene: denn erſtlich ſtellen die mehreſten derſelben
Landſchaften, Hafen, Luſthaͤuſer, Waͤlder, Fiſchereyen und Ausſichten
vor, und der erſte, welcher dieſe Art Malereyen anfieng, war ein gewiſſer
Ludio zu Auguſtus Zeiten. Die alten Griechen waren nicht fuͤr lebloſe
Vorſtellungen, welche nur das Auge beluſtigen, den Verſtand aber muͤßig
laſſen. Zum andern zeigen die daſelbſt angebrachten ganz ausſchweifenden
Gebaͤude, und deren ungruͤndliche und abentheuerliche Zierrathen, daß
es Arbeiten von Zeiten ſind, in welchen der wahre gute Geſchmack nicht
mehr regierete. Es beweiſen auch dieſes die daſelbſt gefundenen Inſchrif-
ten, unter welchen keine einzige vor der Kaiſer Zeit iſt. Von den aͤlte-
ſten will ich hier ein paar anfuͤhren:
DIVAE͘ AVGVsTAE͘
L͘ MAMMIVs͘ MAXIMVs͘ p͘ s͘
ANTONIAE͘ AVGVS;TAE͘ MATRI͘ CLAVDI͘
CAEsARIs͘ AVGVsTI͘ GERMANICI͘ PONTIF͘ MAX͘
L͘ MAMMIVs͘ MAXIMVs͘ p͘ s͘
Verſchiedene ſind von Veſpaſianus Zeit, wie dieſe:
IMP͘ CAESAR͘ VESPASIANVS͘ AVG͘ PONT͘ MAX͘
TRIB͘ POT͘ VIII͘ IMP͘ XVII͘ COS͘ VII͘ DESIGN͘ VIII͘
TEMPLVM͘ MATRIS͘ DEVM͘ TERRAE͘ MOTV͘ CONLAPSVM͘ RESTITVIT͘
Wie wir von Gemaͤlden dieſer Zeit urtheilen ſollen, lehret Plinius, wenn
er ſagt, daß damals die Malerey ſchon in letzten Zuͤgen lag.
Wenn hier die Frage iſt, ob die mehreſten alten Gemaͤlde von Grie-IV.
Ob ſie von
Griechiſchen
oder Roͤmi-
ſchen Meiſtern
ſeyn.
chiſchen, oder von Roͤmiſchen Malern gearbeitet worden, ſo waͤre ich ge-
neigt, das erſtere zu bejahen, weil der Griechiſchen Kuͤnſtler vorzuͤgliche
Achtung in Rom und unter den Kaiſern bekannt iſt; unter den Hercula-
niſchen Gemaͤlden zeiget dieſes die Griechiſche Unterſchrift der Muſen.
Es ſind aber unter den daſigen Gemaͤlden auch Stuͤcke eines Roͤmiſchen
Pinſels, wie die lateiniſche Schrift auf den gemalten Rollen Papier be-
weiſet, und waͤhrend meines erſten Aufenthalts daſelbſt, im Jahre 1759,
fand ſich eine ſchoͤne halbe Weibliche Figur im kleinen, neben welcher die
Buchſtaben DIDV noch zu leſen ſind: dieſe Figur iſt in ihrer Art ſo ſchoͤn,
Von dem dritten Puncte dieſer Betrachtung, nemlich von der Art
der alten Malerey, ſind verſchiedene beſondere Anmerkungen zu machen,
welche theils die Anlage zu Gemaͤlden, oder die Bekleidung und Uebertuͤn-
chung der Mauer, theils die Art und Weiſe der Malerey ſelbſt betreffen.
Die Bekleidung der Mauer zu Gemaͤlden iſt verſchieden nach den Orten,
ſonderlich in Abſicht der Puzzolana, und es unterſcheidet ſich diejenige,
welche in alten Gebaͤuden nahe um Rom und nahe um Neapel gefunden
wird, von der an alten Gebaͤuden, entfernt von beyden Orten. Denn weil
nur allein an beyden Orten dieſe Erde gegraben wird, ſo iſt die erſte und
unmittelbare Bekleidung der Mauern, von Kalk mit Puzzolana durchge-
ſchlagen, und daher graͤulich: an anderen Orten iſt dieſe Bekleidung von
geſtoßenem Travertino, oder Marmor, und es findet ſich auch dieſelbe an
ſtatt anderer Steine mit geſtoßenem Alabaſter vermiſchet, welches man an
der Durchſichtigkeit der kleinen Stuͤcke erkennet. Die Gemaͤlde in Grie-
chenland hatten alſo keine Anlage von Puzzolana, welche daſelbſt
nicht war.
Es iſt dieſe erſte Bekleidung der Mauer insgemein einen guten Finger
dick. Der zweyte Auftrag iſt Kalk, mit Sand oder mit fein geſtoßenem
Marmor vermiſcht und durchgeſchlagen, und dieſe Lage iſt beynahe das
Dritttheil ſo dick, als jene. Solche Bekleidung war gewoͤhnlich in ausge-
malten Grabmaͤlern, und auf dieſer Art Mauer ſtehen die Herculaniſchen
Die heutige Zurichtung des Auftrages zum Freſco-malen, oder auf
naſſen Gruͤnden, iſt etwas verſchieden von der Art der Alten; es wird
derſelbe von Kalk und von Puzzolana gemacht: denn der Kalk mit fein ge-
ſtoßenem Marmor durch einander geſchlagen, wird zu ſchnelle trocken, und
wuͤrde die Farben augenblicklich in ſich ziehen. Die Flaͤche wird auch nicht,
wie bey den Alten, geglaͤttet, ſondern rauchlich gelaſſen, und wird mit einem
Borſtpinſel wie gekoͤrnet, um die Farben beſſer anzunehmen: denn auf
einem ganz glatten Grunde wuͤrden dieſelben, wie man glaubet, ausfließen.
Zum zweyten iſt die Art und Weiſe der Malerey ſelbſt, die Anlage
und Ausfuͤhrung derſelben auf naſſen Gruͤnden, welches udo tectorio
pingere hieß, und die Malerey auf trockenen Gruͤnden zu beruͤhren: denn
von der alten Art auf Holz zu malen, iſt uns nichts beſonders bekannt,
außer daß die Alten auf weiße Gruͤnde maleten 1); vielleicht aus eben dem
Grunde, warum zum Purpurfaͤrben, wie Plato ſagt, die weißeſte Wolle
geſucht wurde 2).
Die alten Kuͤnſtler werden ohngefaͤhr wie die Neueren, in Anlagen
der Gemaͤlde auf naſſen Gruͤnden, verfahren ſeyn. Itzo, nachdem der
Carton in groß gezeichnet iſt, und ſo viel feuchter Grund, als in einem Ta-
ge kann ausgefuͤhret werden, angeleget worden, wird der Umriß der Figu-
ren, und der vornehmſten Theile derſelben, auf dem Carton mit einer Nadel
durchloͤchert. Dieſes Stuͤck der Zeichnung wird an den aufgetragenen
Grund gehalten, und man ſtaͤubet fein geſtoßene Kohlen durch die geſto-
chenen Loͤcher, wodurch die Umriſſe auf dem Grunde angedeutet werden.
Dieſes nennet man im Deutſchen durchbaußen; und eben ſo verfuhr auch
Raphael, wie ich an einem mit ſchwarzer Kreide gezeichneten Kinderkopfe
deſſelben, in der Sammlung der Zeichnungen des Herrn Cardinals Alexander
Albani, ſehe. Dieſen angeſtaͤubten Umriſſen faͤhrt man mit einem ſpitzigen
Stifte nach, und es werden dieſelben in dem feuchten Grunde eingedrucket;
und dieſe eingedruckten Umriſſe zeigen ſich deutlich auf den Werken des Mi-
chael Angelo und des Raphaels. In dieſem letzten Puncte aber ſind die al-
ten Kuͤnſtler von den Neuern verſchieden: denn auf alten Gemaͤlden findet
ſich der Umriß nicht eingedruckt, ſondern die Figuren ſind, wie auf Holz, oder
auf Leinewand, mit großer Fertigkeit und Zuverſicht gemalet.
Die Malerey auf naſſen Gruͤnden muß bey den Alten weniger ge-
mein, als auf trockenen Gruͤnden geweſen ſeyn: denn die mehreſten Hercu-
laniſchen Gemaͤlde ſind von dieſer letzten Art. Man erkennet dieſelben an
den verſchiedenen Lagen von Farben: denn an einigen iſt z. E. der Grund
ſchwarz; auf dieſem Grunde iſt ein Feld von verſchiedener Form, oder auch
ein langer Streif, mit Cinnober aufgetragen, und auf dieſem zweyten Grun-
Einige glauben ein Kennzeichen der trockenen Malerey in den erhobe-
nen Pinſelſtrichen zu finden; aber ohne Grund: denn auf den Gemaͤlden
des Raphaels, welche auf naſſen Gruͤnden ſind, bemerket man eben dieſes.
Die erhobenen Pinſelſtriche ſind hier Zeichen, daß dieſer Kuͤnſtler ſeine Werke
zuletzt trocken hier und da uͤbermalet hat, welches auch von den nachfolgen-
den Malern in eben dieſer Art geſchehen. Die Farben der alten Gemaͤlde auf
trockenen Gruͤnden muͤſſen mit einem beſondern Leimwaſſer aufgetragen ſeyn:
denn ſie haben ſich in ſo vielen hundert Jahren zum Theil friſch erhalten, und
man kann ohne Nachtheil mit einem feuchten Schwamme oder Tuche uͤber die-
ſelben hinfahren. Man hat in den durch den Veſuvius verſchuͤtteten Staͤd-
ten Gemaͤlde gefunden, welche mit einer zaͤhen und harten Rinde, von Aſche
und Feuchtigkeit angeſetzt, uͤberzogen waren, und welche man nicht ohne
große Muͤhe durch Feuer abloͤſen konnte; aber auch durch dieſen Zufall ha-
ben ſolche alte Gemaͤlde nichts gelitten. Diejenigen, welche auf naſſen
Gruͤnden ſind, koͤnnen das Scheidewaſſer ausſtehen, womit man den An-
ſatz der ſteinigten Unreinigkeit abloͤſet, und die Gemaͤlde reiniget.
Was die Ausfuͤhrung betrifft, ſo ſind die mehreſten alten Gemaͤlde
geſchwinde, und wie die erſten Gedanken einer Zeichnung, entworfen; und
ſo leicht und fluͤchtig ſind die Taͤnzerinnen, und andere Herculaniſche Figu-
An den Herculaniſchen Gemaͤlden iſt zu beklagen, daß dieſelben mit
einem Firniſſe uͤberzogen worden, welcher nach und nach die Farben ab-
blaͤttert und abſpringen macht; ich habe innerhalb zween Monaten Stuͤcke
von dem Achilles abfallen ſehen.
Zuletzt iſt mit ein paar Worten von dem Gebrauche bey den Alten
zu reden, die Gemaͤlde vor dem Nachtheile, welchen ſie von der Luft oder
der Feuchtigkeit leiden koͤnnten, zu verwahren. Dieſes geſchah mit
Ich habe dem Liebhaber ſo wohl, als dem Kuͤnſtler, das Vergnuͤgen
nicht nehmen wollen, uͤber die in den fuͤnf Stuͤcken dieſes Capitels ent-
haltene Lehren und Anmerkungen eigene Betrachtungen zu machen, und
hinzuzuthun; und es wird aus jenen in Schriften der Gelehrten, die ſich
in dieſes Feld gewaget haben, etwas zu verbeſſern uͤbrig ſeyn. Beyde
aber, wenn ſie unter Anfuͤhrung dieſer Geſchichte die Werke Griechiſcher
Kunſt zu betrachten, Gelegenheit und Zeit haben, ſetzen bey ſich feſt,
daß nichts in der Kunſt klein ſey, und was leicht zu bemerken geweſen
ſcheinen wird, iſt es mehrentheils nur wie des Columbus Ey. Es kann
auch alles, was ich angemerket habe, ob gleich mit dem Buche in der
Hand, in einem Monate (die gewoͤhnliche Zeit des Aufenthalts der
deutſchen Reiſenden in Rom) nicht durchgeſehen und gefunden werden.
Nach der Abhandlung von der Griechiſchen Kunſt waͤre nach der ge-Erſtes Stuͤck.
Unterſuchung
des Roͤmiſchen
Stils in der
Kunſt.
meinen Meynung der Stil der Roͤmiſchen Kuͤnſtler, und hier
insbeſondere ihrer Bildhauer zu unterſuchen: denn unſere Antiquarii und
C. LOLLIVS͘ ALCAMENES͘
DEC͘ ET͘ DVVMVIR͘
Von der zwoten Art bringet Boiſſard ein Statue mit der Inſchrift 1):B.
Mit dem
Namen der
Kuͤnſtler ſelbſt.
TITIVS͘ FECIT͘ Auf einer Statue des Aeſculapius, im Pallaſte
Veroſpi, ſtehet der Name des Kuͤnſtlers 2), ASSALECTVS͘ Geſchnit-
tene Steine mit Namen ihrer Roͤmiſchen Kuͤnſtler, eines Aepolianus, Ca-
jus, Cnejus u. ſ. f. will ich nicht anfuͤhren.
Dieſe Denkmale aber ſind hinlaͤnglich zu einem Syſtema der Kunſt,II.
Von der Nach-
ahmung He-
truriſcher und
Griechiſcher
Kuͤnſtler.
und zur Beſtimmung eines beſondern von dem Hetruriſchen und Griechiſchen
verſchiedenen Stils: es werden ſich auch die Roͤmiſchen Kuͤnſtler keinen eige-
nen Stil gebildet haben, ſondern in den alleraͤlteſten Zeiten ahmeten ſie ver-
muthlich die Hetrurier nach, von welchen ſie viele, ſonderlich heilige Ge-
braͤuche, annahmen, und in ihren ſpaͤteren und bluͤhenden Zeiten werden
ihre wenigen Kuͤnſtler Schuͤler der Griechiſchen geweſen ſeyn.
Von der Nachahmung der Hetruriſchen Kunſt in Werken RoͤmiſcherInsbeſondere
in Abſicht der
Erſtern aus
einer Vaſe von
Erzt gezeiget.
Kuͤnſtler in der Zeit der Republik, giebt ein Walzenfoͤrmiges Gefaͤß von
Metall, in der Gallerie des Collegii S. Ignatii zu Rom, einen deutlichen
und unwiderſprechlichen Beweis. Denn erſtlich ſtehet auf dem Deckel der
Name des Kuͤnſtlers ſelbſt, und die Anzeige, daß er dieſes Werk zu Rom
gemacht habe; ferner offenbaret ſich der Hetruriſche Stil nicht allein in der
Zeichnung vieler Figuren, ſondern auch in den Begriffen derſelben. Es
iſt dieſes Gefaͤß, deſſen Form am Schluſſe dieſes Capitels vorſteſtellet iſt,
ohngefaͤhr zween Palme hoch, und haͤlt etwa anderthalb Palme im Durch-
meſſer: auf der Binde unter dem obern Rande, und auch unten, hat daſſelbe
Zierrathen; auf dem mittelſten Raume deſſelben aber iſt rund herum, in
[Abbildung]
Auf der andern Seite der Name des Kuͤnſtlers:
[Abbildung]
Die drey Fuͤße, auf welchen das Gefaͤß ruhet, haben ein jeder ihre beſon-
dere Vorſtellung in Metall gegoſſen, und auf dem einen ſtehet Hercules
mit der Tugend und der Wolluſt, welche aber nicht Weiblich, wie bey den
Griechen, ſondern hier Maͤnnlich perſoͤnlich gemacht ſind.
Das Vorurtheil von einem den Roͤmiſchen Kuͤnſtlern eigenen undIII.
Irrige Mey-
nung von ei-
nem beſondern
Stile in der
Kunſt.
von dem Griechiſchen verſchiedenen Stil, iſt aus zwo Urſachen entſtanden.
Die eine iſt die unrichtige Erklaͤrung der vorgeſtelleten Bilder, da man in
denen, welche aus der Griechiſchen Fabel genommen ſind, Roͤmiſche Ge-A.
Aus falſchen
Erklaͤrungen.
ſchichte, und folglich einen Roͤmiſchen Kuͤnſtler finden wollen. Ein ſol-
cher Schluß iſt derjenige, welchen ein ſeichter Scribent aus der erzwunge-
nen Erklaͤrung eines herrlichen Griechiſchen Steins in dem Stoßiſchen Mu-
ſeo macht 1). Es ſtellet dieſer Stein die Tochter des Priamus Polyxena
vor 2), welche Pyrrhus auf dem Grabe ſeines Vaters Achilles aufopferte;
jener aber findet gar keine Schwierigkeit, die Nothzuͤchtigung der Lucretia
hier zu ſehen. Ein Beweis ſeiner Erklaͤrung ſoll der Roͤmiſche Stil der
Arbeit dieſes Steins ſeyn, welcher, ſagt er, ſich deutlich hier zeiget, nach
einer umgekehrten Art zu denken, wo aus einem irrigen Schluſſe ein fal-
ſcher Vorderſatz gezogen wird. Es wuͤrde derſelbe eben den Schluß ge-
macht haben, aus dem ſchoͤnen Gruppo des vermeynten jungen Papi-
rius, wenn der Name des Griechiſchen Kuͤnſtlers nicht da waͤre. DieB.
Aus uͤbel ver-
ſtandener Ehr-
furcht gegen
die Griechi-
ſchen Werke.
zwote Urſache liegt in einer unzeitigen Ehrfurcht gegen die Werke Griechi-
ſcher Kuͤnſtler: denn da ſich viele mittelmaͤßige Werke finden, entſieht
man ſich, dieſelben jenen beyzulegen, und es ſcheinet billiger, den Roͤmern,
als den Griechen, einen Tadel anzuhaͤngen. Man begreift daher alles, was
ſchlecht ſcheinet, unter dem Namen Roͤmiſcher Arbeiten, aber ohne das ge-
ringſte Kennzeichen davon anzugeben. Aus ſolchen ungegruͤndeten undC.
Widerlegung
der irrigen
Meynung.
willkuͤhrlich angenommenen Meynungen glaube ich berechtigt zu ſeyn, den
Begriff eines Roͤmiſchen Stils in der Kunſt, in ſo weit unſere itzigen Kennt-
niſſe gehen, fuͤr eine Einbildung zu halten. Ich will indeſſen, um nichts
zu uͤbergehen, zum erſten die Umſtaͤnde anzeigen, worinn ſich die Kunſt
zur Zeit der Roͤmiſchen Republik befunden hat; und da ich hier von der vor-
Was den erſten Punct betrifft, ſo iſt wahrſcheinlich, daß ſich unter
den Koͤnigen wenige oder gar keine Roͤmer auf die Zeichnung, und insbe-
A.
Unter den
Koͤnigen.ſondere auf die Bildhauerey, geleget haben, weil nach den Geſetzen des
Numa, wie Plutarchus lehret 1), die Gottheit nicht in Menſchlicher Ge-
ſtalt durfte gebildet werden, ſo daß nach hundert und ſechzig Jahren, nach
den Zeiten dieſes Koͤnigs, oder in den erſten hundert und ſiebenzig Jahren,
wie Varro berichtet 2), weder Statuen noch Bilder der Goͤtter in den
Tempeln zu Rom geweſen. Ich ſage und verſtehe in den Tempeln, welches
alſo auf eine Gottesdienſtliche Verehrung derſelben muͤßte gedeutet werden:
denn es waren Statuen der Goͤtter in Rom, welche ich ſo gleich anfuͤhren
werde; es werden alſo dieſelben nicht in den Tempeln geſetzt geweſen ſeyn.
Zu andern oͤffentlichen Werken bedienete man ſich Hetruriſcher Kuͤnſt-
ler, welche in den aͤlteſten Zeiten in Rom waren, was nachher die Grie-
chiſchen Kuͤnſtler wurden, und von jenen wird die im erſten Capitel ange-
fuͤhrte Statue des Romulus gearbeitet ſeyn. Ob die Woͤlfinn von Erzt,
welche den Romulus und Remus ſaͤuget, im Campidoglio, diejenige iſt,
von welcher Dionyſius, als von einem ſehr alten Werke, redet 3), oder die-
jenige, welche nach dem Cicero vom Blitze beſchaͤdiget wurde 4), wiſſen
wir nicht; wenigſtens ſieht man einen ſtarken Riß in dem Hinterſchenkel
des Thiers, und vielleicht iſt dieſes die Beſchaͤdigung vom Blitze.
Tarquinius Priſcus 5), oder, wie andere wollen, Superbus 6), ließ
einen Kuͤnſtler von Fregellaͤ aus dem Lande der Volſker, oder, nach dem
Plutarchus, Hetruriſche Kuͤnſtler von Vejaͤ kommen, die Statue des
In der Einfalt der Sitten der erſten Zeiten der Republik, und in ei-B.
In den erſten
Zeiten der
Republik.
nem Staate, welcher auf den Krieg beſtand, wird wenig Gelegenheit ge-
weſen ſeyn, die Kunſt zu uͤben. Die hoͤchſte Ehre, die jemanden wieder-
fahren konnte, war eine Saͤule, die ihm aufgeſetzet wurde 3), und da man
anfieng, große Verdienſte mit Statuen zu belohnen, wurde die Maaß der-
ſelben auf drey Fuß geſetzet 4); eine eingeſchraͤnkte Maaß fuͤr die Kunſt.
Die Statue des Horatius Cocles, welche ihm in dem Tempel des Vulca-
nus aufgerichtet wurde 5), die Statue der Cloͤlia zu Pferde 6), welche
noch zu den Zeiten des Seneca ſtand 7), beyde von Erzt, und viele ande-
re in den erſten Zeiten zu Rom gemacht, muͤßte man ſich alſo in dieſer
Maaße vorſtellen. Aus Erzt wurden auch andere oͤffentliche Denkmale
daſelbſt gemacht; und neue Verordnungen wurden auf Saͤulen von Erzt
eingegraben, wie diejenige war, wodurch das Volk zu Rom Erlaubniß
bekam, auf dem Aventino anzubauen 8), zu Anfang des vierten Jahrhun-
derts der Stadt Rom; und bald hernach die Saͤulen, in welchen die neuen
Geſetze der Decemvirs aufgeſtellet wurden 9).
Die mehreſten Statuen der Gottheiten werden der Groͤße und Be-
ſchaffenheit ihrer Tempel in den erſtern Zeiten der Republik gemaͤß geweſen
Gedachte Statuen werden vermuthlich von Hetruriſchen Kuͤnſtlern
gearbeitet ſeyn: von dem großen Apollo von Erzt, welcher nachher in der
Bibliothek des Tempels Auguſti ſtand, verſichert es Plinius 3). Spurius
Carvilius, welcher die Samniter ſchlug, ließ dieſe Statue aus jener ihren
Harniſchen, Beinruͤſtungen und Helmen, durch einen Hetruriſchen Kuͤnſtler,
gießen, im 461. Jahre der Stadt Rom, das iſt, in der 121. Olympias.
Dieſe Statue war ſo groß, ſagt man, daß ſie von dem Albaniſchen Berge,
itzo Monte Cavo genannt, konnte geſehen werden. Die erſte Statue der
Ceres 4) in Erzt, ließ Spurius Caſſius machen, welcher im 252. Jahre
Conſul war. Im 417. Jahre wurden den Conſuls L. Furio Camillo und
C. Moenio, nach dem Triumphe uͤber die Lateiner, als etwas ganz ſeltenes,
Statuen zu Pferde geſetzt 5); es wird aber nicht gemeldet, woraus ſie
gemacht geweſen. Eben ſo bedieneten ſich die Roͤmer Hetruriſcher Maler,
von welchen unter andern ein Tempel der Ceres 6) ausgemalet war, wel-
che Gemaͤlde man, da der Tempel anfieng baufaͤllig zu werden, mit der
Mauer, auf welcher ſie gemalet waren, wegnahm, und anderwerts hin
verſetzte.
Der Marmor wurde ſpaͤt in Rom verarbeitet, welches auch die be-
kannte Inſchrift 7) des L. Scipio Barbatus 8), des wuͤrdigſten Mannes
ſeiner Zeit, beweiſet; es iſt dieſelbe in dem ſchlechteſten Steine, Peperino
Bis an das Jahr 454. der Stadt Rom, das iſt, bis zu der 120.
Olympias, hatten die Statuen in Rom, wie die Buͤrger, lange Haare,
und lange Baͤrte 2), weil nur allererſt in gedachtem Jahre Barbierer aus
Sicilien nach Rom kamen 3); und Livius berichtet 4), daß der Conſul M. Li-
vius, welcher aus Verdruß ſich von der Stadt entfernet, und den Bart wach-
ſen laſſen, ſich denſelben abgenommen, da er von dem Rathe bewegt wurde,
wiederum zu erſcheinen. Der aͤltere Scipio Africanus trug lange Haare 5),
da Maſiniſſa die erſte Unterredung mit demſelben hielt: deſſen Koͤpfe aber
in Marmor und Baſalt ſind alle ganz kahl geſchoren vorgeſtellet, nemlich in
ſpaͤtern Maͤnnlichen Jahren.
Die Malerey wurde in dem zweyten Puniſchen Kriege auch von denC.
Bis zu der
CXX. Olym-
pias.
edlen Roͤmern geuͤbt, und Q. Fabius, welcher nach der ungluͤckl. Schlacht
bey Cannaͤ an das Orakel zu Delphos geſchickt wurde, bekam von der Kunſt
den Namen Pictor 6). Ein paar Jahre nach gedachter Schlacht, ließ
Tiberius Gracchus die Luſtbarkeit ſeines Heers zu Benevent, nach dem
Siege uͤber den Hanno bey Luceria, in dem Tempel der Freyheit zu Rom
malen 7). Die Soldaten wurden von den Beneventanern auf den Gaſſen der
Stadt bewirthet, und da der mehreſte Theil bewafnete Knechte waren, de-
nen Gracchus, in Anſehung der einige Jahre geleiſteten Kriegsdienſte, vor die-
ſer Schlacht, mit Genehmhaltung des Senats, die Freyheit verſprochen
hatte, ſo ſpeiſeten dieſe mit Huͤthen und mit weißen wollenen Binden um
den Kopf, zum Zeichen der Freylaſſung. Unter dieſen aber hatten viele
nicht voͤllig ihr Gebuͤhr bewieſen, welchen zur Strafe auferlegt wurde, daß
ſie waͤhrend den Krieg nicht anders, als ſtehend, eſſen und trinken ſollten;
In dieſem zweyten Puniſchen Kriege, in welchem die Roͤmer alle
Segel ihrer Kraͤfte aufſpanneten, und, ohnerachtet vieler gaͤnzlich niederge-
hauenen Heere, ſo daß in Rom nur 137000. Buͤrger uͤbrig waren 1), den-
noch in den letzten Jahren dieſes Krieges mit drey und zwanzig Legionen 2),
welches wunderbar ſcheinen muß, ins Feld erſchienen; in dieſem Kriege,
ſage ich, nahm der Roͤmiſche Staat, ſo wie der Athenienſiſche in dem Krie-
ge mit den Perſern, eine andere Geſtalt an: ſie machten Bekanntſchaft
und Buͤndniſſe mit den Griechen, und erweckten in ſich die Liebe zu ihrer
Kunſt. Die erſten Werke derſelben brachte Claudius Marcellus nach der
Eroberung von Syracus nach Rom, und ließ das Capitolium, und den
von ihm eingeweiheten Tempel an der Porta Capena, mit dieſen Statuen
und Kunſtwerken auszieren 3). Die Stadt Capua betraf, nach deren Erobe-
rung durch den Q. Fulvius Flaccus, eben dieſes Schickſaal 4); es wurden
alle Statuen nach Rom gefuͤhret.
In ſo großer Menge erbeuteter Statuen, wurden dennoch neue Sta-
tuen zu Rom gearbeitet; wie um eben dieſe Zeit von den Zunftmeiſtern
des Volks Strafgelder angewendet wurden, Statuen von Erzt in den
Tempel der Ceres zu ſetzen 5). Im ſiebenzehenden und letzten Jahre dieſes
Krieges ließen die Aediles drey andere Statuen von Strafgeldern im
Capitolio ſetzen 6), und eben ſo viel Statuen von Erzt, der Ceres, des
Liber Pater, und der Liberaͤ, wurden nicht lange hernach gleichfalls aus
Strafgeldern gemacht 7). L. Stertinius ließ damals aus der Beute, die in
Spanien gemacht worden, zween Bogen auf dem Ochſenmarkte aufrich-
ten, und mit vergoldeten Statuen beſetzen 8). Livius merket an, daß
damals die oͤffentlichen Gebaͤude, welche Baſilicaͤ hießen, noch nicht in
Rom waren 9).
In oͤffentlichen Proceßionen wurden noch Statuen von Holz umher
getragen, wie ein paar Jahre nach Eroberung der Stadt Syracus 1), und
im zwoͤlften Jahre dieſes Krieges geſchah. Da der Blitz in den Tempel der
Juno Regina auf dem Aventino geſchlagen hatte, wurde zu Abwendung
uͤbler Vorbedeutung verordnet, zwo Statuen dieſer Goͤttinn von Cypreſ-
ſen-Holze, aus dieſem ihren Tempel umher zu tragen, begleitet von ſieben
und zwanzig Jungfrauen in langen Kleidern, welche einen Geſang auf die
Goͤttinn anſtimmeten.
Nachdem der aͤltere Scipio Africanus die Carthaginenſer aus ganz
Spanien vertrieben hatte, und da er im Begriffe ſtand, dieſelben in Africa
ſelbſt anzugreifen, ſchickten die Roͤmer an das Orakel zu Delphos Figuren
der Goͤtter, welche aus tauſend Pfund erbeuteten Silber gearbeitet wa-
ren, und zugleich eine Crone von zweyhundert Pfund Gold 2).
Nach geendigtem Kriege der Roͤmer wider den Koͤnig Philippus in
Macedonien, den Vater des letzten Koͤnigs Perſeus, brachte L. Quinctius
von neuem eine große Menge Statuen von Erzt und Marmor, nebſt
vielen kuͤnſtlich gearbeiteten Gefaͤßen, aus Griechenland nach Rom, und
fuͤhrete dieſelben in ſeinem dreytaͤgigen Triumphe (welches in der 145.
Olympias geſchah) zur Schau 3). Unter der Beute waren auch zehen
Schilder von Silber, und einer von Golde, und hundert und vierzehen
goldene Kronen, welche letztere, Geſchenke der Griechiſchen Staͤdte waren.
Bald nachher, und ein Jahr vor dem Kriege mit dem Koͤnige Antiochus
dem Großen, wurde oben auf dem Tempel des Jupiters im Capitolio eine
vergoldete Quadriga geſetzet, nebſt zwoͤlf vergoldeten Schildern an
dem Gipfel 4). Und da Scipio Africanus als Legat ſeines Bruders wider
gedachten Koͤnig zu Felde gieng, bauete er vorher einen Bogen am
Aufgange zum Capitolio, und beſetzte denſelben mit ſieben vergoldeten
Statuen, und mit zween Pferden; vor dem Bogen ſetzte er zwo große
Waſſerſchaalen von Marmor 5).
Bis an die hundert und ſieben und vierzigſte Olympias, und bis
zum Siege des Lucius Scipio, des Bruders des aͤltern Scipio Africanus,
uͤber Antiochus den Großen, waren die Statuen der Gottheiten in den
Tempeln zu Rom mehrentheils nur von Holz, oder von Thon 1), und es
waren wenige oͤffentliche praͤchtige Gebaͤude in Rom 2). Dieſer Sieg aber,
welcher die Roͤmer zu Herren von Aſien bis an das Gebuͤrge Taurus
machte, und Rom mit einer unbeſchreiblichen Beute Aſiatiſcher Pracht erfuͤlle-
te, erhob auch die Pracht in Rom, und die Aſiatiſchen Wolluͤſte wurden
daſelbſt bekannt und eingefuͤhret 3); um eben die Zeit kamen die Baccha-
nalia von den Griechen unter die Roͤmer 4). L. Scipio fuͤhrete unter an-
dern Schaͤtzen in ſeinem Triumphe auf, von ſilbernen getriebenen und ge-
ſchnitzten Gefaͤßen tauſend vierhundert und vier und zwanzig Pfund 5);
von goldenen Gefaͤßen, die eben ſo ausgearbeitet waren, tauſend und vier
und zwanzig Pfund.
Nachdem hierauf die Griechiſchen Goͤtter unter Griechiſchen Namen
von den Roͤmern angenommen 6), und unter ihnen eingefuͤhret worden,
denen man Griechiſche Prieſter ſetzte, ſo gab auch dieſes Gelegenheit, die
Statuen derſelben entweder in Griechenland zu beſtellen, oder in Rom
von Griechiſchen Meiſtern arbeiten zu laſſen, und die erhobenen Arbeiten
von gebrannter Erde an den alten Tempeln wurden laͤcherlich, wie der
aͤltere Cato in einer Rede ſagt 7). Um eben die Zeit war die Statue des
L. Quinctius, welcher in der vorhergehenden Olympias nach dem Mace-
doniſchen Kriege ſeinen Triumph hielt, mit einer Griechiſchen Inſchrift
in Rom geſetzet 8), und alſo vermuthlich von einem Griechiſchen
Kuͤnſtler verfertiget: ſo wie die Griechiſche Inſchrift auf der Baſe
einer Statue, welche Auguſtus dem Caͤſar ſetzen ließ, eben dieſes zu ver-
muthen veranlaſſet.
Nach geſchloſſenem Frieden mit dem Antiochus ergriffen die Aetolier,F.
Nach Erobe-
rung von Ma-
cedonien.
welche mit jenem verbunden geweſen waren, von neuem die Waffen wider
die Macedonier, welches folglich auch die Roͤmer, als damalige Freunde
derſelben, betraf. Es kam zu einer harten Belagerung der Stadt Ambracia,
die ſich endlich uͤbergab. Hier war ehemals der Koͤnigliche Sitz des Pyr-
rhus geweſen, und es war die Stadt angefuͤllet mit Statuen von Erzt
und Marmor, und mit Gemaͤlden, welche ſie alle den Roͤmern uͤberliefern
mußten, von denen ſie nach Rom geſchickt wurden 1); ſo daß ſich die Buͤr-
ger dieſer Stadt zu Rom beklagten, ſie haͤtten keine einzige Gottheit,
welche ſie verehren koͤnnten. M. Fulvius fuͤhrete in ſeinem Triumphe uͤber
die Aetolier zwohundert und achtzig Statuen von Erzt, und zwohundert
und dreyßig Statuen von Marmor in Rom ein 2). Zum Bau und zur
Auszierung der Spiele, welche eben dieſer Conſul gab, kamen Kuͤnſtler
aus Griechenland nach Rom 3), und damals erſchienen zuerſt nach Grie-
chiſchem Gebrauche, Ringer in den Spielen. Dieſer M. Fulvius, da er
mit dem M. Aemilius Cenſor war, im Jahre der Stadt Rom 573, fieng
an die Stadt mit praͤchtigen oͤffentlichen Gebaͤuden auszuzieren 4). Der
Marmor aber muß noch zur Zeit nicht haͤufig in Rom geweſen ſeyn, da
die Roͤmer noch nicht ruhige Herren waren von der Gegend der Ligurier,
wo Luna, itzo Carrara, lag, woher ehemals, ſo wie itzo, der weiße
Marmor geholet wurde. Dieſes erhellet auch daraus, daß gedachter
Cenſor M. Fulvius die Ziegel von Marmor 5), womit der beruͤhmte
Tempel der Juno Lacinia bey Croton, in Groß-Griechenland, gedecket
war, abdecken, und nach Rom fuͤhren ließ, zum Dache eines Tempels,
welchen er ſelbſt, vermoͤge eines Geluͤbdes, zu bauen hatte. Deſſen Col-
lege, der Cenſor M. Aemilius, ließ einen Marktplatz pflaſtern, und, wel-
ches fremde ſcheinet, mit Pfahlwerk umzaͤunen 6).
Wenige Jahre hernach, und im 564. Jahre der Stadt Rom, wur-
de von dem aͤltern Scipio Africanus, in dem Tempel des Hercules, deſſen
Saͤule geſetzet 1), und zwo vergoldete Bigaͤ auf dem Capitolio; zwo
vergoldete Statuen ſetzte der Aedilis Q. Fulvius Flaccus dahin. Der
Sohn desjenigen Glabrio, welcher den Koͤnig Antiochus bey den Ther-
mopylen geſchlagen hatte, ſetzte dieſem ſeinen Vater die erſte vergoldete
Statue, und, wie Livius ſagt, in Italien 2); man wird es von Statuen
beruͤhmter Maͤnner zu verſtehen haben. In dem Macedoniſchen Kriege
wider den letzten Koͤnig Perſeus beklagten ſich die Abgeordneten der
Stadt Chalcis, daß der Praͤtor C. Lucretius, an welchen ſie ſich erge-
ben hatten, alle Tempel auspluͤndern, und die Statuen und uͤbrigen
Schaͤtze nach Antium abfuͤhren laſſen 3). Nach dem Siege uͤber den
Koͤnig Perſeus, kam Paullus Aemilius nach Delphos, wo an den Baſen ge-
arbeitet wurde, auf welche gedachter Koͤnig ſeine Statuen wollte ſetzen
laſſen, welche der Sieger fuͤr ſeine eigene Statue beſtimmte 4).
Dieſes ſind die Nachrichten, welche die Kunſt unter den Roͤmern zur
Zeit der Republik betreffen; diejenigen Nachrichten, von der Zeit an,
wo ich hier aufhoͤre, bis zum Falle der Roͤmiſchen Freyheit, weil ſie mehr
mit der Griechiſchen Geſchichte vermiſchet ſind, hat man in dem zweyten
Theile zu ſuchen. Wenigſtens haben dieſe Nachrichten dieſen Werth,
daß, wenn jemand dieſelben weitlaͤuftiger ausfuͤhren wollte, derſelbe ſich
einen Theil der Muͤhe erſparet findet, welche dieſe Art aufmerkſamer
Nachleſung der Alten, und die Zeitfolge derſelben, verurſachet.
Das zweyte Stuͤck dieſes Capitels ſoll, wie angezeiget iſt, kurze An-Zweytes Stuͤck
Von der Roͤ-
miſchen Maͤn-
ner-Kleidung.
merkungen enthalten, uͤber die Form der Roͤmiſchen Maͤnner-
Kleidung, (denn die Kunſt hat vornehmlich mit der Form zu thun) und
zwar ſo viel ohne Figuren kann verſtanden werden: das mehreſte gilt zu-
gleich von der Griechiſchen Maͤnner-Kleidung. Unter der Maͤnnlichen
Kleidung begreife ich zugleich die Bewaffnung des Koͤrpers, ohne mich
in Unterſuchung ihrer Waffen einzulaſſen. Zuerſt iſt von derjenigen Be-
kleidung, welche den Leib insbeſondere bedeckete, und hernach von der
Bekleidung einzelner Theile, zu reden.
Das Unterkleid wurde von einigen Voͤlkern der aͤlteſten Zeiten alsI.
Bekleidung
des Leibes.
eine Weibliche Tracht angeſehen 1), und die aͤlteſten Roͤmer hatten nichts,
als ihre Toga, auf den bloßen Leib geworfen 2); ſo waren die StatuenA.
Das Unter-
kleid.
des Romulus und des Camillus auf dem Capitolio vorgeſtellet 3).
Noch in ſpaͤteren Zeiten giengen diejenigen, welche auf dem Campo
Martio ſich zu Ehrenſtellen dem Volke vorſtelleten, ohne Unterkleid 4),
um ihre Wunden auf der Bruſt, als Beweiſe ihrer Tapferkeit, zu zeigen.
Ueberhaupt aber war nachher das Unterkleid, ſo wie den Griechen, die
Cyniſchen Philoſophen ausgenommen, alſo allen Roͤmern gemein, und
wir wiſſen vom Auguſtus, daß derſelbe im Winter an vier Unterkleider
auf einmal angeleget. An Statuen, Bruſtbildern, und auf erhobenen
Arbeiten, iſt das Unterkleid nur allein am Halſe und auf der Bruſt ſicht-
bar, weil die Figuren mit einem Mantel, oder mit der Toga, vorgeſtellet
Die Toga war bey den Roͤmern, wie der Mantel der Griechen 3),
und wie unſere Maͤntel, Cirkelrund geſchnitten: der Leſer wiederhole,
was ich im vorigen Capitel von dem Mantel der Griechiſchen Weiber ge-
ſagt habe. Wenn aber Dionyſius von Halicarnaſſus ſagt, daß die Toga
die Form eines halben Cirkels gemacht 4), ſo bin ich der Meynung, daß
er nicht von der Form derſelben im Zuſchnitte rede, ſondern von der Form,
welche dieſelbe im Umnehmen bekam. Denn ſo wie die Griechiſchen Maͤn-
tel vielmals doppelt zuſammen genommen wurden, ſo wird auch das Cir-
kelrunde Gewand der Toga auf eben die Art gelegt worden ſeyn, und
hierdurch wuͤrde alle Schwierigkeit, in welche ſich hier die Erklaͤrer der
Die Toga wurde, wie der Mantel, uͤber die linke Schulter geworfen,
und der Hanfe Falten, welcher ſich zuſammenlegte, hieß Sinus 5). Ge-
woͤhnlich wurde die Toga nicht geguͤrtet, wie auch andere anmerken; in
einigen Faͤllen aber kann es dennoch geſchehen ſeyn, wie aus unten ange-
zeigten Stellen des Appianus zu ſchließen iſt 6). Im Felde trugen die
Griechen keinen Mantel 7), und die Roͤmer keine Toga, ſondern einen leich-
tern Ueberwurf, welcher bey dieſen Tibenum, oder Paludamentum,
bey jenen Chlamys hieß, und ebenfalls rund war 8), und nur in der
Groͤße von dem Mantel und von der Toga muß verſchieden geweſen ſeyn:
Die Zierrathen und Verbraͤmungen der Maͤnnlichen Kleidung, welche
auf Denkmalen nicht ſichtbar ſind, gehoͤren nicht fuͤr dieſe Abhandlung;
da ſich aber auf einem alten Herculaniſchen Gemaͤlde, welches die Muſe
Thalia vorſtellet, ein vermeynter Clavus befindet 1), ſo iſt dieſes wenig-
ſtens anzuzeigen. Auf dem Mantel dieſer Figur iſt da, wo derſelbe den
Schenkel bedecket, ein laͤnglicher viereckigter Streif von verſchiedener Farbe
hingeſetzet, und die Verfaſſer der Beſchreibung der Herculaniſchen Gemaͤl-
de ſuchen daſelbſt zu beweiſen, daß dieſer Streif der Clavus der Roͤmer ſey,
welches ein aufgenaͤhetes oder eingewuͤrktes Stuͤck Purpur war, und durch
deſſen verſchiedene Breite die Wuͤrde und den Stand der Perſon anzeigete.
So viel habe ich zu erinnern gehabt uͤber die Bekleidung des Leibes.
Die Bekleidung einzelner Theile betrifft das Haupt, die Beine, und
die Haͤnde. Was das Haupt betrifft, ſo war kein Diadema unter den Roͤ-
mern im Gebrauche, wie bey den Griechen, bey welchen dieſe Hauptbinden
Das Haupt bedeckten ſich die Reiſenden, und die im offenen Felde ſich
vor der Sonne, oder vor dem Regen, zu verwahren hatten, mit einem Hute,
welcher wie der unſrige geformet war, aber insgemein nicht mit aufgeſchla-
genen Krempen, und der Kopf war niedrig, wie ich bey dem Hute der
Weiber im vorigen Capitel angezeiget habe. Dieſer Hut war mit Baͤn-
dern, welche unter dem Halſe konnten gebunden werden, und wenn man
mit unbedecktem Haupte gieng, wurde der Hut hinterwerts auf die Schul-
ter geworfen, und hieng an dem Bande: das Band aber iſt niemals ſicht-
bar. Mit einem hinterwerts geworfenen Hute iſt Meleager auf verſchie-
denen geſchnittenen Steinen vorgeſtellet, und auf zwey einander aͤhnlichen
erhobenen Werken, in der Villa Borgheſe und Albani, welche den Amphion
und Zethus, mit ihrer Mutter Antiope, vorſtellen, hat Zethus den Hut auf
der Schulter haͤngen, um das Hirtenleben, welches er ergriffen, abzubil-
den. Dieſes Werk habe ich auch anderwerts zuerſt bekannt gemacht 4).
Einen ſolchen Hut trugen auch die Athenienſer in den aͤlteſten Zeiten 5),
welches aber nachher abkam 6). Es findet ſich eine andere Art von Huͤten
Es waͤre hier auch mit ein paar Worten der Phrygiſchen Muͤtzen zu
gedenken, welche ſo wohl Maͤnnern, als Weibern, gemein waren, um eine
bisher nicht verſtandene Stelle des Virgilius zu erklaͤren. In dem Hauſe
der Villa Negroni befindet ſich ein Maͤnnlich jugendlicher Kopf mit einer
Phrygiſchen Muͤtze, und hinten von derſelben geht wie ein Schleyer her-
unter, welcher vorne den Hals verhuͤllet, und das Kinn bedecket bis an
die Unterlippe, auf eben die Art, wie an einer Figur in Erzt der Schleyer
gelegt iſt 1), nur mit dem Unterſchiede, daß hier auch der Mund verhuͤl-
let wird. Aus jenem Kopfe erklaͤret ſich der Paris des Virgilius:
Maeonia mentum mitra crinemque madentem
Subnixus.
Aen. 4. v. 216.
uͤber welchen Ort man die vermeynten Erklaͤrungen und Verbeſſerungen deſ-
ſelben bey unten angefuͤhrten Scribenten finden kann 2).
Beinkleider waren bey den Roͤmern und Griechen im Gebrauche, wieB.
Von Bein-
kleidern.
man auf Herculaniſchen und andern Gemaͤlden ſieht 1): es werden alſo
hierdurch einige Gelehrten, die das Gegentheil behauptet haben, widerlegt.
Die Hoſen des vermeynten Coriolanus auf dem Gemaͤlde in den Baͤdern
des Titus, gehen der Figur bis auf die Knoͤchel der Fuͤße, ſo daß ſie an den
Beinen wie Struͤmpfe anliegen, und ſind blau. Bey den Griechen tru-
gen die Taͤnzerinnen Hoſen, wie bey uns geſchieht 2). Der Gebrauch der
Hoſen aber war bey den Maͤnnern nicht gemein, und an ſtatt der Bein-
kleider waren Binden im Gebrauche, womit die Schenkel umwunden wur-
den; aber auch dieſes wurde fuͤr eine Weichlichkeit gehalten: dieſe wirft
Cicero deshalb dem Pompejus vor, welcher dergleichen trug 3). Solche
Binden um die Lenden gelegt, waren zu Trajanus Zeiten unter dem ge-
meinen Volke noch nicht uͤblich 4): an den Bildniſſen dieſes Kaiſers an
dem Conſtantiniſchen Bogen ſieht man die Schenkel bis unter das Knie
bekleidet. Die Hoſen der Barbariſchen Voͤlker ſind mit den Struͤm-
pfen aus einem Stuͤcke, und unter die Knoͤchel des Fußes durch die Rie-
men der Sohlen gebunden. Die Struͤmpfe wurden nachher in ſpaͤteren
Zeiten von den Hoſen abgeſchnitten, und hierinn liegt der Grund des
deutſchen Worts Strumpf, welches etwas abgeſtutztes bedeutet, wie Eck-
hart dieſes in dem Ebneriſchen Kleinodien-Kaͤſtlein zeiget. Michael An-
gelo hat ſich alſo wider die alte Kleidertracht an ſeinem Moſes vergangen,
da er demſelben Struͤmpfe unter die Hoſen gezogen gegeben, ſo daß dieſe
unter den Knien gebunden ſind.
Von den mancherley Arten von Schuhen der Alten iſt von andernC.
Von Schuhen
umſtaͤndlich gehandelt. Die Schuhe der Roͤmer waren von den Griechi-
ſchen verſchieden, wie Appianus angiebt 5); dieſen Unterſchied aber koͤn-
Handſchuhe haben einige Figuren auf Begraͤbniß-Urnen in den Haͤnden;
welches wider den Caſaubonus zu merken iſt, welcher vorgiebt, daß weder
bey den Griechen, noch Roͤmern, Handſchuhe im Gebrauche geweſen 4).
Dieſes iſt ſo irrig, daß ſie gar zu Homerus Zeiten bekannt waren: denn die-
ſer giebt dem Laertes, des Ulyſſes Vater, Handſchuhe 5).
Zu der Bekleidung des Koͤrpers gehoͤret auch die Bewaffnung deſſel-
ben, deren Stuͤcke ſind der Panzer, der Helm, und die Beinruͤſtung. Der
A.
Von dem
Panzer.Panzer war bey den Alten doppelt, und bedeckte die Bruſt und den Ruͤcken:
es war derſelbe theils von Leinewand, theils von Metall verfertiget. Von
Leinewand trugen ihn die Phoͤnicier 6) und Aſſyrier 7), in dem Heere des
Ueber die Helme der Alten merke ich, nach dem, was bereits von an-B.
Von dem
Helme.
dern geſagt iſt, nur an, daß ſie nicht alle von Metall waren, ſondern es
muͤſſen einige auch von Leder, oder von anderer geſchmeidigen Materie, ge-
weſen ſeyn: denn der Helm unter dem Fuße der Statue eines Helden,
in dem Pallaſte Farneſe, iſt zuſammengetreten, welches nicht mit Erzte
geſchehen konnte.
Beinruͤſtungen finden ſich haͤufig auf erhobenen Werken, und ge-C.
Von der
Beinruͤſtung.
ſchnittenen Steinen; von Statuen aber findet ſich nur eine einzige, wel-
che dieſe hat, und zwar in der Villa Borgheſe. Unter den Hetruriern,
und in Sardinien, waren auch Beinruͤſtungen im Gebrauche 4), die an
So viel von der Maͤnnlichen Bekleidung der Roͤmer, und von dem,
was ein Kuͤnſtler von derſelben zu wiſſen noͤthig hat. Hiermit beſchließe
ich den erſten Theil dieſer Geſchichte.